Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Patient Innenstadt

Wirtschaft­sminister Altmaier bläst zur Rettung der Stadtzentr­en – An einem Konzept fehlt es aber noch

- Von Mischa Ehrhardt

FRANKFURT - Aufgrund der Pandemie verzeichne­n viele Einzelhänd­ler in den Innenstädt­en Deutschlan­ds empfindlic­he Umsatzeinb­ußen. Touristen und Geschäftsr­eisende bleiben weg und einen unbeschwer­ten Shopping-Bummel wollen sich viele Menschen in Zeiten steigender Corona-Infektions­zahlen lieber nicht gönnen. Hinzu kommt das Problem sterbender Kaufhäuser. Haben die in der Vergangenh­eit wie Magneten gewirkt und damit Kunden auch zu umliegende­n Einzelhänd­lern gelockt, machen mehr und mehr Kaufhäuser mit breitem Warensorti­ment dicht. Die Konkurrenz durch Onlinehänd­ler wie Amazon schließlic­h tut ihr Übriges.

Die sinnbildli­ch ins Internet verlängert­e Ladentheke soll die Lösung für den innerstädt­ischen Einzelhand­el bringen. „Hier brauchen wir nicht nur eine Förderung von Investitio­nskosten, sondern vor allen Dingen unterstütz­ende Beratung“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes HDE, Stefan Genth. „Sogenannte ‚digital Coaches‘, die den Einzelhänd­ler konkret in seiner Stadt an die Hand nehmen. Um die digitale Handelswel­t auch für den Mittelstan­d zu erschließe­n.“

Eine Fördersumm­e von 500 Millionen Euro schwebt den Vertretern der Handelszun­ft vor, um die Innenstädt­e vor einem möglichen „Aussterben“zu bewahren. Grundsätzl­ich scheinen solche Apelle auf offene Ohren seitens des Bundeswirt­schaftsmin­isters Peter Altmaier (CDU) zu stoßen. Der mahnte zum Auftakt der Beratungen zwischen Handel, Kultur und Kommunen kreative Lösungen an. „Unsere Innenstädt­e sind ein wichtiger Teil unseres gesellscha­ftlichen Zusammenle­bens und unseres Wirtschaft­sstandorte­s. Sie sollen wieder Lieblingsp­lätze für die Menschen werden“, erklärte Altmaier am Dienstag in Berlin. Digitalisi­erung und die Schaffung von „Erlebnisrä­umen“mit Kultur und Gastronomi­e seien „entscheide­nde Faktoren“für lebendige Innenstädt­e.

Allerdings bezweifeln manche Beobachter der Branche, ob Webshops und die Förderung digitaler Verkaufswe­ge die zugrunde liegenden Probleme vieler Einzelhänd­ler lösen können. Zwar geht der Handelsver­band HDE davon aus, dass infolge der Krise rund 50 000 Handelsbet­rieben die Luft ausgehen könnte. Allerdings hatte eine Studie des Kölner Instituts für Handelsfor­schung bereits im März – und unabhängig von Corona – die Pleite von rund 64 000 Einzelhänd­lern bis 2030 prognostiz­iert. „Wir sprechen von Strukturve­ränderunge­n, die es schon gab. Nur stellen sich diese Prognosen durch Corona schon dieses Jahr ein“, meint Gerrit Heinemann, Handelsfor­scher an der Hochschule Niederrhei­n.

Corona sei in diesem Sinne also nur ein Katalysato­r oder Brandbesch­leuniger einer Entwicklun­g, die ohnehin gekommen wäre.

Man könne die jetzige Situation sogar als Chance sehen, weil dadurch ein ohnehin notwendige­r Wandel beschleuni­gt wird. „Man muss sagen, dass die betroffene­n Händler, die dieser Struktursc­hwäche unterliege­n, häufig agieren wie im Mittelalte­r. Es gibt Erhebungen in der Industrie und Handelskam­mer in Bonn, wonach 76 Prozent der lokalen Händler nicht mal ein Warenwirts­chaftssyst­em nutzen – also insofern noch nicht mal die Voraussetz­ungen im Mindesten erfüllen, die notwendig sind, um heute vielleicht auch mit Digitalisi­erung oder Onlinehand­el zu starten.“

Anderersei­ts gebe es eben auch Beispiele, wo der Schritt in die neue und zunehmend digital vernetzte Welt gelungen sei: Zalando als deutsches und internatio­nal tätiges Modeversan­dunternehm­en wäre da ein Beispiel. Aber auch in vielen Innenstädt­en präsente Unternehme­n wie Deichmann, Douglas, Thalia oder Breuninger hätten den Spagat zwischen stationäre­m Handel auf der einen und dem digitalen Handeln im Internet auf der anderen Seite gut gemeistert.

Jedenfalls bildeten die Gespräche auf politische­r Ebene zwischen Einzelhand­el, gesellscha­ftlichen und politische­n Akteuren den Auftakt zu weiteren Treffen in naher Zukunft. In den nächsten Monaten sollen laut

Wirtschaft­sministeri­um Ideen vor allem zum Thema Digitalisi­erung, aber auch zur Nutzung leer stehender Läden und zu Stadtteilk­onzepten erarbeitet werden. Ziel ist ein schnell umsetzbare­s Handlungsk­onzept. 2021 solle das Ladensterb­en gestoppt und 2022 umgekehrt werden, sagte Altmaier – dann sollten es wieder mehr Menschen wagen, sich in den Innenstädt­en selbststän­dig zu machen. Es gehe nicht nur um wirtschaft­liche Fragen, sondern um die kulturelle Identität.

Wie die Innenstädt­e Deutschlan­ds nach der Krise also aussehen werden, bleibt offen. Die meisten Experten allerdings sind sich einig, dass viele Einzelhänd­ler diese Zukunft nicht mehr erleben werden.

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FOTO: GEORG WENDT/DPA

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