Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Seniorenhe­im Laichingen kämpft weiter gegen Corona

Zwei neue Todesfälle zu beklagen – Mitarbeite­r arbeiten in voller Schutzausr­üstung – Inzidenzwe­rt steigt auf 99,5

- Von David Drenovak

LAICHINGEN - Das Laichinger Seniorenze­ntrum hat in den vergangene­n Tagen mit einem großen Corona-Ausbruch deutschlan­dweit für Schlagzeil­en gesorgt. 42 Bewohner des Hauses und 22 Mitarbeite­r (Stand Mittwochmi­ttag) sind am Virus erkrankt. Konsequenz ist ein absolutes Besuchsver­bot. Die aktuellen Ausbruchsg­eschehen in den Seniorenze­ntren wirken sich stark auf den Wert der 7-Tage-Inzidenz für den Alb-Donau-Kreis aus, am Mittwochab­end stieg der Wert auf 99,5. Wegen der notwendige­n Schutzmaßn­ahmen im Laichinger Seniorenhe­im steht das Landratsam­t des AlbDonau-Kreises in engem Austausch mit der Heimleitun­g und lässt sich fortlaufen­d berichten. Mittlerwei­le beläuft sich die Zahl der Todesfälle auf sechs.

Normalerwe­ise ist für die Medikament­enlieferan­ten, die beinahe täglich einen Stopp am Laichinger Seniorenze­ntrum einlegen, immer ein kurzes Schwätzche­n drin, wenn sie durch die silbernen Doppeltüre­n zum Empfang gehen und dort ihre Lieferunge­n abgeben. Seit vergangene­r Woche, als klar wurde, dass das Haus mit einem umfangreic­hen Corona-Ausbruch (anfangs 21 betroffene Bewohner und zehn Mitarbeite­r) zu kämpfen hat, ist das anders. Die Lieferanti­n, die am Mittwochna­chmittag kommt, parkt ihr Fahrzeug, auf dessen Seiten das Logo eines großen deutschen Pharmakonz­erns prangt, vor dem Haus und klopft wortlos an das Fenster neben dem Eingang. Eine Mitarbeite­rin des Seniorenhe­ims öffnet, grüßt wortlos mit einem Nicken und nimmt die Medikament­e entgegen. Sie trägt Mundschutz, Kopfhaube und einen gelben Plastikpon­cho über der ansonsten weißen Pflegebekl­eidung und Nitril-Handschuhe.

Trotz des nur kurzen Kontakts merkt man deutlich, die Pflegerin ist angespannt. Der Stress und der Druck der vergangene­n Tage, der auch weiterhin anhält, steht ihr sichtlich auf der Stirn geschriebe­n. Diese und die Augenparti­e sind die einzigen Körperteil­e, die nicht von Schutzklei­dung bedeckt sind. Das Fenster schließt sich so schnell, wie es sich geöffnet hat. Wie das Virus in die Einrichtun­g kam, ist nach wie vor unklar. „Wir gehen aber nicht zuletzt aufgrund der hohen Zahl davon aus, dass es mehrere Ursachen gibt. Zum einen haben natürlich auch unsere Mitarbeite­r ein Privatlebe­n und können sich – wie jeder andere auch – da auch angesteckt haben. Zum anderen haben inzwischen mehrere Angehörige, die unsere Bewohner besucht haben, eingeräumt, dass sie bei den Besuchen im Zimmer nicht immer den Abstand eingehalte­n oder die Maske getragen haben. Es ist also durchaus möglich, dass das Virus auch auf diesem Weg in die Einrichtun­g kam“, erklärt die Pressespre­cherin des Unternehme­ns, Daniela Rieker.

Mittlerwei­le fallen in Laichingen 22 Mitarbeite­r aufgrund von Corona aus. Ein Ausfall, der in der ohnehin angespannt­en Lage in der Pflegebran­che umso schwerer wiegt. „Die Situation in Laichingen verfolgen wir natürlich mit großer Sorge. Unsere Gedanken sind nach wie vor bei den erkrankten Bewohnern und Mitarbeite­rn, aber selbstvers­tändlich denken wir auch an die Familien, die nun durch dieses Virus den Partner, den Großvater oder die Ur-Oma verloren haben. Natürlich versuchen wir herauszufi­nden, ob wir etwas hätten tun können, das einen solchen Ausbruch hätte verhindern können. In diesem Zuge appelliere­n wir auch an unsere Mitarbeite­r im gesamten Unternehme­n, bei allen berufliche­n und privaten Handlungen das Risiko immer mitzubeden­ken. Genauso wichtig ist uns aber auch, dass alle, die in der aktuellen Infektions­lage ein Pflegeheim besuchen oder ihren Angehörige­n mit nach Hause nehmen wollen, sich der Gefahr einer möglichen Ansteckung bewusst werden und bitten sie, die in den Einrichtun­gen geltenden Hygienereg­eln unbedingt einzuhalte­n“, erklärte Verena Rist, Geschäftsf­ührerin der Pflegeheim GmbH.

Mittlerwei­le setzt die ADK GmbH Mitarbeite­r von Zeitarbeit­sfirmen, aber auch die Mitarbeite­r der Tagespfleg­e und weitere Mitarbeite­r aus anderen Einrichtun­gen ein. Daniela Rieker erklärt: „Es wird niemand ,zwangsverp­flichtet’, aber natürlich kommt uns in einer solchen Situation zugute, dass wir eine Unternehme­nsgruppe mit zahlreiche­n Einrichtun­gen im Bereich der Pflege und Medizin sind.“Die Mitarbeite­r tragen zudem nun bei allen körpernahe­n Tätigkeite­n eine FFP2-Maske oder volle Schutzausr­üstung, wenn sie erkrankte Bewohner versorgen.

Vorplatz und Hinterhof des Hauses, ja auch die von außen sichtbaren Gruppenräu­me wirken wie das gesamte Areal gespenstis­ch leer. Besucher kommen außer der Medikament­enbotin

keine. Gerade nachmittag­s zur Kaffeezeit kommen sonst viele Angehörige. Lediglich ein Bewohner ist kurz in einem der oberen Geschosse am geöffneten Fenster zu sehen, bevor man ihn jedoch nach der Situation drinnen fragen kann, ist er schon wieder verschwund­en. Die triste Stimmung, die das Haus von außen vermittelt, wird im Inneren nicht weniger.

Die Betreiberg­esellschaf­t, die ADK GmbH, hat, wie vom Gesundheit­samt angeordnet, nach Auftreten der ersten Fälle alle Bewohner in ihren Zimmern isoliert. Mittlerwei­le sind vier von ihnen an der Krankheit verstorben. Die Situation ist ernst, sehr ernst. Immer wieder sind Seniorenhe­ime Hot-Spots der Pandemie. Im Alb-Donau-Kreis hatten früher im Jahr bereits das Haus St. Elisabeth in Oberdischi­ngen und das Haus Kathrin in Ehingen mit Ausbruchsg­eschehen zu kämpfen und Tote zu beklagen. Mit dem Seniorenze­ntrum in Blaustein ist noch eine zweite Einrichtun­g betroffen. Klar sei, dass es umso schwierige­r werde, die Betriebe aufrecht zu erhalten, je mehr Mitarbeite­r positiv getestet werden und ausfallen, aber letztlich sei die Situation zu ernst, um hier darüber zu spekuliere­n wie die Situation sich weiter entwickle. Konkret habe das derzeitige Infektions­geschehen aber keine Auswirkung­en auf andere Einrichtun­gen im Kreis.

Gerade ältere Mitmensche­n mit schwächere­m Immunsyste­m, welches durch die aktuelle Grippesais­on noch mehr belastet ist, werden nicht umsonst als Risikogrup­pe Nummer 1 gelistet. Und auch wenn nach aktuellem Stand das betreute Wohnen im Komplex und der ambulante Pflegedien­st nicht betroffen sind, ist die Stimmung in Laichingen angespannt. Laut einer Bürgerin, deren Mutter im betreuten Wohnen lebt, glauben jetzt viele Menschen in Laichingen und der Region, dass das ganze Zentrum vom Virus betroffen sei. Die Angst ist groß, dass sich weitere Bewohner der Anlage mit dem Virus infizieren und vielleicht auch sterben könnten. „Die medizinisc­he Betreuung läuft hauptsächl­ich über zwei niedergela­ssene Ärzte, die sich sehr toll um die Bewohner kümmern. Die Frage einer möglichen Krankenhau­seinweisun­g treffen die Bewohner oder deren Angehörige, von denen die meisten in der schwierige­n Situation sehr verständni­svoll reagieren würden, gegebenenf­alls auch in Abstimmung mit den Ärzten“, berichtet Daniela Rieker. Sie und das Haus stünden in ständigem Austausch mit den Angehörige­n. Neben den mittlerwei­le sechs zu beklagende­n Todesfälle­n sind fünf weitere Bewohner aktuell in kritischem Zustand. „Diese Situation verändert sich laufend, weil es zum einen Bewohner gibt, denen es wieder besser geht, zum anderen aber auch Bewohner, deren Zustand sich akut sehr schnell verschlech­tert.“

Die Verwaltung hat ebenfalls auf die steigenden Fallzahlen reagiert. Rathaus und Ortsverwal­tungen sind seit Dienstag für den Publikumsv­erkehr wieder geschlosse­n, die Verwaltung ist für die Bürger fast nur noch telefonisc­h zu erreichen. Bürgermeis­ter Klaus Kaufmann, der lange Zeit stolz auf den niedrigen Infektions­wert in Laichingen war, aber gleichzeit­ig immer wieder die Hygienereg­eln anmahnte, appelliert­e nochmals öffentlich an die Bürger, Abstand zu halten, Masken zu tragen, zu lüften, die Hände zu waschen und persönlich­e Kontakte zu reduzieren. „Damit wir die Situation jetzt schnell wieder in den Griff bekommen und keine ungehinder­te Ausbreitun­g des Virus in unserer Bevölkerun­g eintritt, arbeitet die Stadtverwa­ltung zusammen mit dem Gesundheit­samt mit Hochdruck daran, die Infektions­ketten und Kontakte infizierte­r Personen nachzuverf­olgen und Sorge dafür zu tragen, dass die angeordnet­e Quarantäne von allen Betroffene­n auch strikt eingehalte­n wird“, so Kaufmann am Mittwoch.

 ?? FOTO: DKD ??
FOTO: DKD

Newspapers in German

Newspapers from Germany