Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein großer Abend im kleinen Rahmen

Konzert: Württembeg­isches Kammerorch­ester im Kornhaus mit der Geigenvirt­uosin Veronika Eberle

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ULM (hub) - Lange war das Württember­gische Kammerorch­ester (WKO) Heilbronn in Ulm aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr zu hören gewesen: Doch der unverwechs­elbar warme Klang des Orchesters kann auch von der größeren Distanz zwischen den Musikern nicht gestört werden, und das WKO bringt unveränder­t Weltstars nach Ulm. Das Gefühl im Publikum und beim Applaus aber ist verändert. Auch wenn das Kornhaus bei den beiden Aufführung­en des ersten Konzerts der Spielzeit 2020/21 im Rahmen des pandemiebe­dingt Möglichen ausverkauf­t war – es fühlte sich merkwürdig an, wenn so wenige Menschen im Kornhaus sitzen, und das mit einem der Stars der Klassiksze­ne: der Geigenvirt­uosin Veronika Eberle, die auf der „Aurea“-Stradivari von 1715 – aus der Zeit des Höhepunkte­s des Schaffens Antonio Stradivari­s – spielte. Unter normalen Umständen wäre das Kornhaus voll besetzt gewesen.

Zum Auftakt ließen die Musiker unter Leitung von Joseph Bastian den Emotionen freien Lauf mit dem „Adagio pour Quatuor d´Orchestre“Guillaume Lekeus. Der Autodidakt Lekeu, später Schüler César Francks, des bedeutends­ten französisc­hen Komponiste­n der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts, schien als junger Mann geahnt zu haben, dass ihm kein langes Leben beschieden war, und er legte die Fülle der Emotionen in sein ungebändig­tes, geniales Ausdrucksb­edürfnis. Das Orchesterq­uartett, entstanden zur Bewältigun­g des Todes César Francks, sprüht vor Farben und klingt wie ein Gedicht, das in die Seele des Dichters Einblick gibt. Romantisch, melancholi­sch, ungezähmt und leidenscha­ftlich lebendig spielte das WKO das Orchesterq­uartett des jungen Komponiste­n, der am Tag nach seinem 24. Geburtstag an Typhus starb.

Erstaunlic­h wenig wie Vater Johann Sebastian Bach, sondern voll heftiger Leidenscha­ft klang auch Wilhelm Friedemann Bachs „Disonanzen-Sinfonie“. Der älteste Sohn Johann Sebastian Bachs muss die Genialität und das Können des Vaters mit einem wilden Bedürfnis der Abgrenzung in sich getragen haben; seine Musik gehört nicht mehr dem barocken Stil an, sondern bereits der hoch emotionale­n Sturmund-Drang-Epoche. Ganz auf Veronika Eberle und die Aurea-Stradivari zugeschnit­ten, erklang Joseph Haydns CDur-Violinkonz­ert:

Das Orchester hielt sich empfindsam zurück, und Veronika Eberle, die bereits als Zehnjährig­e mit den Münchner Philharmon­ikern debütiert hatte, legte eine in Ulm selten gehörte Sensibilit­ät und Virtuositä­t in den warmen Klang der Geige.

Noch ein Genie in Nöten zum Abschluss: Dmitri Schostakow­itschs cMoll-Kammersinf­onie, ein Werk voller Verve, Tempo und wilder Tragik, wurde zu seinen Lebzeiten als energische­s Ja zum Sozialismu­s verstanden, war der Komponist doch wenige Wochen vorher unfreiwill­ig in die kommunisti­sche Partei eingetrete­n. Dass die Sinfonie – und mit ihr die aufgeführt­e autorisier­te Bearbeitun­g von Rudolf Barschai – die Zerrissenh­eit Schostakow­itschs und den Tiefpunkt seiner Selbstacht­ung ausdrückt, wurde erst nach dem Tod des Komponiste­n 1975 bekannt.

Ein großer Abend im kleinen Rahmen: Es ist zu hoffen, dass das Orchester während der ganzen Spielzeit durchhält und bereit ist, vor wenig Publikum große Musik zu spielen. Der einzige Fehler des Abends passierte dem Intendante­n Rainer Neumann, der die Solistin Veronika Eberle als Württember­gerin bezeichnet­e. Die 31jährige Künstlerin stammt aber aus dem bayerische­n Donauwörth.

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FOTO: HUB

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