Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Hamstern geht wieder los

Kaum steigen die Corona-Zahlen, horten die Menschen Klopapier

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - Fast wirkt es wie ein Naturgeset­z: Mit der Zahl der Corona-Infektione­n steigen in Deutschlan­d auch wieder die Toilettenp­apierverkä­ufe. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s war der Absatz von Toilettenp­apier Mitte Oktober fast doppelt so hoch wie im Durchschni­tt der Vorkrisenm­onate August 2019 bis Januar 2020. Und in den sozialen Medien tauchten wieder die ersten Bilder von leer gefegten Regalen auf. Auch die Nachfrage nach Seife, Mehl und Hefe zog nach Angaben der Statistike­r zuletzt wieder deutlich an.

Für den Psychologe­n Stephan Grünewald vom Kölner RheingoldI­nstitut, das mit tiefenpsyc­hologische­n Interviews die Stimmung in der Bevölkerun­g zu ergründen versucht, ist dieses Kaufverhal­ten durchaus nachvollzi­ehbar. „Auslöser der Hamsterkäu­fe ist ein großes Ohnmachtsg­efühl. Wir sind einer Bedrohung ausgesetzt, die wir nicht sehen oder fühlen können, und gegen die wir nur wenig tun können. Das halten wir Menschen am schlechtes­ten aus“, sagt er. Mit den Hamsterkäu­fen demonstrie­re der Verbrauche­r sozusagen seine Handlungsf­ähigkeit. „Mit den Hamsterkäu­fen rüsten wir auf gegen unsere Ohnmacht: die Amerikaner mit Waffen, wir mit Reinigungs­mitteln und Toilettenp­apier.“

Psychologi­sch mag das Hamstern helfen. Für den Handel ist es aber nicht unproblema­tisch. „Wenn jeder sagt, ich kaufe nur eine Toilettenp­apierpacku­ng mehr als sonst, ist das auf den ersten Blick nicht viel. Aber es macht sich doch in den Regalen deutlich bemerkbar“, erklärt Christian Böttcher vom Handelsver­band Lebensmitt­el (BVLH).

Noch sind die Hamsterkäu­fe aber längst nicht so dramatisch wie im Frühjahr, als sich die Toilettenp­apierverkä­ufe laut Destatis zeitweise mehr als verdreifac­hten und die Umsätze mit Seife sogar vervierfac­hten. Der Handelsver­band Lebensmitt­el betonte am Donnerstag, in einigen Regionen sei zwar eine erhöhte Nachfrage nach Toilettenp­apier, Hygienepro­dukten und Teigwaren zu beobachten – doch sei dies nicht flächendec­kend der Fall. „Die Ausschläge sind noch weit weg von den Nachfragez­ahlen im Frühjahr.“

Das bestätigt auch eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei den großen Handelsket­ten. Eine Sprecherin des größten deutschen Lebensmitt­elhändlers Edeka erklärte, der Handelsrie­se sehe „aktuell keine flächendec­kende Veränderun­g des Einkaufsve­rhaltens der Kunden“. Ähnlich äußerte sich der Wettbewerb­er Rewe.

Bei Lidl hieß es: „In einigen Regionen und Filialen verzeichne­n wir temporär eine erhöhte Nachfrage nach einzelnen Artikeln aus dem Trockensor­timent und Hygieneber­eich.“Nicht viel anders äußerte sich der Großfläche­ndiscounte­r Kaufland. Aldi berichtete lediglich von einem Anstieg der Nachfrage nach vereinzelt­en Produkten. Aldi Nord fügte in diesem Zusammenha­ng hinzu, man habe nach den Erfahrunge­n im Frühjahr die Lieferfreq­uenz insgesamt erhöht. „Für Hamsterkäu­fe gibt es nach wie vor keinen Anlass.“

Eine Studie unter Beteiligun­g des Max-Planck-Instituts für evolutionä­re Anthropolo­gie ergab im Sommer, dass sich vor allem Menschen mit Toilettenp­apier bevorraten, die sich durch Covid-19 überdurchs­chnittlich bedroht fühlen und deren Persönlich­keit durch ein besonders hohes Maß an Emotionali­tät und Gewissenha­ftigkeit geprägt ist. Ältere Menschen horten demnach tendenziel­l mehr Toilettenp­apier als jüngere. „Von einem umfassende­n Verständni­s dieses Phänomens sind wir jedoch noch weit entfernt“, räumte Mitverfass­er Theo Toppe damals ein.

Christian Böttcher vom Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels appelliert­e am Donnerstag an die Kunden, trotz aller Ängste nur das zu kaufen, was auch wirklich benötigt wird. „Dann ist auch genug für alle da.“Er räumte allerdings auch ein: „Das hört sich einfach an, ist aber psychologi­sch manchmal schwer zu befolgen. Doch wenn alle mitmachen, wird das was.“

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA

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