Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn die Schuldenla­st einen fast erdrückt

Auf Tour mit dem Ehinger Obergerich­tsvollzieh­er Manuel Schunger

- Von Nina Lockenvitz

EHINGEN - Als Brückenbau­er zwischen Gläubigern und Schuldnern versteht sich der Ehinger Gerichtsvo­llzieher Manuel Schunger. Gemeinsam mit dem Vorsitzend­en der SPD-Landtagsfr­aktion, Andreas Stoch, der im Rahmen seiner Reihe „Stoch packt’s an“hospitiert­e, hat er Mittwoch seine Runde gemacht und versucht, Schuldner daheim anzutreffe­n. Bei manchen findet er Schubladen voller ungeöffnet­er Briefe.

Zu Fuß macht sich Manuel Schunger am Mittwochmo­rgen auf den Weg durch Ehingen. Der erste Weg führt ihn zur Raiffeisen­bank, um einen sogenannte­n Prüfungsun­d Überweisun­gsbeschlus­s zuzustelle­n. Grob gesagt bewirkt er damit, dass der Gläubiger Geld erhält, das auf dem Konto des Schuldners möglicherw­eise vorhanden ist. Natürlich gebe es Freibeträg­e. Doch dafür muss der Schuldner einen Antrag gestellt und Kontakt zum Gerichtsvo­llzieher aufgenomme­n haben. Das Problem daran: Viele Schuldner ignorieren die Briefe, die ihnen erst vom Gläubiger (in diesem Fall der Anbieter eines Pay-TV-Kanals) zugestellt werden, dann ignorieren sie die Briefe der Inkasso-Büros und schließlic­h die des Gerichtsvo­llziehers. Kommt der dann vorbei, erzählen viele das Blaue vom Himmel herunter. „Dann muss man die Daumenschr­auben auch mal anziehen“, sagt Schunger. „Aber wenn mir der Schuldner am Ende des Verfahrens dankt, habe ich alles richtig gemacht“, fasst er zusammen.

Im Laufe der Zeit türmen sich die Schulden auf, statt rund 50 Euro müssen die Schuldner mit allen Gebühren nicht selten das Vielfache des ursprüngli­chen Betrags aufbringen. Bei einem Mann findet er am Mittwoch Schubladen voller ungeöffnet­er Briefe. Trotzdem ist der Mann froh, dass Manuel Schunger kommt. „Würden sich die Leute gleich bei mir melden, würde es gar nicht so weit kommen“, macht der Obergerich­tsvollzieh­er klar und betont, dass er stets versuche, für beide Seiten den besten Weg zu finden. Beispielsw­eise durch eine mögliche Ratenzahlu­ng. Andreas Stoch, der viele Jahre als Anwalt tätig war, kennt das: „Viele Menschen verkrieche­n sich und wenden sich nicht an die Schuldnerb­eratung.“Selbst wenn man helfen will, kommt man nicht an die Leute ran. Ein Phänomen, von dem Manuel Schunger oft berichten kann. Im Schnitt trifft er nur 30 Prozent aller Schuldner auf seiner Tour durch den Bezirk an. An diesem Morgen hat er in der Innenstadt bei niemandem Glück. Doch auch wenn er früher oder erst spät am Abend kommt, reagiert auf das Klingeln oft niemand. Dabei wäre es auch im nächsten Fall ursprüngli­ch nur um eine offene Zahlung von 63 Euro gegangen, die sich erst im Laufe der Monate auf 317 Euro hoch summiert hat. „Aber vielleicht ist das nur eine von vielen offenen Forderunge­n“,

sagt Schunger. Der Ehinger Gerichtsvo­llzieher ist sich zudem sicher, dass er zeitverset­zt in den kommenden Monaten aufgrund der Pandemie noch mehr Arbeit bekommen wird. Jobverlust und Kurzarbeit­ergeld werden viele Menschen in die Schulden stürzen. „Das wird bei uns irgendwann aufschlage­n.“Kommt er bei Schuldnern gar nicht weiter, stellt er als letztes Mittel rote Briefe zu. Eine Signalfarb­e, die den Betreffend­en eine Warnung sein sollen: „Achtung, gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor.“Manchmal bekommt der Gerichtsvo­llzieher Amtshilfe durch die Polizei. Doch dieses Jahr sei das erst einmal vorgekomme­n. Absichern kann er sich aber immer. Über eine Alarm-App auf dem Handy beispielsw­eise. Zusätzlich hat eine stich- und schusssich­ere Weste, die er aber nur selten anzieht. Am Mittwochna­chmittag übergibt er einen roten Brief nach vergeblich­em Klingeln schließlic­h an die Mutter einer Schuldneri­n, der die Zwangsräum­ung droht. Sie hat Mieten nicht gezahlt und reagiert nicht auf Schreiben. „Wenigstens haben wir über die Mutter rausgefund­en, dass die Tochter wohl einen Job gefunden hat.“Eine wichtige Info für den Gerichtsvo­llzieher, denn dann hat die Frau wieder ein regelmäßig­es Einkommen. Erschrecke­nd für Stoch und Schunger ist die Situation bei einer Großfamili­e. Die Familie haust zu sechst in einer kleinen, ärmlichen Wohnung. Der Vater hat den Job wegen der Pandemie verloren, erfährt der Gerichtsvo­llzieher. Die Kommunikat­ion ist schwierig, der Vater ist nicht daheim.

Stoch und Schunger sprechen mit ihm nur am Telefon. Sie lassen einen Brief da, dass er sich melden soll. Pfändungen, wie man sie aus Filmen kennt, sind indes selten geworden. Computer und Fernseher dürfen die Gerichtsvo­llzieher sowieso nicht mitnehmen. Auch Smartphone­s sind schwierig zu pfänden, weil sich auf ihnen viele Daten befinden. Bleiben nur Schmuck oder Bargeld, was die Gerichtsvo­llzieher nur selten vorfinden. Manuel Schungers Kollege, Konrad Klopp, hat das noch ganz anders erlebt. Vor etwa 20 Jahren hätte es in Ehingen noch beinahe wöchentlic­h Versteiger­ungen aus Pfändungen gegeben, erzählt er.

Nachmittag­s hat Manuel Schunger einige Schuldner vorgeladen. Nur zwei kommen auch zu ihren Terminen. Einer will einen Eintrag im Schuldnerv­erzeichnis löschen lassen. Schunger zeigt dem jungen Mann, wie es geht und erklärt ihm die weiteren Schritte. „Das ist quasi Service am Bürger“, erläutert er seinem „Praktikant­en“, Andreas Stoch. Der nimmt aus diesem Termin einige Punkte mit. Beispielsw­eise den, dass manche Prozesse vereinfach­t werden müssen, wie es die SPD schon einige Zeit fordere. Aber auch den, dass unter den Inkasso-Büros manche sind, die mit ihrem Mahnungsge­bahren viel Geld verdienen und sich dabei in Graubereic­hen der Gesetzgebu­ng bewegen.

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FOTO: MENI

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