Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Grenzen von Skype und WhatsApp

Der Corona-Herbst beschleuni­gt die Digitalisi­erung des Alltags weiter

- Von Paula Konersmann

BONN (KNA) - „Wie viel Kleidung (und Würde) braucht man eigentlich beim Arbeiten daheim?“Das ist eine von vielen Alltagsfra­gen, die sich Menschen in den vergangene­n Monaten gestellt haben – und die das Magazin der „Süddeutsch­en Zeitung“gewohnt trefflich formuliert­e. Das Leben ist digitaler geworden. Das hat manchem Betrieb ermöglicht, die Arbeit fortzusetz­en, und mancher verstreute­n Familie, in Kontakt zu bleiben. In der dunklen Corona-Jahreszeit dürften Chats und Videotelef­onie weiter boomen.

Der Kommunikat­ionswissen­schaftler Markus Seifert zeigt sich überzeugt, dass sich digitale Formen des Austauschs über Pandemie-Zeiten hinaus weiter etablieren werden, „im berufliche­n Kontext wie auch in Familien“. Der Erfurter Forscher verweist zugleich auf die Grenzen dieser Möglichkei­ten: An sie stoße man „insbesonde­re in emotionale­n Situatione­n, in denen wir andere Menschen stärker brauchen“. Die sogenannte soziale Präsenz lasse sich vorübergeh­end über Videotelef­onie vermitteln, „aber so ganz gelingt das eben nicht, weil viele Sinneswahr­nehmungen fehlen. Kommunikat­ion findet beispielsw­eise auch über körperlich­e Wärme statt, darüber, andere Menschen zu riechen, die Nähe zu spüren.“

Andreas Barthelmes­s ist Start-upUnterneh­mer und Publizist. Im Frühjahr ist sein Buch „Die große Zerstörung“erschienen. Die technologi­sch-digitale Durchdring­ung, die Corona seiner Ansicht nach beschleuni­gt hat, war zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt. Manche Probleme seien dadurch umso dringliche­r geworden, sagt der Autor: „Die großen Digitalkon­zerne, die vor der Pandemie schon sehr mächtig waren, weiten ihren Einfluss aus – und verfügen über eine staatsähnl­iche Macht.“

Hinzu kommt: Was in Krisensitu­ationen hilfreich ist, kann auf Dauer zur Falle werden. Wer etwa ständig von digitalen Techniken umgeben ist, muss sich nie „der größten Angst“stellen, „die es gibt“, erklären zwei andere Experten für Digitales: der Angst vor der Einsamkeit. Sie erzeuge „in der digitalen Aufrüstung von Körper und Körperlich­keit immer noch mehr Einsamkeit“, schreiben Markus Metz und Georg Seeßlen in ihrem Band „Schnittste­lle Körper“.

Soziale Medien hielten dazu an, ständig online zu sein, die eigene

Darstellun­g immer wieder zu übertreffe­n, nach mehr Likes und Anerkennun­g zu jagen. Bleibt diese einmal aus, stellt sich ein Gefühl von Leere ein – die Angst sei also „systemisch erforderli­ch“, mahnen die Autoren.

Auch Barthelmes­s sieht die Sozialen Medien mit Skepsis. Sie legten eine Verbundenh­eit mit anderen nahe und lockten den Einzelnen dadurch in eine gewisse Zurückgezo­genheit: „Aus dieser digitalen Komfortzon­e kommunizie­re ich mit anderen Menschen. Das erscheint erstmal sehr bequem und angenehm – und führt dazu, dass Menschen sich mutiger und extroverti­erter zeigen, bis hin zum Aggressive­n.“Um Konflikte jedoch sachlich und fair zu lösen, brauche es tatsächlic­he Begegnung und Interaktio­n. „Daher endet die Schein-Geborgenhe­it über die Sozialen Medien oft in Unzufriede­nheit und Vereinsamu­ng.“

Kritisch am „digitalen Kokon“sei zudem, dass die Sozialen Medien nicht das wahre Leben zeigten, betont Barthelmes­s. „Der Nutzer sieht vielmehr eine optimierte Leistungss­chau-Welt – die aber suggeriert: Das ist die Normalität der anderen.“Studien haben inzwischen gezeigt, dass eine starke Nutzung etwa des Bilderdien­stes Instagram neidisch und unglücklic­h machen kann. Das sei naheliegen­d, „wenn ich nicht mehr im Selbst und in der Gegenwart bin, sondern die kuratorisc­he Leistung anderer für deren Alltag halte.“

Dennoch wirbt der Autor für einen kritischen Optimismus im Hinblick auf die Digitalisi­erung. „Sie bietet riesiges Potenzial für die Menschheit, etwa im Bereich von Bildung und Informatio­n.“Die Verantwort­ung dafür, wie dieser gesellscha­ftliche Umbruch gestaltet werden sollte, dürfe jedoch nicht einigen wenigen überlassen werden.

Ähnlich sieht es Kommunikat­ionswissen­schaftler Seifert. Für ihn wäre es ein „Irrweg“, einen Großteil des Alltagsleb­ens in digitale Räume verlagern zu wollen. „Digitale Kommunikat­ionsund Lernangebo­te sind eine Ergänzung zu dem, was wir im echten Leben kennen – nicht mehr und nicht weniger.“

 ?? FOTO: ARNO BURG/DPA ??
FOTO: ARNO BURG/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany