Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Nur kaufen was zu reparieren ist“
Professor Nico Paech sieht bei VHS-Vortrag in Blaubeuren schwierige Zeiten entgegen
BLAUBEUREN (ifi) - Professor Nico Paech, renommierter Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Siegen, war am Freitag bereits zum dritten Mal im „Fröhlichen Nix“von Wirt Hans Wild, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet. „Würde ich in Blaubeuren wohnen, wäre dies meine Stammkneipe“, begann er seinen Vortrag. Er sei hingerissen von der Landschaft um Blaubeuren. Angereist war er tags zuvor selbstverständlich mit der Bahn.
In seinem gut verständlichen Vortrag folgten einer Analyse des derzeitigen globalisierten Wirtschaftssystems Lösungsvorschläge für den individuellen Lebensstil. Seine aktuelle Bilanz der deutschen Gesellschaft :„Wir leben ökonomisch und ökologisch über unsere Verhältnisse und zukünftige Generationen müssen die Suppe auslöffeln“.
Auch „Grünes Wachstum“sei keine Lösung, da der mit Wachstum verbundene Ressourcenverbrauch anhalte. „Wir müssen aufwachen aus unserer in den vergangenen 30 Jahren entstandenen Fortschritts- und Technikgläubigkeit des „höher-größer-weiter““, betonte der Referent. Jedes Individuum in Deutschland erzeuge zwölf Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, doch zur Klimarettung müsste dieser Wert auf ein bis zwei Tonnen gesenkt werden. Er selbst sei bei etwa vier Tonnen, denn er fliege nicht, fahre Bahn, teile Auto und Waschmaschine mit zehn anderen Menschen, habe kein Smartphone, sei nicht in Facebook, Instagram oder What’sapp. Ein großer Teil des CO2-Verbrauchs zur Produktion unserer Konsumgüter werde auf andere Kontinente verschoben.
Der Lebensstil jedes einzelnen sei der Dreh- und Angelpunkt: „Ein Mensch liegt bei 30 Tonnen, wenn er zwei bis drei Mal im Jahr fliegt.“Jeder könne sehr einfach mit einem „online-Co2-Rechner“seinen ganz persönlichen ökologischen Fussabdruck ermitteln.
Corona habe deutlich die Schwächen und Risiken von global verschlungenen Lieferketten aufgezeigt: Gegolten habe in der Wirtschaft das Prinzip der „global low costs“, entstanden
TRAUERANZEIGEN seien zerlegte spezialisierte Produktionsvorgänge, die weltweit Produkte immer billiger gemacht hätten. Dabei hätten wir unsere eigenen, regional vorhandenen, Fähigkeiten verkümmern lassen. Resilienz, übersetzt als „Krisenrobustheit“, verlange jedoch nach Vielfalt und Kleinräumigkeit.
Professor Paech zeigte anschaulich, wie der Weg in eine Postwachstumsökonomie aussehen könnte: Neu gekauft werde nur noch, was nicht repariert werden könne. Sein eigener Laptop sei mittlerweile 17 Jahre alt, nachdem er ihn zwei Mal selbst repariert habe. „Ich bin ein Bastler“, lässt er wissen.
Die mittlere Nutzungsdauer eines Laptops seien sechs Jahre. Der Fortschritt in den vergangenen Jahrzehnten sei immer zu Lasten der Nutzungsdauer gegangen: Als Beispiel zählte Nico Paech Autos, Haushaltsgeräte, technische Medien auf. „Wir haben den Planeten vollgestopft mit Müll“, – nach einer regelrechten
Plünderung der Erde, als deren Folge es auf der Erde inzwischen mehr Mineralien gäbe als unter der Erdoberfläche.
Ziel müsse jedoch sein, die Langlebigkeit von Gütern zu steigern, um weniger Ressourcen zu verbrauchen. Eine geringere Zahl von Gütern könne in der Hälfte der bisherigen Arbeitszeit produziert werden, damit könnten wir eine 20-Stunden-Woche anpeilen, um weiterhin Vollbeschäftigung zu ermöglichen.
Verbunden mit diesem Ziel sei die Steigerung der handwerklichen (Reparier-)Kompetenz der einzelnen und die Stärkung der Regionalökonomie mit der Folge kürzerer Transportwege und weniger kostenintensiver Infrastruktur.
Psychologische Forschungen hätten vielfach erwiesen, dass weitere materielle Güter das individuelle Glück nicht vermehrten: „Es gibt einen Sättigungspunkt“. Auch die Reizüberflutung durch Medien nehme so überhand, dass wir innerlich ausbrennen. Forschungen zeigten, dass jeder dritte in Deutschland im Lauf seines Lebens „psychisch instabil“werde: „Wir sind eingebunden in Steigerungsprozesse, die wir nicht verarbeiten können.“Wir seien aufgefordert, zu einem guten „mittleren Maß“, einer „Kultur des Genug“zurückfinden.
Gesellschaftliche Lösungswege seien: Im Bildungssektor die Vermittlung von handwerklichen und anderen Kenntnissen zur Selbstversorgung, im sozialen Sektor der Aufbau sozialer Netze zur arbeitsteiligen gegenseitigen Unterstützung. In einem „Ressourcenzentrum“sollen professionelle Handwerker ihre Werkstatt aufschlagen, auch Kurse anbieten. Reparatur-Cafés könnten sich mit dem Einzelhandel vor Ort zusammenschliessen und einen Mehrwert bieten. Dort sollen Verleihstationen für Geräte untergebracht werden, genauso wie Stationen des „Food-Sharing“. Events und Gastronomie zum sozialen Miteinander sollen dort entstehen.
Der geforderte Lernprozess für die Individuen sei, sich der Konsumverführung zu verweigern. Die Politik sei handlungsunfähig, da sie aus der Zivilbevölkerung schizophrene Signale erhalte: Sie solle Umwelt und Klima retten, zugleich weitere Straßen, Autobahnen, Flughäfen bauen, um den bisherigen Lebensstandard von vielen zu erhalten oder zu mehren. Eine demokratische Politik müsse den Mut aufbringen, der Wählermehrheit etwas wegzunehmen.
Jeder Impuls einer Veränderung könne seines Erachtens nur aus der Zivilbevölkerung kommen durch individuelle Verhaltensänderungen. Disziplin und Ehrlichkeit seien gefordert, „Leben und Reden müssen zusammenpassen“, - sonst laufe die moderne Gesellschaft Gefahr, „an Heuchelei zu sterben“.
Literaturhinweis: Nico Paech und Manfred Folkerts: „All you need is less - eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht“, Mai 2020 (Spiegelbestseller).