Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Gastronomen sehen die Sperrstunde als Bedrohung
Ab Freitag müssen auch in Ulm die Lokale früher schließen – Wirte betonen: Sie seien Teil der Lösung
ULM/NEU-ULM - Ab Freitag gilt auch in Ulm die Sperrstunde. Die Stadt Ulm und der Alb-Donau-Kreis kündigten eine „Allgemeinverfügung“an, die weitere Beschränkungen definiert. Dass dies sozusagen der ökonomische Todesstoß für viele Gastronomen wird, befürchtet nicht nur der Wirt des „Wilden Mann“in Ulm.
Geplant ist die Sperrstunde um 23 Uhr für Gastronomiebetriebe einschließlich eines generellen und durchgehenden Außenabgabeverbots von Alkohol, etwa an Tankstellen. Im Kreis Neu-Ulm gilt das ohnehin schon.
Bei Ulmer Gastronomen stößt das Vorgehen auf Kritik. So schreibt etwa Michael Freudenberg („Wilder Mann“) in einem offenen Brief an alle Gäste: „Wir sind Teil der Lösung, nicht das Problem.“Die Gastronomie sei laut Robert-Koch-Institut gerade einmal für 0,5 Prozent der Neuinfektionen verantwortlich. „Wir sind vielmehr sichere Orte des sozialen Lebens und garantieren dies auch trotz aller Restriktionen, die uns aktuell auferlegt werden, für die Zukunft.“
Die Wirte stünden nun im Herbst 2020 mit dem Rücken zur Wand, mit kaum Aussicht auf bessere Zeiten in diesem Winter. „Und ja, es wird viele von uns erwischen, die die Pandemie ökonomisch nicht überleben werden“, so Michael Freudenberg.
Die Gastronomen würden die Politik an vielen Stellen nicht mehr verstehen. Denn es werde suggeriert, dass die Gastronomen nur noch mit Sperrstunden und anderen restriktiven Maßnahmen zu lenken sind. „Wir, die ein Hygienekonzept entwickelt, Mitarbeiter geschult, Umbauten
getätigt und große Verluste hingenommen haben, sollen nun also unsere Betriebe schließen, um unsere Gäste nach der Sperrstunde zu privaten Feiern veranlassen.“
Was folgt, ist ein dramatisch klingender Aufruf: „Hört nicht auf, in euer Lieblingsrestaurant zu gehen, trinkt euer Bier weiterhin bei uns in der Kneipe und im Restaurant, hört nicht auf, unsere Gäste zu sein, wir brauchen euch als Gastgeber.“
Eine Pleitewelle in naher Zukunft befürchtet auch Johann Britsch, der Chef des Landgasthofs Hirsch in Finningen, der auch Bezirksvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga ist. Noch seien ihm in der Region zwar keine Betriebsschließungen bekannt, die nur auf die Pandemie zurückgehen. Doch das könnte sich bald ändern: Denn wenn die wegen Corona ausgesetzte Insolvenzantragspflicht auslaufe, werde es düster für viele Betriebe. Erschwerend komme hinzu, dass vor der Krise viele Gastronomen aufgrund bester Geschäfte kräftig investiert hätten. „Lange halten die Banken aber nicht mehr still.“
Er selbst sei als Betreiber eines Speiserestaurants nicht so sehr von der Sperrstunde betroffen wie etwa der Wirt des „Wilden Mann“. Er habe aber vollstes Verständnis für die Nöte der Bars und Kneipen: „Früher ist man um 19 Uhr ausgegangenen“, sagt Britsch. Heue gingen die jungen Leute um 22 oder 23 Uhr aus dem Haus. „Wenn dann um 23 Uhr alles dichtmacht, kommt niemand.“Die Folgen sehen Britsch wie Freudenberg doppelt problematisch: „Dann wird privat gefeiert.“Ohne Beachtung der Hygieneregeln.
Die Politik sieht ihre Hände jedoch gebunden: Alb-Donau-Landrat Heiner Scheffold und Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch erklärten übereinstimmend schriftlich: „Wir hätten es uns alle anders gewünscht. Aber die aktuelle Dynamik der Corona-Infektionszahlen lässt uns keine andere Wahl mehr.“Die Allgemeinverfügung orientiere sich an der Hotspot-Strategie, welche auf der Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder am 14. Oktober beschlossen worden war.
Diese sieht in Stadt- und Landkreisen mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen die verbindliche Einführung einer Sperrstunde um 23 Uhr für Gastronomiebetriebe einschließlich eines generellen Außenabgabeverbotes von Alkohol vor.