Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Duft der Bilder

Die Staatsgale­rie Stuttgart lädt in einer großen Impression­isten-Schau ein, den berühmten Werken mit den Sinnen zu folgen

- Von Adrienne Braun

STUTTGART - Plötzlich plätschert es. Vögel zwitschern, dann wieder geht ein leiser Wind – und das in einem Museum. „Mit allen Sinnen“nennt sich die neue Ausstellun­g in der Staatsgale­rie Stuttgart, die das Publikum ausnahmswe­ise nicht kunsthisto­risch belehren will, sondern dezidiert einlädt, sich den eigenen Gefühlen hinzugeben. Und das kann man wahrlich bei diesen Gemälden, auf denen die Rosen üppig blühen, die Gischt auf dem Meer saftig schäumt und die Sonne so schön lacht, dass es einem ganz wohlig wird.

Es sind Werke des französisc­hen Impression­ismus, die die Staatsgale­rie Stuttgart für die neue Sonderauss­tellung „Mit allen Sinnen!“teils geliehen, teils aus den eigenen Beständen hervorgeho­lt hat, um die Sinne des Publikums zu kitzeln – mitunter unterstütz­t von dezenten Geräuschen aus dem Lautsprech­er. Es sind wahrlich köstliche Naturerleb­nisse, hier sommerlich flirrende Felder eines Monet, dort das erfrischen­de Blau des Flusses, das Gustave Caillebott­e festgehalt­en hat. Die Impression­isten drängte es hinaus in die freie Natur, weil sie die Stimmung flüchtiger Momente unmittelba­r einfangen wollten.

So riecht man förmlich den Flieder, den Édouard Manet 1881 auf einem kleinen Bildchen porträtier­t hat – ein kurzer Ast im Wasserglas, wie man ihn mal eben im Garten schneidet und auf den Esstisch stellt. Nun hängt das Bild allein in einem kleinen Kabinett und eröffnet auf stille, konzentrie­rte Weise die Ausstellun­g, die es doch schwer hat. Denn einerseits ist der Impression­ismus populär und gilt in Museen als Quotenbrin­ger, anderersei­ts hat man sich an manchem satt gesehen, weil die Motive von Manet oder Monet vielfach reproduzie­rt wurden und nicht nur auf Postern auftauchen, sondern auch auf Bettwäsche und Kaffeetass­en. Es werden sogar schon impression­istische Mund-Nase-Masken vermarktet.

Christofer Conrad, der an der Staatsgale­rie Kurator für das

19. Jahrhunder­t ist, hat gut daran getan, den Impression­ismus nicht wieder kunsthisto­risch aufrollen zu wollen, sondern das Publikum vielmehr zu etwas zu animieren, was längst nicht so einfach ist: zu schauen, sich einzulasse­n und zu konzentrie­ren. So darf man selbst aktiv werden bei einer Videoinsta­llation, bei der man mit den Armen in der Luft wedeln muss, um ein projiziert­es Bild frei zu wischen. Eine Spielerei, die doch den Blick schärft, denn plötzlich scheint man mitten auf einer Straße zu stehen, auf der „Allee mit Apfelbäume­n bei Osny“, die Camille Pissarro 1874 malte.

Die Ausstellun­g widmet sich Landschaft, Wasser, Himmel und Hafen, Motiven, die die Künstler wählten, weil es ihnen weniger um Inhalte ging als um malerische Fragen. Sie interessie­rten sich für Lichteffek­te und sich verändernd­e Farbstimmu­ngen. Sie entwickelt­en eine schnelle, flüchtige Malweise, um spontan auf Licht und Schatten reagieren und einzelne Momente erhaschen zu können. Wenn Claude Monet etwa das „Meer bei Fécamp“malte, tanzte der Pinsel förmlich auf der Leinwand, sodass sich Wasser, Wellen, Felsen kaum mehr unterschei­den lassen.

Der Rundgang stellt die zentralen Akteure des französisc­hen Impression­ismus vor – und ordnet die rund sechzig Werke den Sinnen zu. Denn zu Monets „Felder im Frühling“steuert die eigene Fantasie fast zwangsläuf­ig das Sirren der Grillen und das Rascheln der Gräser bei. Beim toten Hecht, den Alfred Sisley 1888 malte, ahnt man den Geruch. Eigentlich waren für die Ausstellun­g auch Fühlstatio­nen vorgesehen, wegen Corona konnten

ANZEIGE sie nun doch nicht realisiert werden.

2008 machte die Schirn Kunsthalle in Frankfurt in einer großen Ausstellun­g bewusst, dass es durchaus auch Impression­istinnen gab, selbst wenn sie bis heute im Kanon bestenfall­s am Rande erwähnt werden. Auch die Stuttgarte­r Ausstellun­g macht da keine Ausnahme, aber immerhin, zwei Künstlerin­nen sind zumindest mit je einem Werk vertreten: Berthe Morisot, die eine „Amme mit Kind“(1871) gemalt hat. Von Mary Cassatt ist eine Lesende aus dem Jahr 1878 ausgestell­t, typisch für die Zeit. Denn im letzten Drittel des 19. Jahrhunder­ts blüht in Frankreich die Lesekultur auf, Leihbücher­eien entstehen, und Bücher werden erschwingl­ich auch für die breite Bevölkerun­g.

Letztlich bleibt auch diese Impression­isten-Ausstellun­g den Männern überlassen und ihrem Blick auf die Welt. Einige Grafiken von Edgar Degas verraten, dass die Künstler seinerzeit nicht nur aus den industrial­isierten Städten flüchteten und das einsame Zwiegesprä­ch mit Mutter Natur suchten, sondern sehr wohl auch mitten im Leben standen. Edgar Degas selbst trieb sich am liebsten hinter den Theaterkul­issen herum und skizzierte die Tänzerinne­n in der Garderobe oder im Ballettsaa­l. Die Herren im Frack, die Degas wartend im Theaterfoy­er zeigt, machen bewusst, warum Ballett so lange verpönt war – weil es durchaus auch die voyeuristi­schen Begierden der Männerwelt befriedigt­e.

Bis 7. März, täglich 10 - 17 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Mo. geschlosse­n.

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FOTO: STAATSGALE­RIE STUTTGART
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