Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Auf der Jahrhundertbaustelle in Stuttgart zu Gast
CDU-Ortsverbände mit Exkursion zu den Bahngleisen – 38 Ausflügler erhalten viele Informationen und Eindrücke zu „Stuttgart 21“
WESTERHEIM/STUTTGART - „Stuttgart 21 ist viel mehr als ein Bahnhof. Es ist ein umfangreiches Verkehrsund Städtebauprojekt von mehr als 50 Kilometern auf einer Schnellfahrstrecke mit knapp 100 Hektar attraktivem Bauland.“Dies unterstrich Maren Dors, Besucher-Guide des Infoturms Stuttgart (ITS) bei einer Führung von 19 Gästen von der Laichinger Alb. Eine zweite Gruppe mit ebenfalls 19 Teilnehmern begleitete Brigitte Knorr.
Beide Frauen warteten mit vielen Zahlen und Fakten zu „Stuttgart 21“auf und ließen wissen, dass im Dezember 2025 die Bauarbeiten abgeschlossen seien und dann die ersten ICEs offiziell von Stuttgart über oder unter der Alb nach Ulm düsen. Die Älbler zeigten sich beeindruckt von der Großbaustelle am und beim Stuttgarter Bahnhof mit rund 3400 Bauarbeitern im Einsatz.
Die drei CDU-Ortsverbände Laichingen-Heroldstatt, NellingenMerklingen und Westerheim um ihre Vorsitzenden Kerstin Specht, Hans Hagmeyer und Matthias Rehm hatten die Informationsfahrt in die Landeshauptstadt organisiert und ermöglicht, zu der im Anschluss an die Baustellenbesichtigung auch ein Besuch im Landtag der Landesregierung gehörte.
Interessiert und neugierig fuhren die 38 Exkursionsteilnehmer nach Stuttgart, von der sie dann mit vielem neuen Wissen und vielen neuen Eindrücken am Donnerstagabend auf die Alb zurückkehrten.
Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm besteht aus zwei Teilen, die jedes für sich genommen ein Großprojekt bilden, ließ Maren Dors eingangs ihrer zweistündigen Führung wissen: Die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm mit dem nachträglich hinzugekommenen und außerhalb des
Projekts finanzierten Bahnhof Merklingen, dessen Inbetriebnahme für Ende 2022 geplant ist, und das Bahnprojekt Stuttgart 21 mit vier neuen Bahnhöfen und der kompletten Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart, der Ende 2025 in Betrieb gehen soll. „Stuttgart 21 und die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm sind Voraussetzung für die politisch angestrebte Verkehrswende im Südwesten: Die Bahnprojekte ermöglichen viele neue, umsteigefreie Verbindungen und kurze Umsteigezeiten im Fern- und im Regionalverkehr
und verlagern so viel Verkehr von der Straße auf die Schiene“, unterstrich Maren Dors bei ihrer Führung der Gäste von der Alb.
Sie verwies auf zahlreiche Verbesserungen, die das neue Verkehrskonzept der Deutschen Bundesbahn mit sich bringt: „Stuttgart 21“schafft erst die Voraussetzungen für den DeutschlandTakt und ermöglicht zudem die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 im Fern- und im Nahverkehr. Ohne „Stuttgart 21“wäre der Deutschland-Takt in BadenWürttemberg schlicht undenkbar. Sie sprach von einem „Meilenstein in Richtung Verkehrswende für Deutschland und Baden-Württemberg.“
Nur dank „Stuttgart 21“könnten 30-Minuten-Fahrzeiten zwischen den großen Knoten Mannheim, Stuttgart und Ulm überhaupt in Angriff genommen werden. Der neue Bahnknoten Stuttgart sei für den
Deutschland-Takt bestens vorbereitet und der digitale Pilotknoten Stuttgart verstärke die Zukunftssicherheit weiter: „Stuttgart 21“werde zum digitalen Vorreiter auf dem deutschen Schienennetz. Bereits in der ersten Stufe des Pilotprojekts „Digitaler Knoten Stuttgart 2025“würden ab 2025 mit Inbetriebnahme von „Stuttgart 21“sämtliche Strecken innerhalb des Projekts sowie große Teile des S-Bahn-Netzes der Region Stuttgart mit dem ETCS (European Train Control System), digitalen Stellwerken und hochautomatisiertem Fahrbetrieb mit Triebfahrzeugführern ausgestattet. „Das bringt viel kürzere Taktzeiten und mehr Stabilität im System Schiene“, betonte die Baustellenführerin von ITS.
„Wenn Stuttgart 21 in Betrieb geht, fahren Züge vom künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof aus in acht Minuten durch den Fildertunnel zum Flughafen, anstatt wie heute in 27 Minuten. Die Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Ulm wird im Fernverkehr auf rund eine halbe Stunde nahezu halbiert“, informierte Maren Dors. Im Regionalverkehr seien Reisende
künftig zwischen Stuttgart und Ulm nur noch 41 Minuten unterwegs. Flughafen und Landesmesse erhalten zudem eine schnelle Anbindung aus und in Richtung Ulm: In 30 Minuten statt heute in eineinhalb Stunden können Reisende von Ulm aus am Flughafen sein.
Zentrales Bauwerk des Projekts „Stuttgart 21“ist der künftige Hauptbahnhof: Quer zu den heutigen Gleisen liegend wird der neue 447 Meter lange Durchgangsbahnhof von beiden Seiten von je zwei zweigleisigen Strecken angebunden, die in acht Bahnsteiggleise münden. Die Bahnsteighalle ermöglicht einfaches und rasches Umsteigen, auch zum Nahverkehr von Stadt und Region. Rund 50 Weichen werden für das Ein- und Ausfahren installiert.
„Der Durchgangsbahnhof mit acht zu- beziehungsweise abführenden Gleisen kann deutlich mehr Zugverkehr abwickeln als der heutige Kopfbahnhof mit insgesamt nur fünf zu- beziehungsweise abführenden Gleisen und vielen Kreuzungskonflikten im Gleisvorfeld“, machte Maren Dors deutlich.
Das vom Büro „ingenhoven architects“entworfene Dach des Hauptbahnhofs besteht aus 28 Kelchstützen – eine noch nie gebaute Betonschalenkonstruktion, erfuhren die Gäste. Für eine Kelchstütze mit einem Durchmesser von 32 Meter werden bis zu 350 Tonnen Stahl und 685 Kubikmeter Beton verbaut. Große Glaskuppeln auf 23 der Kelchstützen sorgen für Tageslicht in der Bahnsteighalle. Elf Kelchstützen sind bereits betoniert. Sehr beeindruckt zeigten sich die Gäste von der Alb von den schon weit fortgeschrittenen Arbeiten.
Was einige der Exkursionsteilnehmer nicht wussten: Die alte, riesige Gleisanlage im Osten des Stuttgarter Bahnhofs kann abgebaut und einer sinnvollen und guten neuen Verwendung zugeführt werden: Denn „Stuttgart 21“schafft Raum: Eine rund 85 Hektar große städtebauliche Neubaufläche entsteht, das entspricht in etwa 120 Fußballfeldern. Das „Rosenquartier“wird geschaffen. Bestehende Parks und Grünanlagen sollen um mindestens 20 Hektar erweitert werden. Die restlichen Flächen
dienen dem Bau eines neuen Stadtteils. Rund 7500 Wohnungen für fast 25 000 Menschen sollen in dem Entwicklungsraum bezahlbare Wohnungen finden und Grünflächen vor der Haustür haben, sagte Maren Dors und sprach von einem Riesengewinn für die Landeshauptstadt und deren Bürger.
Einem Gang durch die Ausstellungsräume mit vielen Modellen, imposanten Bildern und Schautafeln im Infoturm am Gleis 16 mit einem gewaltigen Blick auf die Baustelle folgte ein weiterer Gang zum 227 Meter langen Nordtunnel an der Heilbronner Straße, wo die Besucher noch viele weitere interessante Ausführungen erhielten, auch zum Tunnelbau: Beim klassischen bergmännischen Tunnelbau mit Bagger und etwaigen Sprengungen würden zwei bis drei Meter pro Tag geschafft, beim Tunnelvortriebsverfahren mit einer Tunnelvortriebsmaschine im Schnitt etwa 22 Meter pro Tag.
Die Firma Herrenknecht aus Schwanau habe für die umfangreichen Tunnelarbeiten im gesamten Bahnprojekt von Stuttgart bis Ulm vier Tunnelvortriebsmaschinen mit je zwölf Mann eingesetzt. Von den rund 51 Kilometer Tunnelröhren im Stuttgarter Talkessel seien nahezu 50 Kilometer und damit 97 Prozent vorgetrieben. Der Großteil des Abraums sei bereits mit rund 7000 Güterzügen abtransportiert.
Ausführungen machte Maren Dors noch zu der Umsiedlung von rund 8000 Eidechsen in neue Habitate und unterstrich so die Vielschichtigkeit des Projekts „Stuttgart 21“, für das immer an konstruktiven Lösungen gearbeitet worden sei. Sie erinnerte an zähe, aber erfolgreiche Schlichtungsgespräche mit dem CDU-Politiker Heiner Geißler und den Volksentscheid im Jahr 2011 mit einer klaren Mehrheit von 59 Prozent für das Vorhaben. Ferner ging sie noch kurz auf die Arbeiten beim Stuttgarter Flughafen ein: Der neue Flughafenbahnhof auf den Fildern werde zur zentralen Verkehrsdrehscheibe in Baden-Württemberg. Hier würden die Schienenverkehrsträger Fern-, Regional-, S- und Stadtbahn in geradezu idealer Weise mit Flugzeug, Auto und Fernbus verknüpft.
Und noch eine ganz wichtige Zahl hatte sie parat: 8,2 Milliarden werden für das Großprojekt „Stuttgart 21“in die baden-württembergische Schieneninfrastruktur investiert; 4,2 Milliarden kostet die rund 60 Kilometer lange Neubaustrecke zwischen Ulm und Wendlingen, an der sich der Bahnhof Merklingen-Schwäbische Alb befindet.
„Stuttgart 21 ist viel mehr als ein Bahnhof.“Baustellenführerin Maren Dors beim Besuch von 38 Gästen von der Alb