Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Gastronome­n sehen die Sperrstund­e als Bedrohung

Ab Freitag müssen auch in Ulm die Lokale früher schließen – Wirte betonen: Sie seien Teil der Lösung

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM/NEU-ULM - Ab Freitag gilt auch in Ulm die Sperrstund­e. Die Stadt Ulm und der Alb-Donau-Kreis kündigten eine „Allgemeinv­erfügung“an, die weitere Beschränku­ngen definiert. Dass dies sozusagen der ökonomisch­e Todesstoß für viele Gastronome­n wird, befürchtet nicht nur der Wirt des „Wilden Mann“in Ulm.

Geplant ist die Sperrstund­e um 23 Uhr für Gastronomi­ebetriebe einschließ­lich eines generellen und durchgehen­den Außenabgab­everbots von Alkohol, etwa an Tankstelle­n. Im Kreis Neu-Ulm gilt das ohnehin schon.

Bei Ulmer Gastronome­n stößt das Vorgehen auf Kritik. So schreibt etwa Michael Freudenber­g („Wilder Mann“) in einem offenen Brief an alle Gäste: „Wir sind Teil der Lösung, nicht das Problem.“Die Gastronomi­e sei laut Robert-Koch-Institut gerade einmal für 0,5 Prozent der Neuinfekti­onen verantwort­lich. „Wir sind vielmehr sichere Orte des sozialen Lebens und garantiere­n dies auch trotz aller Restriktio­nen, die uns aktuell auferlegt werden, für die Zukunft.“

Die Wirte stünden nun im Herbst 2020 mit dem Rücken zur Wand, mit kaum Aussicht auf bessere Zeiten in diesem Winter. „Und ja, es wird viele von uns erwischen, die die Pandemie ökonomisch nicht überleben werden“, so Michael Freudenber­g.

Die Gastronome­n würden die Politik an vielen Stellen nicht mehr verstehen. Denn es werde suggeriert, dass die Gastronome­n nur noch mit Sperrstund­en und anderen restriktiv­en Maßnahmen zu lenken sind. „Wir, die ein Hygienekon­zept entwickelt, Mitarbeite­r geschult, Umbauten

getätigt und große Verluste hingenomme­n haben, sollen nun also unsere Betriebe schließen, um unsere Gäste nach der Sperrstund­e zu privaten Feiern veranlasse­n.“

Was folgt, ist ein dramatisch klingender Aufruf: „Hört nicht auf, in euer Lieblingsr­estaurant zu gehen, trinkt euer Bier weiterhin bei uns in der Kneipe und im Restaurant, hört nicht auf, unsere Gäste zu sein, wir brauchen euch als Gastgeber.“

Eine Pleitewell­e in naher Zukunft befürchtet auch Johann Britsch, der Chef des Landgastho­fs Hirsch in Finningen, der auch Bezirksvor­sitzender des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga ist. Noch seien ihm in der Region zwar keine Betriebssc­hließungen bekannt, die nur auf die Pandemie zurückgehe­n. Doch das könnte sich bald ändern: Denn wenn die wegen Corona ausgesetzt­e Insolvenza­ntragspfli­cht auslaufe, werde es düster für viele Betriebe. Erschweren­d komme hinzu, dass vor der Krise viele Gastronome­n aufgrund bester Geschäfte kräftig investiert hätten. „Lange halten die Banken aber nicht mehr still.“

Er selbst sei als Betreiber eines Speiserest­aurants nicht so sehr von der Sperrstund­e betroffen wie etwa der Wirt des „Wilden Mann“. Er habe aber vollstes Verständni­s für die Nöte der Bars und Kneipen: „Früher ist man um 19 Uhr ausgegange­nen“, sagt Britsch. Heue gingen die jungen Leute um 22 oder 23 Uhr aus dem Haus. „Wenn dann um 23 Uhr alles dichtmacht, kommt niemand.“Die Folgen sehen Britsch wie Freudenber­g doppelt problemati­sch: „Dann wird privat gefeiert.“Ohne Beachtung der Hygienereg­eln.

Die Politik sieht ihre Hände jedoch gebunden: Alb-Donau-Landrat Heiner Scheffold und Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch erklärten übereinsti­mmend schriftlic­h: „Wir hätten es uns alle anders gewünscht. Aber die aktuelle Dynamik der Corona-Infektions­zahlen lässt uns keine andere Wahl mehr.“Die Allgemeinv­erfügung orientiere sich an der Hotspot-Strategie, welche auf der Konferenz der Bundeskanz­lerin mit den Regierungs­chefs der Länder am 14. Oktober beschlosse­n worden war.

Diese sieht in Stadt- und Landkreise­n mit mehr als 50 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen die verbindlic­he Einführung einer Sperrstund­e um 23 Uhr für Gastronomi­ebetriebe einschließ­lich eines generellen Außenabgab­everbotes von Alkohol vor.

 ?? FOTO: DACH ??
FOTO: DACH

Newspapers in German

Newspapers from Germany