Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Seniorenheim Laichingen kämpft weiter gegen Corona
Zwei neue Todesfälle zu beklagen – Mitarbeiter arbeiten in voller Schutzausrüstung – Inzidenzwert steigt auf 99,5
LAICHINGEN - Das Laichinger Seniorenzentrum hat in den vergangenen Tagen mit einem großen Corona-Ausbruch deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt. 42 Bewohner des Hauses und 22 Mitarbeiter (Stand Mittwochmittag) sind am Virus erkrankt. Konsequenz ist ein absolutes Besuchsverbot. Die aktuellen Ausbruchsgeschehen in den Seniorenzentren wirken sich stark auf den Wert der 7-Tage-Inzidenz für den Alb-Donau-Kreis aus, am Mittwochabend stieg der Wert auf 99,5. Wegen der notwendigen Schutzmaßnahmen im Laichinger Seniorenheim steht das Landratsamt des AlbDonau-Kreises in engem Austausch mit der Heimleitung und lässt sich fortlaufend berichten. Mittlerweile beläuft sich die Zahl der Todesfälle auf sechs.
Normalerweise ist für die Medikamentenlieferanten, die beinahe täglich einen Stopp am Laichinger Seniorenzentrum einlegen, immer ein kurzes Schwätzchen drin, wenn sie durch die silbernen Doppeltüren zum Empfang gehen und dort ihre Lieferungen abgeben. Seit vergangener Woche, als klar wurde, dass das Haus mit einem umfangreichen Corona-Ausbruch (anfangs 21 betroffene Bewohner und zehn Mitarbeiter) zu kämpfen hat, ist das anders. Die Lieferantin, die am Mittwochnachmittag kommt, parkt ihr Fahrzeug, auf dessen Seiten das Logo eines großen deutschen Pharmakonzerns prangt, vor dem Haus und klopft wortlos an das Fenster neben dem Eingang. Eine Mitarbeiterin des Seniorenheims öffnet, grüßt wortlos mit einem Nicken und nimmt die Medikamente entgegen. Sie trägt Mundschutz, Kopfhaube und einen gelben Plastikponcho über der ansonsten weißen Pflegebekleidung und Nitril-Handschuhe.
Trotz des nur kurzen Kontakts merkt man deutlich, die Pflegerin ist angespannt. Der Stress und der Druck der vergangenen Tage, der auch weiterhin anhält, steht ihr sichtlich auf der Stirn geschrieben. Diese und die Augenpartie sind die einzigen Körperteile, die nicht von Schutzkleidung bedeckt sind. Das Fenster schließt sich so schnell, wie es sich geöffnet hat. Wie das Virus in die Einrichtung kam, ist nach wie vor unklar. „Wir gehen aber nicht zuletzt aufgrund der hohen Zahl davon aus, dass es mehrere Ursachen gibt. Zum einen haben natürlich auch unsere Mitarbeiter ein Privatleben und können sich – wie jeder andere auch – da auch angesteckt haben. Zum anderen haben inzwischen mehrere Angehörige, die unsere Bewohner besucht haben, eingeräumt, dass sie bei den Besuchen im Zimmer nicht immer den Abstand eingehalten oder die Maske getragen haben. Es ist also durchaus möglich, dass das Virus auch auf diesem Weg in die Einrichtung kam“, erklärt die Pressesprecherin des Unternehmens, Daniela Rieker.
Mittlerweile fallen in Laichingen 22 Mitarbeiter aufgrund von Corona aus. Ein Ausfall, der in der ohnehin angespannten Lage in der Pflegebranche umso schwerer wiegt. „Die Situation in Laichingen verfolgen wir natürlich mit großer Sorge. Unsere Gedanken sind nach wie vor bei den erkrankten Bewohnern und Mitarbeitern, aber selbstverständlich denken wir auch an die Familien, die nun durch dieses Virus den Partner, den Großvater oder die Ur-Oma verloren haben. Natürlich versuchen wir herauszufinden, ob wir etwas hätten tun können, das einen solchen Ausbruch hätte verhindern können. In diesem Zuge appellieren wir auch an unsere Mitarbeiter im gesamten Unternehmen, bei allen beruflichen und privaten Handlungen das Risiko immer mitzubedenken. Genauso wichtig ist uns aber auch, dass alle, die in der aktuellen Infektionslage ein Pflegeheim besuchen oder ihren Angehörigen mit nach Hause nehmen wollen, sich der Gefahr einer möglichen Ansteckung bewusst werden und bitten sie, die in den Einrichtungen geltenden Hygieneregeln unbedingt einzuhalten“, erklärte Verena Rist, Geschäftsführerin der Pflegeheim GmbH.
Mittlerweile setzt die ADK GmbH Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen, aber auch die Mitarbeiter der Tagespflege und weitere Mitarbeiter aus anderen Einrichtungen ein. Daniela Rieker erklärt: „Es wird niemand ,zwangsverpflichtet’, aber natürlich kommt uns in einer solchen Situation zugute, dass wir eine Unternehmensgruppe mit zahlreichen Einrichtungen im Bereich der Pflege und Medizin sind.“Die Mitarbeiter tragen zudem nun bei allen körpernahen Tätigkeiten eine FFP2-Maske oder volle Schutzausrüstung, wenn sie erkrankte Bewohner versorgen.
Vorplatz und Hinterhof des Hauses, ja auch die von außen sichtbaren Gruppenräume wirken wie das gesamte Areal gespenstisch leer. Besucher kommen außer der Medikamentenbotin
keine. Gerade nachmittags zur Kaffeezeit kommen sonst viele Angehörige. Lediglich ein Bewohner ist kurz in einem der oberen Geschosse am geöffneten Fenster zu sehen, bevor man ihn jedoch nach der Situation drinnen fragen kann, ist er schon wieder verschwunden. Die triste Stimmung, die das Haus von außen vermittelt, wird im Inneren nicht weniger.
Die Betreibergesellschaft, die ADK GmbH, hat, wie vom Gesundheitsamt angeordnet, nach Auftreten der ersten Fälle alle Bewohner in ihren Zimmern isoliert. Mittlerweile sind vier von ihnen an der Krankheit verstorben. Die Situation ist ernst, sehr ernst. Immer wieder sind Seniorenheime Hot-Spots der Pandemie. Im Alb-Donau-Kreis hatten früher im Jahr bereits das Haus St. Elisabeth in Oberdischingen und das Haus Kathrin in Ehingen mit Ausbruchsgeschehen zu kämpfen und Tote zu beklagen. Mit dem Seniorenzentrum in Blaustein ist noch eine zweite Einrichtung betroffen. Klar sei, dass es umso schwieriger werde, die Betriebe aufrecht zu erhalten, je mehr Mitarbeiter positiv getestet werden und ausfallen, aber letztlich sei die Situation zu ernst, um hier darüber zu spekulieren wie die Situation sich weiter entwickle. Konkret habe das derzeitige Infektionsgeschehen aber keine Auswirkungen auf andere Einrichtungen im Kreis.
Gerade ältere Mitmenschen mit schwächerem Immunsystem, welches durch die aktuelle Grippesaison noch mehr belastet ist, werden nicht umsonst als Risikogruppe Nummer 1 gelistet. Und auch wenn nach aktuellem Stand das betreute Wohnen im Komplex und der ambulante Pflegedienst nicht betroffen sind, ist die Stimmung in Laichingen angespannt. Laut einer Bürgerin, deren Mutter im betreuten Wohnen lebt, glauben jetzt viele Menschen in Laichingen und der Region, dass das ganze Zentrum vom Virus betroffen sei. Die Angst ist groß, dass sich weitere Bewohner der Anlage mit dem Virus infizieren und vielleicht auch sterben könnten. „Die medizinische Betreuung läuft hauptsächlich über zwei niedergelassene Ärzte, die sich sehr toll um die Bewohner kümmern. Die Frage einer möglichen Krankenhauseinweisung treffen die Bewohner oder deren Angehörige, von denen die meisten in der schwierigen Situation sehr verständnisvoll reagieren würden, gegebenenfalls auch in Abstimmung mit den Ärzten“, berichtet Daniela Rieker. Sie und das Haus stünden in ständigem Austausch mit den Angehörigen. Neben den mittlerweile sechs zu beklagenden Todesfällen sind fünf weitere Bewohner aktuell in kritischem Zustand. „Diese Situation verändert sich laufend, weil es zum einen Bewohner gibt, denen es wieder besser geht, zum anderen aber auch Bewohner, deren Zustand sich akut sehr schnell verschlechtert.“
Die Verwaltung hat ebenfalls auf die steigenden Fallzahlen reagiert. Rathaus und Ortsverwaltungen sind seit Dienstag für den Publikumsverkehr wieder geschlossen, die Verwaltung ist für die Bürger fast nur noch telefonisch zu erreichen. Bürgermeister Klaus Kaufmann, der lange Zeit stolz auf den niedrigen Infektionswert in Laichingen war, aber gleichzeitig immer wieder die Hygieneregeln anmahnte, appellierte nochmals öffentlich an die Bürger, Abstand zu halten, Masken zu tragen, zu lüften, die Hände zu waschen und persönliche Kontakte zu reduzieren. „Damit wir die Situation jetzt schnell wieder in den Griff bekommen und keine ungehinderte Ausbreitung des Virus in unserer Bevölkerung eintritt, arbeitet die Stadtverwaltung zusammen mit dem Gesundheitsamt mit Hochdruck daran, die Infektionsketten und Kontakte infizierter Personen nachzuverfolgen und Sorge dafür zu tragen, dass die angeordnete Quarantäne von allen Betroffenen auch strikt eingehalten wird“, so Kaufmann am Mittwoch.