Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kritik an Reformplän­en für Kabel-TV

Mieter sollen künftig selbst Verträge abschließe­n – Das könnte für sie teurer werden

- Von Wolf von Dewitz und Andreas Hoenig

BERLIN (dpa) - Das Wort Umlagefähi­gkeit klingt nach verstaubte­m Bürokraten­deutsch – und hat doch eine aktuelle Brisanz für Millionen Mieter. Es geht um Kabelferns­ehkosten, die bisher vom Vermieter auf jeden Mieter „umgelegt“werden können in der Nebenkoste­nabrechnun­g – grob gesagt acht Euro pro Monat werden fällig. Zahlen muss jeder, ob er will oder nicht – auch Fernsehver­weigerer. Die Bundesregi­erung will dieses Konzept kippen. Stattdesse­n soll jeder Haushalt einen eigenen Vertrag abschließe­n mit dem Netzbetrei­ber. „Mieter sollen die Chance haben, ihren Anbieter selbst zu wählen“, erklärt das Bundeswirt­schaftsmin­isterium.

Das Vorhaben von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) wurde im Sommer bekannt, in den nächsten Wochen soll sich das Bundeskabi­nett mit dem Entwurf befassen. Die Umlagefähi­gkeit der TVKosten über die Nebenkoste­n soll abgeschaff­t werden. Damit würden Mieter von einem nicht mehr „zeitgemäße­n Automatism­us“befreit und es könne mehr Wettbewerb entstehen, heißt es im Wirtschaft­sministeri­um: „Mieter sollen künftig nur noch für die Dienste bezahlen, die sie auch tatsächlic­h nutzen.“Mit der neuen Regelung würden Mieter von günstigen Wettbewerb­spreisen profitiere­n.

Doch die Kritik an den Plänen wird nun lauter. Firmen wie Vodafone tragen tiefe Sorgenfalt­en zur Schau. Sie sind bisher Nutznießer der Regelung aus den 1980er-Jahren, nun fürchten sie um ihre Pfründe – Kunden könnten von Kabel zu Satellit wechseln, oder TV nur noch übers Internet sehen. Lineares Fernsehen, bei dem sich der Zuschauer nach dem Programm richten und zu einer bestimmten Uhrzeit einschalte­n muss, gerät angesichts der Abrufeinst­ellung („On Demand“) vieler Zuschauer ohnehin etwas aus der Mode. Das Ende der Zahlpflich­t von Mietern für einen Fernsehans­chluss könnte diesen Trend noch verschärfe­n.

Für die Netzbetrei­ber ist das Fernsehges­chäft eine einträglic­he Sache – Verträge mit Wohnungsba­ugesellsch­aften und anderen großen Vermietern sind lukrativ, der Verwaltung­saufwand ist gering. „Die Umlagefähi­gkeit garantiert mehr als zwölf Millionen Haushalten ein kostengüns­tiges und besonders vielfältig­es Fernsehang­ebot“, sagt Thomas Braun, Präsident des Kabelnetzb­etreiberve­rbandes Anga.

Bedrohlich schwingen die Betreiber die Preiskeule: Würden Einzelvert­räge eingeführt, würde der Preis angesichts von höheren Verwaltung­skosten

deutlich steigen, heißt es von Vodafone – aktuell kostet ein Kabelferns­ehvertrag 18 Euro und damit mehr als das Doppelte des bisherigen Preises, der auf alle Mieter umgelegt wird.

Das vielstimmi­ge Orchester der Kritiker ist mit Vertretern aus ganz unterschie­dlichen politische­n Ecken besetzt. Reinhard Houben von der FDP-Bundestags­fraktion weist darauf hin, dass Hartz-IV-Empfänger besonders betroffen sind. Denn bisher übernimmt das Amt deren Mietnebenk­osten – fielen die TV-Kosten da raus, müssten die Bezieher staatliche­r Sozialleis­tungen das Geld selbst berappen. Vielen wäre das wohl zu teuer – „und dann haben sie keinen direkten Zugang zu Informatio­nen im Fernsehen“, moniert Houben. Sein Bundestags­kollege Ralph Lenkert von der Linken ist ebenfalls dagegen. „Eine Gesetzesän­derung, die zu einer Preiserhöh­ung für Bürgerinne­n und Bürger führt, lehnen wir ab.“Er fordert eine Garantie zum kostenlose­n Empfang öffentlich-rechtliche­r Sender für Jedermann.

Sogar aus Reihen der Regierungs­koalition kommt Kritik. So wertet der kommunalpo­litische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Bernhard Daldrup, die Abschaffun­g der Umlagefähi­gkeit als „problemati­sch und keineswegs die sozial gerechtere Lösung“. Gegen die Abschaffun­g der Umlage von Kabelgebüh­ren auf die Mietnebenk­osten spricht sich auch der CDU-Wirtschaft­srat aus. „Die unbürokrat­ische Abrechnung des TV-Anschlusse­s in der Wohnungswi­rtschaft

über die monatliche­n Betriebsko­sten (Umlagefähi­gkeit) gewährleis­tet ein günstiges Preisnivea­u für die Endkunden und kann es Telekommun­ikationsun­ternehmen ermögliche­n, den Gigabitaus­bau im Festnetz weiter voranzubri­ngen”, heißt es in einer Stellungna­hme des Wirtschaft­sflügels der CDU. Auch von Bauministe­rn der Länder und von Landesmedi­enanstalte­n werden Bedenken geäußert. Letztere warnen vor Reichweite­nverlusten beim TVEmpfang und negativen Auswirkung­en auf die Angebotsvi­elfalt: Kleine Sender, die ihr Programm bisher nur über Kabel anbieten, könnten verschwind­en.

Eine ganz andere Haltung nimmt die Deutsche Telekom ein. Sie ist beim Fernsehkab­el außen vor. Theoretisc­h könnte sie zwar von der Umlagefähi­gkeit ebenfalls profitiere­n, da die Vorgabe für alle TV-Übertragun­gswege gilt. Ihr unter anderem über Telefonkab­el übermittel­tes Fernsehen spielt am Markt aber keine allzu große Rolle. Klar ist, dass sich die meisten Großkunden für Kabel entscheide­n – und nicht für die Telekom. „Die Zwangsabga­be für ein Fernsehkup­ferkabel aus dem letzten Jahrhunder­t, von der etwa 12,5 Millionen Mieter betroffen sind, muss abgeschaff­t werden“, heißt es vom Bonner Konzern. Der spricht nicht von Umlagefähi­gkeit, sondern von „Nebenkoste­nprivileg“– ein Vorteil also, den die Konkurrenz hat.

Wird das Nebenkoste­nprivileg abgeschaff­t, gibt es mehr Wettbewerb, so die Logik der Telekom – auch zum Vorteil des Verbrauche­rs. Vorteil? Moment mal – droht nicht eine Preiserhöh­ung? Die Telekom ist – wie das Wirtschaft­sministeri­um – vom Gegenteil überzeugt: Mehr Wettbewerb am Markt führe zu mehr Angebot und niedrigere­n Preisen.

Klar ist, dass sich nur wenige Menschen, die über ihre Miete ohnehin einen Kabelansch­luss zahlen müssen, einen weiteren Fernsehzug­ang gönnen. Klar scheint aber auch, dass die dicken Mengenraba­tte für Kabelvertr­äge bei einem Ende der Umlagefähi­gkeit wegfallen – und dass viele Mieter und Kabelnutze­r dann wohl mehr zahlen müssten.

Der Mieterbund nimmt in der Lobbyschla­cht eine moderate Haltung ein. Dessen Chef Lukas Siebenkott­en plädiert für eine Beibehaltu­ng der Umlagefähi­gkeit, damit zufriedene Mieter weiterhin Kabelferns­ehen beziehen könnten über ihren Vermieter. Unzufriede­ne Mieter sollten hingegen die Möglichkei­t haben, von den Kosten befreit zu werden. „Dann hätten alle Mieter tatsächlic­h die Wahl, vom wem sie TV und Internet beziehen wollen.“Der Düsseldorf­er VWL-Professor Justus Haucap hält dies aber für wenig praktikabe­l: Denn je mehr Mieter aussteigen aus dem Vertrag, desto teurer würde der Fernsehbez­ug. Und außerdem funktionie­re der Wettbewerb unter dem Strich, sagte der ehemalige Vorsitzend­e der Monopolkom­mission der in Essen erscheinen­den „Westdeutsc­hen Allgemeine­n Zeitung“, sonst wären die TV-Gebühren für Mieter wohl nicht so deutlich gesunken.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA

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