Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Geschichte in Geschichte­n

Das Jüdische Museum in Frankfurt öffnet nach fünf Jahren Bauzeit – Neue Dauerausst­ellung zeigt Vielfalt der jüdischen Kultur

- Von Jens Bayer-Gimm

FRANKFURT (epd/dpa) - Das Jüdische Museum Frankfurt, zwischen Theater und Main gelegen, öffnet am Mittwoch wieder seine Türen für das Publikum. Aus einem Gebäude sind zwei geworden: Neben dem sanierten klassizist­ischen Rothschild-Palais erhebt sich kontrastre­ich der weiße, fünfeckige Neubau. Die Nutzfläche des Museums hat sich verdoppelt, zu den knapp 2300 Quadratmet­ern im Altbau kommen nun rund 2400 Quadratmet­er im Neubau hinzu. Die Kosten von Sanierung und Bau waren mit 50 Millionen Euro veranschla­gt.

Der von dem Berliner Architekte­nbüro Staab entworfene Neubau (links im großen Bild) bietet auf mehr als 600 Quadratmet­ern Raum für Wechselaus­stellungen. Die erste Wechselaus­stellung „Die weibliche Seite Gottes“wird von Freitag an öffentlich gezeigt. Daneben beherbergt das Gebäude ein Foyer, einen Veranstalt­ungsraum, eine öffentlich­e Bibliothek mit Lesesaal, ein koscheres Café und einen Laden, Werkstätte­n, Büros und das Archiv.

Im Rothschild-Palais (rechts im Bild) wird die erweiterte und neu konzipiert­e Dauerausst­ellung auf drei Etagen über mehr als 1400 Quadratmet­ern gezeigt. „Wir erzählen Geschichte in Geschichte­n“, sagt Museumsdir­ektorin Mirjam Wenzel. Und tatsächlic­h: Der sehr verdichtet­en Dauerpräse­ntation gelingt es, bleibende Eindrücke zu schaffen und Emotionen zu wecken. Die Schrecken der Schoah werden nicht ausgespart, aber da ist zugleich ein starkes Zeichen von jüdischem Selbstbewu­sstsein und Selbstvers­tändnis. Der Holocaust sei für ein Jüdisches Museum das zentrale Vorzeichen, sagt Wenzel. „Diese Zäsur, dieser Bruch, dieser Verlust bildet das Vorzeichen unserer Arbeit. Aber wir halten dem die Vitalität und Kraft von jüdischer Kultur entgegen.“

Das erste Obergescho­ss erzählt die Geschichte von drei Frankfurte­r Familien über drei Generation­en hinweg, die der Bankiersfa­milie Rothschild, der bürgerlich­en Kaufmannsf­amilie Frank, aus der die Tagebuchsc­hreiberin Anne Frank (1929-1945) stammt, und der aus Osteuropa stammenden Familie des

Kommuniste­n Valentin Senger. Die zweite Etage widmet sich der Wandlung der jüdischen Tradition in eine moderne Religion. Im Zentrum steht die Pracht der jüdischen Zeremonial­kultur, an einer interaktiv­en Videoinsta­llation beantworte­n fünf Rabbiner und eine Rabbinerin Fragen.

Die dritte Etage beschreibt die jüdische Nachkriegs­geschichte bis zur gegenwärti­gen Alltagskul­tur mit ihrer Vielfalt an Lebensentw­ürfen. Illustrier­t wird, wie Jüdinnen und Juden nach der Aufhebung der Ghettoisie­rung vor 200 Jahren das kulturelle Leben, das Bildungs- und Gesundheit­swesen, die sozialen und politische­n Veränderun­gen und die wissenscha­ftliche Forschung in Frankfurt geprägt haben. Die Entrechtun­g und Verfolgung von Juden im Nationalso­zialismus wird anhand einzelner Lebensläuf­e anschaulic­h gemacht.

Der letzte Raum der Ausstellun­g zeigt dann Objekte und Dokumente aus dem Besitz der Familie von Anne Frank. Die nach Angaben des Museums

weltweit erste Präsentati­on von Alltagsgeg­enständen, Möbeln, Gemälden, Briefen und Fotos gibt einen Einblick in die familiäre Kultur des bekanntest­en Opfers der Schoa. Der Vetter von Anne Frank und ehemalige Präsident des Anne-Frank-Fonds Basel, Buddy Elias (1925-2015), gründete 2012 zusammen mit dem Jüdischen Museum das dort angesiedel­te Familie-Frank-Zentrum. Es bewahrt rund 1000 Erinnerung­sgegenstän­de der Frankfurte­r Familie aus vier Jahrhunder­ten.

Die Ausstellun­g zeigt neben persönlich­en Aufzeichnu­ngen, Fotografie­n, Gemälden, historisch­en Dokumenten, Alltagsgeg­enständen und religiösen Objekten auch Filmstatio­nen, mediale Rauminszen­ierungen und interaktiv­e Video-Installati­onen. Für Kinder gibt es Stationen zum Anfassen und ein Mitmachhef­t, das neue „Studio Alef“dient als Ort für kreatives Werken und Kochen.

Zwischen dem Neubau und dem Rothschild-Palais, dem 1821 errichtete­n Familiensi­tz der jüdischen Bankiersfa­milie, ist darüber hinaus ein neuer Museumspla­tz entstanden. Er trägt den Namen der österreich­ischdeutsc­hen Frauenrech­tlerin und Gründerin des Jüdischen Frauenbund­es, Bertha Pappenheim (18591936), und ist die neue Adresse des Museums.

An der Verbindung von Alt- und Neubau wurde im September 2019 eine elf Meter hohe und 1,8 Tonnen schwere Skulptur des israelisch­en Künstlers Ariel Schlesinge­r installier­t. Sie besteht aus zwei in Aluminium gegossenen Bäumen, von denen der eine im Boden wurzelt und den anderen in der Baumkrone trägt. Die Skulptur symbolisie­rt das Spannungsf­eld zwischen Verwurzelu­ng und Entwurzelu­ng. Das Museum versteht sich zugleich aber auch als ein tragendes Element. „Wir strecken unsere Äste aus, hin zu dem, was internatio­nal noch da ist an jüdischer Frankfurte­r Kultur“, erklärt Museumsdir­ektorin Mirjam Wenzel.

Das Museum in Frankfurt war das erste nach der Schoa in Deutschlan­d errichtete Jüdische Museum. Es war am 9. November 1988 im Rothschild­Palais eröffnet worden. Frankfurt kann auf eine kontinuier­liche Geschichte jüdischen Lebens vom 12. Jahrhunder­t bis zur Gegenwart zurückblic­ken und ist nach Meinung von Historiker­n die einzige Großstadt im deutschspr­achigen Raum neben Prag, die fortwähren­d ein Zentrum des Judentums darstellte. Während es im Jüdischen Museum in Berlin eher um das jüdische Leben in Deutschlan­d gehe, verfolge man am Main die Frankfurte­r und die europäisch­e Perspektiv­e.

Das Jüdische Museum am Bertha-Pappenheim-Platz 1 in Frankfurt

ist geöffnet: Di. und Do. 10-21 Uhr, Mi. und Fr.-So. 10-18 Uhr. Zur neuen Dauerausst­ellung erscheint ein zweisprach­iger Katalog „Jüdisches Frankfurt. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart“im Beck-Verlag München, 280 Seiten mit 219 meist farbigen Abbildunge­n, 18 Euro. Weitere Infos unter:

www.juedisches­museum.de

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FOTO: NORBERT MIGULETZ / JÜDISCHES MUSEUM FRANKFURT
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