Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schutz von Risikogrup­pen rückt in den Fokus

Feiern Hauptquell­e von Corona-Infektione­n – Mediziner wollen Über-50-Jährigen mehr Aufmerksam­keit widmen

- Von Michel Gabel und dpa

BERLIN - Die Corona-Pandemie hat das Bundeskabi­nett erreicht – und neue Höchstwert­e bei der Zahl der Infizierte­n. Der Überblick.

Der Gesundheit­sminister ist an Covid-19 erkrankt. Und jetzt?

Im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium blieben am Donnerstag ein paar Büros auf der Leitungset­age leer. Alle, die mit dem Corona-positiven Minister Jens Spahn (CDU) in den vergangene­n Tagen persönlich­en Kontakt hatten, mussten zu Hause bleiben. „Alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r aus seinem engeren Umfeld sind negativ getestet worden“, teilte ein Sprecher mit. Führungslo­s ist das Haus nicht. Der Minister sei im Homeoffice, aber „arbeitsfäh­ig“, hieß es. Spahn gehe es den Umständen entspreche­nd gut, er habe kein Fieber, aber Erkältungs­symptome.

Muss die gesamte Bundesregi­erung in Quarantäne?

Nein. Spahn hatte zwar an einer Kabinettss­itzung teilgenomm­en. Ein Regierungs­sprecher verwies aber darauf, dass die Runde in einem Konferenzs­aal des Kanzleramt­es tage, der „hinsichtli­ch des Infektions­schutzes optimiert und vom Gesundheit­samt Berlin-Mitte fachlich überprüft worden“sei. Bei Spahn ist den Ministeriu­msinformat­ionen zufolge unklar, wo er sich angesteckt haben könnte. Andere Mitglieder der Bundesregi­erung ließen sich inzwischen ebenfalls testen – mit negativem Ergebnis. Regelmäßig­e Tests gibt es vor allem für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) bei Auslandsre­isen. Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) unterzog sich nach Angaben einer Sprecherin am Mittwoch einem Schnelltes­t, der negativ ausfiel.

11 287 Infizierte – ist die Lage jetzt so schlimm wie im Frühjahr?

Nein, zwar handelt es sich um den höchsten jemals gemessenen Wert an neuen Infektione­n, doch die Zahl ist erheblich davon beeinfluss­t, dass derzeit mehr getestet wird. Derzeit liegt die Zahl der Tests bei zwischen 1,1 und 1,2 Millionen, das ist etwa viermal so viel wie zur Zeiten der höchsten Neuinfekti­onen im Frühjahr.

Das Verhältnis der Zahl von positiven Tests zur Zahl aller Tests heißt Positivrat­e. Im Frühjahr lag sie zeitweise bei etwa zehn Prozent, zuletzt laut RKI bei 3,63 Prozent. Im Sommer aber lag sie bei 0,75 Prozent. Das zeigt, dass das Infektions­geschehen insgesamt deutlich zunimmt.

Sagt die Zahl 11 287 etwas über die gesamten Infektione­n aus?

Leider nein. Es gibt eine gewisse Dunkelziff­er. Die meisten Tests finden immer noch statt, wenn Menschen Symptome aufweisen oder sie in Kontakt mit Erkrankten gekommen sind. Das heißt, es gibt eine schwer einzuschät­zende Zahl von Infizierte­n, die aber keine Symptome zeigen. Um ein besseres Bild der tatsächlic­hen Infektions­raten zu bekommen, müsste systematis­cher getestet werden. Diese Forderung gibt es schon lange, bislang hat die Politik aber darauf verzichtet.

Wäre es sinnvoll, Risikogrup­pen besser zu schützen?

Der Pandemie-Experte Matthias Schrappe vertritt diese Meinung. Für Ältere und Menschen mit Vorerkrank­ungen

empfahl er „zielgruppe­nspezifisc­he Maßnahmen“. So sollen Supermärkt­e bestimmte Zeiten freihalten, in denen ausschließ­lich Angehörige von Risikogrup­pen einkaufen gehen können. Kinos und andere Kulturbetr­iebe könnten spezielle Veranstalt­ungen ins Programm nehmen, sagte das frühere Mitglied des Sachverstä­ndigenrats zur Begutachtu­ng des Gesundheit­swesens.

Was bedeutet in diesem Zusammenha­ng die 50plus-Strategie?

Der Chefvirolo­ge der Charité, Christian Drosten, glaubt nicht, dass es ohne Weiteres möglich ist, die Älteren zu schützen, etwa wenn Familien zusammenle­ben. Trotzdem will er dieser Gruppe besondere Aufmerksam­keit widmen. Er schlägt deshalb vor, die Zahl der Neuinfizie­rten, die älter als 50 sind, gesondert auszuweise­n. So könnte man beispielsw­eise erkennen, wann es im Gesundheit­swesen zu einer Überlastun­g kommt. Die Bundesregi­erung hält die derzeitige­n Parameter aber für ausreichen­d.

Wie kommt es zu der hohen Zahl von Infizierte­n?

Das liege vor allem an den privaten Feiern, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. „Dort, wo Menschen zusammenko­mmen und eine starke Interaktio­n etwa durch lautes Sprechen oder Lachen stattfinde­t, ist das Ansteckung­srisiko besonders groß“, betonte er. Deshalb spiele auch der öffentlich­e Nahverkehr, bei dem es weniger Interaktio­n gebe, bei den Infektione­n nur eine geringe Rolle.

Warum gibt es in Deutschlan­d weniger Infizierte als anderswo?

Zum einen gibt es in Deutschlan­d viele Einpersone­n-Haushalte – ein Infizierte­r steckt daher nicht so leicht seine Familie an. Nach Überzeugun­g des Bielefelde­r Soziologen Michael Huber wirkt sich aber auch das föderale System der Bundesrepu­blik mit seinen Möglichkei­ten, auf Bedrohungs­lagen flexibel zu reagieren, positiv aus.

Informatio­nen zur CoronaLage auch unter www.schwaebisc­he.de/ corona-aktuell

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Erneut ist eine Debatte über den Schutz älterer Menschen vor einer Corona-Infektion entbrannt.

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