Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Viele Fragen nach islamistis­chem Anschlag

Der polizeibek­annte Gefährder tötete in Dresden einen Touristen – Er wurde vom Verfassung­sschutz überwacht

- Von Anne-Béatrice Clasmann und Jörg Schurig

DRESDEN (dpa) - Petric Kleine, Chef des Landeskrim­inalamtes Sachsen (LKA), ist sich sicher: Die tödliche Messeratta­cke von Dresden, für die ein mutmaßlich islamistis­cher Mann aus Syrien verantwort­lich gemacht wird, hätte nur durch die Abschiebun­g des Mannes verhindert werden können. Versäumnis­se der Sicherheit­sbehörden sieht er nicht. Wie es zu der Attacke kommen konnte, obgleich der Tatverdäch­tige sogar am Tag des Angriffs observiert wurde, bleibt offen. Sachsens Innenminis­ter Roland Wöller (CDU) forderte am Donnerstag, schwere Straftäter und Gefährder vom Abschiebes­topp nach Syrien auszunehme­n.

Rückblick: Am 4. Oktober greift ein Mann zwei Touristen in der Dresdner Innenstadt mit einem Messer an. Ein 55-Jähriger aus Krefeld stirbt, ein 53 Jahre alter Kölner überlebt schwer verletzt. Inzwischen sind die Ermittler überzeugt, dass die Tat einen radikal-islamistis­chen Hintergrun­d hat.

Der Tatverdäch­tige aus Dresden ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Fall: ein Gescheiter­ter, ohne familiären Halt und berufliche Perspektiv­e. Ähnlich wie der abgelehnte Asylbewerb­er aus Tunesien, Anis Amri, der im Dezember 2016 in Berlin einen Weihnachts­markt angriff und zwölf Menschen tötete. Auch der 30-jährige irakische Islamist, der im vergangene­n August auf der Berliner Stadtautob­ahn sein Auto zur Tatwaffe machte, hatte in Deutschlan­d nie wirklich Fuß gefasst.

Der junge Mann war schon 2017 von sächsische­n Sicherheit­sbehörden als Gefährder eingestuft worden und vorbestraf­t. Bis vor kurzem verbüßte er eine Haftstrafe. „Auch aufgrund seines Verhaltens in der Haftzeit war erkennbar geworden, dass er sich nicht vom Islamismus losgesagt hatte, sondern unveränder­t extremisti­sches Gedankengu­t vertrat. Es bestand daher für uns alle eine hohe Wahrschein­lichkeit, dass er sich auch nach der Haftentlas­sung erneut in der extremisti­sch-islamistis­chen Szene bewegen würde“, räumt DirkMartin Christian ein, Chef des Landesamte­s für Verfassung­sschutz.

Christian berichtete am Donnerstag, dass man nachrichte­ndienstlic­he Maßnahmen ergriff, die in solchen Fällen bundesweit regelmäßig praktizier­t würden. Dazu habe auch eine Observieru­ng gezählt, selbst am Tag der Tat und in den Tagen zuvor. Es sei bitter feststelle­n zu müssen, dass trotz dieser Maßnahmen die Tat nicht verhindert werden konnte. Später folgt von ihm ein Satz, den man nach terroristi­schen Anschlägen immer wieder hört: „Es gibt keine hundertpro­zentige Sicherheit.“

Tatsächlic­h dominieren Fragen nach der Observieru­ng des mutmaßlich­en Täters eine kurzfristi­g anberaumte Pressekonf­erenz. Warum sei der Mann, von dessen Gefährlich­keit man ausging, nicht rund um die Uhr bewacht worden, will ein Journalist wissen. Dirk Münster, Leiter des Polizeilic­hen Terrorismu­s- und Extremismu­s-Abwehrzent­rum im LKA, verweist auf die Möglichkei­ten. Eine 24-Stunden-Bewachung an sieben Tagen durch die Polizei sei rechtlich nicht möglich. Man könne das machen, „aber dürfen darf ich es nicht“.

Verfassung­sschutzprä­sident Christian hält Observatio­nen ohnehin nicht für geeignet, solche Straftaten gänzlich zu verhindern. Man habe sich gefragt, ob es einen „Fehler im System“gab und ob die Tat habe verhindert werden können, sagte LKAChef Kleine. Der Maßnahmenk­atalog für den Syrer, der früher auch deshalb vor Gericht stand, weil er für die Terrormili­z „Islamische­r Staat“warb, habe eine enge Betreuung, nicht aber eine enge Bewachung vorgesehen. Die Einstufung als Gefährder gebe den Behörden keinen Freifahrts­schein.

Mehr als 600 islamistis­che Gefährder zählen die deutschen Sicherheit­sbehörden aktuell, die Zahl in Sachsen liege im unteren zweistelli­gen Bereich, hieß es. Ein Teil dieser Islamisten, denen man einen Terroransc­hlag zutraut, sitzt in Haft. Andere halten sich im Ausland auf. Zu denen, die in Deutschlan­d sind, gehören Deutsche, Doppelstaa­tler und Ausländer – auch solche, die als Asylbewerb­er ins Land gekommen waren.

Nach dem Anschlag Amris auf den Berliner Weihnachts­markt hatten die Behörden ihre Anstrengun­gen zur Abschiebun­g islamistis­cher Gefährder verstärkt. Doch das Geschäft ist mühsam. Identitäte­n müssen geklärt, Passersatz­papiere beschafft, Herkunftsl­änder überzeugt und Flugplätze organisier­t werden. In das Konfliktge­biet Syrien wird nicht abgeschobe­n. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) kündigte am Donnerstag­abend an, Abschiebun­gen nach Syrien prüfen zu lassen.

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Blumen und Kerzen erinnern in der Dresdner Innenstadt an die Opfer der Messeratta­cke.

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