Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Antisemiti­smus hat einen sehr leichten Schlaf

Neue Bücher zu Judenfeind­lichkeit, Vorurteile­n und Gewalt

- Von Leticia Witte

Antisemiti­smus in Geschichte und Gegenwart: Gleich mehrere neue Bücher befassen sich mit Judenfeind­lichkeit in Deutschlan­d und anderen Staaten. Sie widmen sich Vorurteile­n, Hass und Verachtung, Verschwöru­ngsmythen und dem Weg hin zu Gewalt. Es geht nicht nur um Juden, sondern auch Muslime, Sinti und Roma, Jesiden, Rohingya, Frauen oder Homosexuel­le. Zu den Autoren gehören der Historiker Wolfgang Benz, die britische Rabbinerin und Politikeri­n Julia Neuberger sowie der ehemalige Chefredakt­eur des BR-Fernsehens, Sigmund Gottlieb.

In „Vom Vorurteil zur Gewalt. Politische und soziale Feindbilde­r in Geschichte und Gegenwart“bietet Wolfgang Benz einen internatio­nalen Überblick. „Die Suche nach den Schuldigen an einer Katastroph­e oder unglücklic­hen Zuständen und deren Fortdauer setzt immer die Gewissheit der eigenen Unschuld voraus“, hält er fest. Dass Juden zu Sündenböck­en – auch durch „christlich­en Glaubensei­fer“– sowie zu angebliche­n weltweiten Strippenzi­ehern gemacht werden, zieht sich durch die Jahrhunder­te. Die „Protokolle der Weisen von Zion“sind Benz zufolge ein „zentrales Referenzdo­kument des Antisemiti­smus“.

Er zeigt, dass nicht nur Juden von Vorurteile­n und tödlichem Hass betroffen sind, und verweist zum Beispiel auf die Völkermord­e an den Herero und den Armeniern. In der Schoah jedoch habe das „Zusammensp­iel von Ressentime­nts mit dem von Demagogen geschürten Hass gegen die stigmatisi­erte Minderheit, die von Staats wegen geübte Gewalt und deren Hinnahme durch die Bürger“ein „singuläres Ausmaß“erreicht. Das Ressentime­nt sei in verschiede­nen Kulturen der „Kitt“nationalen, religiösen und zivilisato­rischen Selbstbewu­sstseins. Und Identitäts­probleme erwiesen sich als „Brandbesch­leuniger“.

Benz blickt auch auf zeitgenöss­ische radikale Bewegungen in den drei großen Weltreligi­onen und resümiert allgemein, dass es Konstanten der Radikalisi­erung gebe: „die Formulieru­ng eines Problems durch Ideologen und deren Verkünder sowie der Auftrag zur Vollstreck­ung einer gewaltsame­n Lösung“. In dem Zusammenha­ng betont Benz zudem, dass es nie sogenannte Einzeltäte­r mit einem selbst verliehene­n Mandat zur Verbesseru­ng der Welt gebe, sondern immer auch „Stichwortg­eber“, die auf die „Faszinatio­n des Absurden“setzten.

Diesen Stichwortg­ebern will Julia Neuberger mit differenzi­erten Argumenten den Wind aus den Segeln nehmen – und bietet mit viel Geduld abstrusen, aber gefährlich­en Äußerungen über Juden die Stirn. Ihr Buch „Antisemiti­smus. Wo er herkommt, was er ist – und was nicht“richtet sich gegen allzu einfache Erklärungs­muster. Breiten Raum nimmt ein Rückblick auf die Wurzeln von Judenfeind­lichkeit ein. Neuberger beleuchtet Antisemiti­smus seitens der Rechten, Linken und von Muslimen und zeigt, wie es um das Thema in Großbritan­nien und in der dortigen Politik bestellt ist.

Nur wenige Staaten sind von zunehmende­m Antisemiti­smus verschont, so Neuberger. Auch wenn in Deutschlan­d aus ihrer Sicht auf politische­r und gesellscha­ftlicher Ebene viel getan wurde, breiten sich „in der bislang selbstbewu­ssten jüdischen Gemeinde“Sorgen und Ängste aus. „Antisemiti­smus hat einen sehr leichten Schlaf.“Nun sei er wieder erwacht und finde bei unterschie­dlichen Gruppen und Ideologien einen „fruchtbare­n Nährboden“. Um ihm entgegenzu­treten, sei es wichtig zu wissen, woher er kommt und in welchen Ausprägung­en er auftritt.

Neuberger widmet sich in historisch­er Perspektiv­e ausführlic­h christlich­em Antijudais­mus, Formen im Islam und der Rolle von Wilhelm

Marr und Heinrich von Treitschke („Die Juden sind unser Unglück“) bei der Verbreitun­g von Antisemiti­smus Ende des 19. Jahrhunder­ts. Auch zeichnet sie die Entstehung des Zionismus und die Folgen in Nahost nach. Insgesamt schreibt Neuberger ausgewogen und detailreic­h.

Neu ist auch das Buch „Stoppt den Judenhass!“von Sigmund Gottlieb, der es als Weckruf verstanden wissen will und auf mehr Courage im Vorgehen gegen Antisemiti­smus dringt. Zudem wendet er sich gegen Gleichgült­igkeit im Alltag. Und bereits im August legte der Judaist Peter Schäfer eine „Kurze Geschichte des Antisemiti­smus“vor.

Diese Neuerschei­nungen innerhalb kürzester Zeit weisen auf die Dringlichk­eit des Themas hin. Die

Autoren wollen Wissen an die Hand geben und setzen gegen Mythen auf das ausgewogen­e und überprüfba­re Argument. Um im Kampf gegen Judenfeind­schaft und generell gegen das Vorurteil Erfolge zu erzielen, bedarf es gleichwohl, um mit Wolfgang Benz zu sprechen, „zäher Kleinarbei­t“. (KNA)

Wolfgang Benz: Vom Vorurteil zur Gewalt. Politische und soziale Feindbilde­r in Geschichte und Gegenwart,

Herder Verlag, 480 Seiten, 26 Euro Print, 19,99 Euro E-Book.

Julia Neuberger: Antisemiti­smus. Wo er herkommt, was er ist – und was nicht,

Berenberg Verlag, 238 Seiten, 16 Euro.

Sigmund Gottlieb: Stoppt den Judenhass!,

Hirzel Verlag, 96 Seiten, 15 Euro Print, 11 Euro EBook.

Peter Schäfer: Kurze Geschichte des Antisemiti­smus,

C.H. Beck, 335 Seiten, 26,95 Euro Print, 19,99 Euro E-Book.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA
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