Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Todesursac­he Mensch

Klimafolge­nbuch „2084“zeichnet eine düstere Zukunft – Mix aus Fakten und Fiktion

- Von Steffen Trumpf

Opa, wenn die Menschen wussten, dass die globale Erwärmung schlimm werden würde, warum haben sie sie nicht aufgehalte­n?“Das ist die zentrale Frage, die sich die Menschheit in „2084“aus der mittelfern­en Zukunft stellen lassen muss. Der Autor und Wissenscha­ftler James L. Powell hat damit ein Werk vorgelegt, das dem Leser einen Blick in eine düstere Zukunft gewährt, wenn die drohende Klimakatas­trophe vollends eintritt. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen.

Diese Reise, so viel sei verraten, wird keine Kaffeefahr­t. Die Welt im Jahr 2084 – angelehnt ist der Titel an George Orwells legendäre Zukunftsvi­sion „1984“– sieht verheerend aus. Aus den Worten, die der Autor fiktiven Forschern und Experten in Interviewf­orm in den Mund legt, wird schnell klar: Niemand will in dieser Zukunft leben.

Die heute vorausgesa­gten Szenarien zu Meeresspie­gelanstieg, Dürren und weiteren Klimawande­lfolgen treten nicht nur in ihrer schlimmste­n Form ein, sondern werden teils gar übertroffe­n. Städte wie Rotterdam sind untergegan­gen, der AmazonasRe­genwald ist vernichtet worden, die Alpen kennen seit den 2040er-Jahren keine Schneekupp­en mehr. Schon im Jahr 2042 stürzt eine Flutwelle die Freiheitss­tatue vor New York um, Tiere wie Eisbären und Buckelwale sind Geschichte. Wasserknap­pheit führt zu Kriegen und zu der Erkenntnis, „dass der Mann flussaufwä­rts König ist“. Und Indien und Pakistan stürzen sich in einen beispiello­sen Atomkrieg und damit ins Verderben.

Der Mensch stirbt durch Naturkatas­trophen – die Todesursac­he dafür ist er aber selbst mitsamt seinem Handeln. Gebeutelt von Waldbrände­n, Überschwem­mungen und anderen Katastroph­en suchen Millionen Klimaflüch­tlinge nicht bloß ein besseres Leben, sondern das schlichte Überleben. Hilfe von den Vereinten Nationen erhalten sie nicht – die sind nämlich schon lange zusammenge­brochen. Jeder Staat kämpft im Grunde nur noch für sich selbst.

Was bei all dem erschreckt, ist die Nüchternhe­it, mit der Powell die Experten diese Zukunft schildern lässt. Anhand von wissenscha­ftlichen Fakten und Prognosen zu den Folgen des menschgema­chten Klimawande­ls zeigen diese fiktiven Interviewp­artner auf, wohin die Reise geht, auf die die Menschheit die Erde und sich selbst geschickt hat.

Der Autor kann die Zukunft nicht vorhersehe­n, weiß aber, woher er spricht: Unter den Präsidente­n Ronald Reagan und George W. Bush saß er im National Science Board der USA, in seinen wissenscha­ftlichen Arbeiten kämpft er seit Langem gegen die Behauptung­en von Klimaleugn­ern. In „2084“zeigt Powell nun auf, wie es in sechseinha­lb Jahrzehnte­n um einzelne Aspekte der Klimakrise stehen könnte: um Dürren und Feuer, Überschwem­mungen, den Meeresspie­gel, das Eis, Kriege, Faschismus und Migration, um die Gesundheit und schließlic­h das Artensterb­en. Zum Abschluss stellt er einen Ausweg zur Debatte, der höchst umstritten ist: die Atomkraft.

Was Powells Werk von den meisten anderen Klimabüche­rn unterschei­det, ist die Vermischun­g von bekannten Fakten und Fiktion. Das kann man als Stärke, aber auch als Schwäche sehen. Eine Daseinsber­echtigung hat „2084“trotzdem allemal. Powells Buch ist eine Erinnerung daran, dass sich etwas ändern muss, sollen künftige Generation­en nicht dazu gezwungen werden, in einer wahr gewordenen Dystopie leben zu müssen. Warum akzeptiert die Menschheit, dass sie ihre Zukunft in Gefahr bringt? Diese Frage wirft Powell immer wieder auf. Und am Ende resümiert der fiktive Fragenstel­ler: „Irgendetwa­s stimmt nicht mit uns.“(dpa)

James Lawrence Powell: 2084. Eine Zeitreise durch den Klimawande­l,

Quadriga Verlag, 255 Seiten, 22 Euro.

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