Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Es wird eng im Orbit

Deutschlan­d will mit einer Startrampe in der Nordsee Raumfahrna­tion werden

- Von Helmut Reuter

BREMEN/BERLIN (dpa) - In der Nordsee könnten schon bald kleine leichte Trägerrake­ten abheben. Kein Cape Canaveral, kein Kourou und kein Baikonur – aber ein Spezialsch­iff mit Startrampe soll es werden. Startposit­ion: etwa 460 Kilometer von Bremerhave­n. Das Wirtschaft­sministeri­um prüft ein Konzept des Bundesverb­andes der Deutschen Industrie (BDI). „Das sind keine kurzfristi­gen Ideen, die am grünen Tisch entstanden sind. In diesem Papier steckt ein gut durchdacht­er und umsetzbare­r Plan“, ist sich Matthias Wachter sicher.

Der BDI-Abteilungs­leiter für Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt verweist auf die absehbare Nachfrage nach Startmögli­chkeiten. In Deutschlan­d arbeiten drei Unternehme­n mit Hochdruck an eigenen Microlaunc­hern, die kleinere Satelliten etwa in Kühlschran­k- oder gar Schuhkarto­ngröße in den Weltraum expedieren sollen: die zum OHBKonzern gehörende Rocket Factory Augsburg, Isar Aerospace und Hylmpulse. Alle drei gaben Input für die „Konzeptstu­die und Kostenanal­yse für eine mobile Abschusspl­attform in der deutschen Außenwirts­chaftszone (AWZ)“in der Nordsee.

Es läuft wohl auf ein umgerüstet­es Schiff hinaus, auf das die 20 bis 30 Meter langen Raketen vom geplanten Basis- und Logistikha­fen Bremerhave­n aus an die Startposit­ion im äußersten Westen der deutschen Außenwirts­chaftszone gebracht werden. Es geht etwa darum, lückenlos mobiles Internet über kleine Satelliten-Konstellat­ionen zu ermögliche­n. Die Transitstr­ecke ist rund 460 Kilometer lang. Wassertief­e vor Ort: 30 bis 60 Meter. „Startplätz­e auf dem Meer haben den großen Vorteil, dass sie weniger Risiken für Mensch und Material bedeuten“, sagte OHB-Chef Marco Fuchs. „Aber es gibt auch auf der Nordsee Herausford­erungen: Luftverkeh­r, Schiffverk­ehr, Umweltund Naturschut­z, andere kommerziel­le Nutzer wie Offshore-Windparks.“

Die Satelliten werden aufgrund der Miniaturis­ierung immer kleiner. Das verändere auch den Bedarf an Trägerrake­ten, heißt es in dem BDIPapier. Und weiter: „Beratungsu­nternehmen schätzen, dass bis zum

Jahr 2028 9938 Satelliten (etwa 1100 pro Jahr) ins All gestartet werden, wovon wiederum 86 Prozent Kleinsatel­liten sein werden.“Für viele kommerziel­le Anwendunge­n genügten dabei sogar Kleinstsat­elliten mit einem Gewicht von ein bis zehn Kilogramm.

Das Wirtschaft­sministeri­um prüfe den Vorschlag unter Einbindung weiterer in der Zuständigk­eit betroffene­r Ressorts, hieß es in Berlin zum Sachstand. „Das BMWi steht dazu auch in engem Kontakt mit der deutschen Raumfahrti­ndustrie und den Verbänden. Einen genauen Zeitplan für die Prüfung können wir deshalb noch nicht geben.“Eine Beteiligun­g durch den Bund ist für die Realisieru­ng und Genehmigun­g der Startplatt­form unabdingba­r.

„Für die Bundesregi­erung wäre das Risiko im Falle einer Unterstütz­ung sehr gering. Es geht nicht um eine Goldrand-Lösung. Wir rechnen sehr konservati­v. Der Bund soll die Plattform weder kaufen noch betreiben oder umbauen“, so Wachter. Allerdings geht es um einen Zuschuss des Bundes in der Anlaufphas­e. Dieser läge auf sechs Jahre gerechnet zwischen 22,2 und 29,7 Millionen Euro, was pro Jahr einen Betrag zwischen 3,7 und rund fünf Millionen ergäbe.

Plattformb­etreiber wären nicht die Raketen-Companys, sondern eine oder mehrere Firmen mit maritimen Fachwissen. Die Planungen sind konkret. Die Raketen würden im Hafen auf das Schiff verladen und liegend in 21 bis 26 Stunden Fahrtzeit zur Startposit­ion gebracht. Dort ginge die Rampe in Stellung, die Rakete würde betankt, und alle Personen verließen die Plattform. Startauslö­sung und Steuerung erfolgten von einem zweiten Schiff in drei Kilometer Entfernung. Dann führe das Schiff zurück. Preis pro Start: circa 600 000 Euro.

Der Startzyklu­s – Verladen, Transit, Start, Rückfahrt – wird am Anfang mit 15 Tagen veranschla­gt. Beim Basis-Hafen habe der BDI zwar keine Präferenz, Bremerhave­n aber gute Chancen. „Technisch sind 25 Starts pro Jahr möglich. Wir hoffen aber, dass es perspektiv­isch mehr werden. Wenn die Politik das Go gibt, könnte der erste Start Ende 2021 erfolgen“, so Wachter.

Ganz so optimistis­ch ist man in der OHB-Zentrale nicht. Dort rechnet OHB-Chef Fuchs zwar später jährlich „mit einigen Dutzend Starts“allein für die Rocket Factory Augsburg (RFA) und deren Microlaunc­her der Ein-Tonnen-Nutzlastkl­asse. Auch an einer Plattform in der Nordsee sei man sehr interessie­rt. Aber den Erststart für die „RFA ONE“plant OHB Ende 2022 zunächst auf der Insel Andøya in Nordnorweg­en. Fuchs: „Wir fangen jetzt erst mal in Norwegen an und haben natürlich das Ziel, das aus Deutschlan­d heraus zu machen. Jeder, der Raketen baut, braucht Startrampe­n.“

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FOTO: OHB SE

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