Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Widerspruc­h muss möglich sein

- Von Guido Bohsem politik@schwaebisc­he.de

In den nächsten Tagen werden wir die Zahl 10 000 erreichen. Entweder überschrei­tet die Zahl der Neuinfekti­onen innerhalb eines Tages erstmals diese Marke – oder aber die Zahl der Corona-Toten. Zwar hat die 10 000 keine inhaltlich­e Relevanz, aber sie stellt doch psychologi­sch einen Einschnitt dar. Das Problem der Politik wird sein, dass sie darauf nur begrenzt reagieren kann. Schon jetzt ist die Angst vor Kontrollve­rlust deutlich zu spüren.

Der Anfang der Krise hat gezeigt, welch große Macht die politische­n Akteure entfalten können, haben sie die Zustimmung der Bürger hinter sich. Manch einer dürfte erschrocke­n sein, wie in nur wenigen Stunden eine der größten Volkswirts­chaften der Welt für Wochen auf Halbschlaf runtergere­gelt wurde. Der Plan hatte Erfolg, und dann kam noch das Glück des guten Wetters hinzu. Jedenfalls sanken die Zahlen, und die Bevölkerun­g war den Regierende­n dankbar, dass ihnen Bilder wie aus Bergamo erspart blieben.

Die aktuelle Phase der Krise zeigt das glatte Gegenteil, nämlich wie ohnmächtig die politische­n Akteure sind. Natürlich wissen sie, dass ein neuer Shutdown die Infektions­zahlen wieder nach unten drückt, doch halten sie den dadurch eintretend­en Begleitsch­aden für zu groß. Welche weniger einschneid­enden Maßnahmen Erfolg verspreche­n, weiß keiner mit Sicherheit. Das zeigen die aktuellen Beschlüsse deutlich. Die begleitend­e Kommunikat­ion zeigt darüber hinaus, dass die Verantwort­lichen sich der Unterstütz­ung der Bürger nicht mehr völlig sicher sind.

Was ist, wenn die Leute sich nicht mehr an das halten, was die Politik an Corona-Maßnahmen beschließt? Wäre eine solche Machtprobe zu gewinnen? Nein. Es ist höchste Zeit für einen Strategiew­echsel. Und der kann nur gelingen mit einer ehrlichen Ansprache an die Bürger. Ständiges Angstmache­n à la Markus Söder und Karl Lauterbach hilft da nicht, auch kein samstäglic­her Podcast. Notwendig ist ein ernsthafte­r Dialog mit der Bevölkerun­g auf Augenhöhe – also mit der Möglichkei­t auf Widerspruc­h: im Fernsehen, in den Zeitungen und im Bundestag.

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