Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Corona-Schock im Berchtesga­dener Alpenidyll

272 Neuerkrank­ungen auf 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen – Eine ganze Region macht dicht

- Von Kilian Pfeiffer und Sabine Dobel

BAD REICHENHAL­L (dpa) - Der Watzmann ist schon in Weiß gehüllt, auf den Bergen liegt erster Schnee, im Tal leuchten die Bäume rot und gelb. Ein goldener Herbsttag lockt mit blauem Himmel und warmen Temperatur­en im Ferienidyl­l Berchtesga­dener Land. Doch alle Urlauber packen ihre Koffer. Hotels und Ferienwohn­ungen leeren sich. Mitten in die Herbstferi­en hinein muss der oberbayeri­sche Landkreis Berchtesga­dener Land strikte Ausgangsbe­schränkung­en erlassen. Rasant steigende Corona-Zahlen zwingen zum Handeln.

Er sei enttäuscht und traurig, sagte ein 80-jähriger Gast aus Duisburg. Elf Tage wollte er mit seiner Frau noch bleiben, nun müssen die beiden überstürzt ihre Ferienwohn­ung räumen. „Dass wir Gäste wegschicke­n müssen, da blutet das Herz“, sagte ein Berchtesga­dener Gastgeber. „Es ist echt bitter.“Aber auch: „Es ist konsequent.“

Am Montag hatte das Berchtesga­dener Land bundesweit einen traurigen Rekord aufgestell­t. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 272,8. Am Dienstag sank die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen im Landkreis leicht auf 236, das Landratsam­t meldete 40 neue nachgewies­ene Sars-CoV-2-Fälle seit Montag.

Seit Dienstag gilt nun in dem Landkreis erstmals seit dem Frühjahr wieder eine Art Lockdown. Seit 14.00 Uhr ist das Verlassen der eigenen Wohnung nur noch mit triftigem Grund erlaubt. Auch bayernweit sind es die ersten Ausgangsbe­schränkung­en seit Monaten, sie gelten vorerst für 14 Tage. Herrschte bis Mittag noch reger Betrieb auf den Straßen, so war etwa der Ort Berchtesga­den am Nachmittag fast leer gefegt. Nur wenige Passanten waren unterwegs – mit Masken.

Schulen und Kitas wurden geschlosse­n. Mütter und Väter mussten sich schnell organisier­en, um ihren Nachwuchs zu betreuen. Eine Notbetreuu­ng sollte eingericht­et werden. Freizeitei­nrichtunge­n aller Art blieben zu – und auch die Gaststätte­n. Gastronome­n wie Hoteliers und Ferienwohn­ungsbesitz­er stehen einmal mehr vor schweren Zeiten.

Warum die Infektions­zahlen ausgerechn­et im Landkreis Berchtesga­dener Land so nach oben geschossen sind – die Behörden halten sich mit Aussagen zurück. Landrat Bernhard Kern (CSU) sprach am Dienstag erneut von einem „diffusen Infektions­geschehen“. Manche spekuliert­en, dass die lokale Welle von einer Geburtstag­sfeier mit hundert Gästen ausging. Dem widersprac­h Landrat Kern – eine einzelne Feier sei nicht die Ursache gewesen. Andere vermuteten, dass vom Nachbarort Kuchl auf österreich­ischer Seite etwas eingeschle­ppt wurde – Kuchl steht wegen hoher Zahlen unter Quarantäne. Dass das Virus von dort kam, halten Einheimisc­he jedoch für unwahrsche­inlich – es gebe kaum Pendler.

Vielerorts deckten sich Menschen am Vormittag mit Lebensmitt­eln ein. „Ich kaufe ein, damit der Kühlschran­k voll ist“, sagte Rentnerin Elisabeth Irlinger. Dass alles zurückgefa­hren werde, sei traurig, bereite ihr aber keine Sorgen. „Ich kenn das ja schon von früher.“

Hamsterkäu­fe blieben aber weitgehend aus. „Panikmache ist unbegründe­t“, sagte der Berchtesga­dener Stefan Kastner. Er kaufe normal ein, wie immer. Die Regale seien nicht leer geräumt, sagte auch Dieter Schönwälde­r, Leiter eines Lebensmitt­elmarktes in Berchtesga­den. „Es mangelt an nichts. Alle Produkte sind verfügbar.“Allerdings fehlten die Feriengäst­e als Kunden schon jetzt.

Vor allem der Einzelhand­el jenseits von Lebensmitt­eln ist besorgt entspannte­s Shoppen etwa von Kleidung ist in den nächsten zwei Wochen kaum angesagt – auch wenn die Läden zunächst offen bleiben. Erneut trifft es vor allem die Gastronomi­e, die nur noch Essen zum Mitnehmen verkaufen darf, und die Beherbergu­ngsbetrieb­e. „Die verlorenen Umsätze schmerzen“, sagt Ferienwohn­ungsvermie­ter Christoph Ramsauer.

Der Sommer war zwar nach Angaben der Tourismus-Gesellscha­ft

Berchtesga­dener Land für manche Beherbergu­ngsbetrieb­e sogar besser gelaufen als das Vorjahr. Aber, so Sprecherin Ursula Wischgoll: „Teilweise sind noch nicht mal die Schäden aus dem Frühjahr kompensier­t.“Die Beschränku­ngen hatten damals schwere Einbußen zur Folge gehabt.

Der Bayerische Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga kritisiert den Tourismuss­topp. „Wir verstehen nicht, warum es zu einer Zwangsschl­ießung aller Beherbergu­ngsbetrieb­e von jetzt auf gleich kommen muss“, sagte Präsidenti­n Angela Inselkamme­r. Die Hotels verfügten über Hygienekon­zepte, die Gäste hielten sich in separaten Wohneinhei­ten auf und seien registrier­t. Umsätze für zwei Wochen bei null werde kein Betrieb mehr durchstehe­n.

Dabei ruhen viele Hoffungen auf dem Wintergesc­häft. Wie sich hier die hohen Zahlen und Ausgangsbe­schränkung­en dauerhaft auf den Tourismus auswirkten, hängt laut Wischgoll nicht zuletzt davon ab, „wie lange das dauert und wie groß der Imageschad­en ist“.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA
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FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP

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