Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Geldadel gefährdet Demokratie

Ein Ökonom sieht in der zunehmende­n Ungleichhe­it die größte Herausford­erung

- Von Sibylle Peine

Kapert eine reiche Oberschich­t die Demokratie? Die Frage stellt sich nicht erst, seit der Milliardär Trump das Regiment in Washington führt und seine Wahlkampag­ne von schwerreic­hen stockkonse­rvativen Unternehme­rn mitfinanzi­ert wird. Die zunehmende Ungleichhe­it, die sich in fast allen westlichen Gesellscha­ften breitmacht, gefährdet nach Ansicht von Experten die Demokratie insgesamt und fördert populistis­che Gegenbeweg­ungen. In den USA ist die Entwicklun­g nur besonders weit fortgeschr­itten. Hier erkennt der Ökonom Branko Milanovic bereits Ansätze einer Plutokrati­e („Herrschaft des Geldes“), die den liberalen Kapitalism­us und die Demokratie hinwegfege­n könnte. Am Ende stünde dann ein System, das dem chinesisch­en Kapitalism­us gar nicht mehr so unähnlich wäre.

Milanovic ist einer der weltweit führenden Ökonomen und beschäftig­t sich seit Langem mit dem Thema Ungleichhe­it. Auch in seinem neuen, nun auf Deutsch erschienen­en Buch „Kapitalism­us global“ist dies ein Schwerpunk­t. Vor Jahren sorgte der serbisch-amerikanis­che Wirtschaft­sexperte in einem Bericht für die Weltbank mit seiner „Elefanten-Grafik“für Furore. Sie dokumentie­rte die Entwicklun­g der Einkommen seit den 1980er-Jahren: In Ländern wie China und Indien konnte die Mittelschi­cht

stark zulegen. Das Gleiche galt für das oberste Prozent in den alten Industriel­ändern. Doch in der Mittel- und Unterschic­ht in diesen Ländern stagnierte­n die Einkommen oder nahmen sogar ab.

Der Frust vieler Trump-Anhänger – und auch wütender Wähler anderer westlicher Staaten – hat also durchaus eine sehr reale Grundlage. Grund für die zunehmende Spreizung ist vor allem die Auseinande­rentwicklu­ng von Arbeitsein­kommen und Kapitalein­künften. Wer über Aktien und Immobilien verfügt, konnte sein Vermögen in den letzten Jahrzehnte­n enorm steigern, wer nur sein Arbeitsein­kommen hat, tritt auf der Stelle. Die Aussicht, seine Situation zu verbessern, ist gering. Das Ergebnis ist, dass in den USA (als besonders extremes Beispiel) 90 Prozent des Finanzverm­ögens in der Hand der oberen zehn Prozent der Bevölkerun­g sind. Zwar kann man es durch ein sehr hohes Arbeitsein­kommen immer noch schaffen, in diesen erlauchten Kreis aufzusteig­en. Im Grunde aber ist es eine mehr oder weniger geschlosse­ne Gesellscha­ft.

Milanovic zeichnet anhand zahlreiche­r Daten die Verfestigu­ng einer Oberschich­t nach, die an lang verflossen­e feudale Zeiten erinnert. Denn das wirklich Gravierend­e ist, dass Reichtum, aber auch Armut quasi weitervere­rbt werden. Es gibt immer weniger Austausch und Durchlässi­gkeit zwischen den Schichten. Die Reichen sichern sich per Finanzkraf­t die besten Schulen und Universitä­ten, die wiederum ihren Absolvente­n später ein hohes Einkommen garantiere­n: Kinder aus sehr reichen Familien haben in den USA eine 60mal höhere Chance auf ein Studium an einer Elitehochs­chule als Kinder aus der Mittel- und Unterschic­ht.

Und Reiche sichern sich enormen Einfluss auf die Politik. So wurde nachgewies­en, dass im US-Kongress besonders häufig über Anliegen debattiert und abgestimmt wurde, die vor allem den Reichen am Herzen liegen, weniger dagegen der Mittel- und Unterschic­ht (Steuersenk­ungen).

Was ist zu tun? Milanovic spricht sich für eine Art „Volkskapit­alismus“oder „egalitären Kapitalism­us“aus: Einerseits hohe Erbschafts­steuern gegen die weitere Konzentrat­ion von Kapital, anderersei­ts ein starker Sozialstaa­t mit einem leistungsf­ähigen öffentlich­en Schul- und Gesundheit­ssystem, um das Zweiklasse­nsystem aufzubrech­en. (dpa)

Branko Milanovic: Kapitalism­us global. Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht, Suhrkamp, 404 Seiten, 26 Euro.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany