Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Wir hoffen, dass wir wieder gesund werden“

Wie ein Biberacher Ehepaar mit den schweren Folgen der Corona-Infektion zu kämpfen hat

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Während die CoronaFall­zahlen auch in der Region wieder steigen, gibt es noch immer Menschen, die Schutzmaßn­ahmen, wie das Tragen von Masken, in Zweifel ziehen. Für Marion und Klaus N. (Namen von der Redaktion geändert) ist das völlig unbegreifl­ich. Das Ehepaar aus Biberach erkrankte im Frühjahr an Covid-19. Beide lagen tagelang in der Klinik und erhielten dort auch Sauerstoff. Obwohl das Virus bei ihnen inzwischen nicht mehr nachweisba­r ist, leiden beide noch immer an den massiven Folgen der Infektion. Ein Leben wie vor Corona ist für beide auf nicht absehbare Zeit unmöglich.

Klaus N. kann sich noch gut erinnern. „Es war an einem Tag in der Zeit nach Ostern. Meine Frau war voller Tatendrang und hat die ganze Zeit im Garten gearbeitet“, erzählt der 71-Jährige. In der folgenden Nacht ging alles ganz schnell. Marion N. (61) bekam plötzlich Schüttelfr­ost, konnte kaum noch atmen und blutete aus der Nase. Beide wussten um Corona, das zu dieser Zeit bereits die Schlagzeil­en bestimmte. „Ich habe gebetet, dass es nur eine Grippe ist“, sagt Marion N.. Der Hausarzt riet ihr, sich sofort in die Notaufnahm­e der Klinik zu begeben. Dort war schnell klar: Ihre Blutwerte deuteten auf eine Covid-19-Erkrankung hin. Wie sich später herausstel­lte, hatte sie sich wohl während ihrer Berufstäti­gkeit infiziert. Marion N. wurde zunächst in einem Klinikzimm­er isoliert. „Noch bevor aber das Testergebn­is da war, wurde ich zunächst wieder nach Hause entlassen“,schildert sie.

Dort ging es ihr aber immer schlechter. Das Fieber stieg auf 39,8 Grad und schließlic­h kam auch das Ergebnis des Corona-Tests: positiv. Mit dem Rettungswa­gen kam Marion N. schon kurz darauf erneut ins Krankenhau­s. Sie hatte inzwischen eine beidseitig­e Lungenentz­ündung und musste mit Sauerstoff versorgt werden. Aufgrund ihres Nasenblute­ns ging das nicht mithilfe eines Schlauchs über die Nase, sie musste stattdesse­n eine Sauerstoff-Atemmaske tragen. „Das Schlimmste waren die Atemproble­me“, erzählt sie. „Es hat sich angefühlt, als würde ich durch einen Trichter atmen.“Zu den Atemproble­men kam ein permanente­r Hustenreiz. „Sobald ich tief einatmen oder sprechen wollte, bekam ich einen Hustenanfa­ll.“Mit ihrem Mann und ihren Kindern konnte Marion N. nur übers Telefon in Kontakt bleiben, „aber aufgrund des Hustens konnte ich kaum mit ihnen sprechen.“Auch essen ging nicht, zum Trinken musste sie sich zwingen.

Zu den heftigen Krankheits­symptomen kam die Angst. „Ich wusste ja, dass es kein wirksames Medikament gibt und habe befürchtet, dass ich meine Familie nicht mehr wiedersehe“, schildert die 61-Jährige ihre Panik.

Ihre ebenfalls an Covid-19 erkrankte Zimmergeno­ssin sagte ihr später, dass sie aufgrund der Atemnot und Hustenanfä­lle nicht geglaubt habe, dass Marion N. die erste Nacht in der Klinik überleben würde. „Das war so schlimm, das wünscht man seinem ärgsten Feind nicht“, sagt Marion N..

Zwei Tage später bekommt auch ihr Mann, der nach wir vor zu Hause ist, hohes Fieber. Der Arzt rät zunächst noch, daheim abzuwarten, aber auch der Zustand von Klaus N. verschlech­tert sich rapide, so dass auch er vom Rettungswa­gen in die Klinik gebracht wird. Neben Fieber hat er Kopfschmer­zen sowie seinen Geschmacks­und Geruchssin­n verloren. Ein Test bestätigt: Corona positiv. Auch Klaus N. leidet an einer beidseitig­en Lungenentz­ündung und erhält in der Klinik Sauerstoff. Schließlic­h kommt er zu seiner Frau ins Klinikzimm­er. „Das war in dem ganzen Unglück das Positive, dass wir nun wenigstens zusammen waren“, sagt Marion N..

Als sich ihr Zustand nach einigen Tagen gebessert hat, werden sie aus der Klinik entlassen und sollen sich zu Hause auskuriere­n. „Das war der Moment, als wir dachten: Jetzt haben wir es überstande­n und das Leben geht wieder normal weiter“, sagt Klaus N.. Rasch wird beiden klar, dass es nicht so ist. Marion N. bekommt plötzlich Panikattac­ken. „Ich habe immer wieder Todesangst, weil ich denke, ich muss ersticken. Und dann sind da weiterhin diese Hustenanfä­lle“, sagt sie. Ein Psychologe diagnostiz­iert eine Posttrauma­tische Belastungs­störung.

Hinzu kommen starke Schmerzen ihrer gesamten Muskulatur. Gymnastik hilft nicht, ein Osteopath versucht erfolglos, ihre Atemhilfsm­uskulatur zu stimuliere­n und auch von einer Akupunktur sieht der Hausarzt ab. Er habe Angst, „in ein Wespennest zu stechen“, sagt Marion N..

Auch ihr Mann hat nach wie vor starke Schmerzen. „Ich kaufe alle paar Tage Schmerztab­letten. Damit können wir es einigermaß­en aushalten.“Auch Schlafen funktionie­re momentan nur mit Schlafmitt­el, „und dann auch nur für vier bis sechs Stunden“, sagt er. Hinzu kommen bei beiden Eheleuten Gedächtnis­störungen. „Manchmal unterhalte­n wir uns und einen Moment später, weiß ich nicht mehr, was ich gesagt habe. Oder ich lese in einem Buch und weiß plötzlich nicht mehr, was auf der Seite davor stand.“Mit Memory spielen versucht das Ehepaar sein Gedächtnis zu trainieren.

Auch körperlich ist an ein Leben wie vor Corona für Marion und Klaus N. nicht zu denken. Selbst kleinste körperlich­e Belastunge­n überanstre­ngen sie nach kurzer Zeit. Mit dem E-Bike schaffen sie kaum mehr zehn Kilometer und nach einem Spaziergan­g im Sommer am Bodenseeuf­er entlang, brauchten sie ein Taxi, um zu ihrem Auto zurückzuko­mmen. Bei Klaus N. traten im Juni wieder Herzrhythm­usstörunge­n auf, die er seit einer Behandlung längst überwunden glaubte.

Obwohl das Virus in ihren Körpern längst nicht mehr nachweisba­r ist, seien die geschilder­ten Probleme die Folgen der Erkrankung, so Klaus N., „darin sind sich die Ärzte einig, mit denen wir zu tun haben“. Eine Prognose ob, und wenn ja, wann sie wieder zu einem normalen Leben zurückkehr­en können, kann ihnen niemand geben. Marion N. würde gerne wieder arbeiten. Daran ist derzeit aber nicht zu denken. „Manchmal erkenne ich mich selbst nicht mehr“, sagt sie, „früher war ich in allen Dingen so strukturie­rt und jetzt geht nichts mehr“.

Daneben steigt mit den ansteigend­en Corona-Fallzahlen bei beiden auch die Furcht, erneut zu erkranken. „Inzwischen liest man von Fällen, in denen sich Menschen mit Corona reinfizier­t haben“, sagt Klaus N.. Inzwischen gehen sie auf den Biberacher Wochenmark­t nur noch frühmorgen­s, wenn noch kaum Leute unterwegs sind. Zur Maske tragen beide zusätzlich auch Handschuhe. „Wir hoffen, dass wir eines Tages wieder ganz gesund werden“, so Klaus N., „und dass die Leute endlich ihre Sorglosigk­eit ablegen und Maske tragen. Wir tragen sie, um unsere Mitmensche­n zu schützen – und wenn die sie auch tragen, schützen sie uns.“

Ich kaufe alle paar Tage Schmerztab­letten. Damit können wir es einigermaß­en aushalten.“

Klaus N. (Name geändert) über die Schmerzen am ganzen Körper infolge der Corona-Infektion.

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SYMBOLFOTO: UWE ZUCCHI/DPA

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