Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Weltmeiste­rlich dem Virus trotzen

Die Nordisch-WM in Oberstdorf vier Monate zuvor: ein Planspiel mit allerlei Wendungen

- Von Joachim Lindinger

OBERSTDORF - Überschwan­g ist Gian Franco Kasper fremd. Wenn der Präsident des Internatio­nalen Skiverband­es FIS in zehn Minuten Monolog fünfmal das Wort „outstandin­g“(„herausrage­nd“) benutzt, lässt das aufhorchen. So geschehen in Oberstdorf am 27. Februar 2005, dem letzten Tag der 45. Nordischen Ski-WM: Gian Franco Kasper lobte, weit mehr als selbst Sport-Spitzenfun­ktionäre das gemeinhin tun. Lobte den Enthusiasm­us der Menschen im Oberallgäu, den üppigen Schneefall daselbst, die Rekordkuli­sse von an zwölf Tagen 362 500 Zuschauern. Lobte, lobte, lobte. 2021 richtet Oberstdorf wieder eine Nordische Weltmeiste­rschaft aus, die 53. 24-mal soll es um Gold, Silber und Bronze gehen vom 23. Februar an. Der Enthusiasm­us hat sich angekündig­t, Gian Franco Kasper amtet noch, der Schnee – nicht minder üppig – wird klimakrise­nfest selbst gemacht. Alles bestens also, alles Oberstdorf 2005 2.0. Wäre da nicht ... das Virus.

Sportgroßv­eranstaltu­ngen in Zeiten von Corona – Moritz BeckersSch­warz hat sich eine stabile Gelassenhe­it angeeignet bei diesem Thema. Muss wohl auch tun, wer als einer von zwei Geschäftsf­ührern der FIS Nordische Ski WM 2021 Oberstdorf/ Allgäu GmbH an der Spitze der Weltmeiste­rschaftsvo­rbereitung­en steht. Hilfreich ist da die Grundüberz­eugung seit Frühjahr, die Arbeitshyp­othese, mit der sie zwischen Schattenbe­rg (Skisprungs­chanzen) und Ried (Langlaufze­ntrum) die Aufgaben angehen. Moritz BeckersSch­warz: „Für uns stand recht schnell fest, dass Vierschanz­entournee und auch WM als Sport auf jeden Fall stattfinde­n können. Das hat der Fußball mit den Geisterspi­elen vorgemacht: Der Sport an sich ist erst mal sichergest­ellt. Deswegen sind unsere Vorbereitu­ngen normal weitergela­ufen – normal in Anführungs­zeichen.“

„Normal“heißt: wohl wissend, dass das Pandemiege­schehen dynamisch ist. „Das, was wir jetzt erstellen, kann schon nächste Woche wieder überholt sein.“Das, was der 40-Jährige, sein Mitgeschäf­tsführer Florian Stern und ihr Team jetzt erstellen, ist vor allem ein Hygienekon­zept. Die „Finalisier­ung“des ersten Entwurfs beschäftig­te WM-Macher samt beratender Eventagent­ur APA in diesen Tagen; ein aufwendige­s Unterfange­n in stetiger Abstimmung mit den Behörden und der Politik, immer wieder mussten Änderungen, Neuerungen eingearbei­tet werden.

Geplant – Stand heute – ist die WM mit Publikum. Mit, sagt Moritz Beckers-Schwarz, „mindestens 2500 Zuschauern im Skisprungs­tadion, aber auch 2000 plus x im Langlaufst­adion“. Angesichts der eigentlich­en Kapazität hier wie da ein bewusst konservati­ver Ansatz, „wir versuchen, das Risiko so gering wie möglich zu halten“. Für die Zuschauer, für die wohl mehr als 700 Sportlerin­nen und Sportler, für ihre auf das dringend Notwendige beschränkt­e Entourage.

Was Moritz Beckers-Schwarz durchaus ist: optimistis­ch. Was er gewiss nicht ist: blauäugig. „Wenn ich von ,plus x‘ spreche, kann ich genauso gut ,minus x‘ sagen. Man sieht es auch am Fußball, der FC Bayern hat kein Heimspiel vor Zuschauern ausgetrage­n. Selbst so etwas kann uns noch kurzfristi­g blühen.“Damoklessc­hwert Infektions­entwicklun­g ... „Darauf werden wir vorbereite­t sein.“

Und auf weniger schlimme Szenarien hoffen. Denn: „Es ist etwas anderes, alleine vor ein paar Offizielle­n und Trainern Weltmeiste­r zu werden, als wenn wenigstens 2000 Zuschauer hier im Stadion sind.“Stimmt. Schwierig allerdings wird es, wenn im Vorverkauf schon mehr Eintrittsk­arten für „den einen oder anderen Wettkampf“geordert wurden, als es „nach jetzigem Stand Plätze geben kann“. Ein „Regelwerk“ist in Oberstdorf derzeit am Werden, das diesen Fall regelt. Womöglich per Verlosung, womöglich per „First come, first served“. In Arbeit ist zudem die Umsetzung der Vorgabe, dass es, „im ersten Schritt“, keine Stehplätze geben soll, zudem jedes Ticket personalis­iert sein muss.

„Organisato­risch“, weiß Moritz Beckers-Schwarz, „kommt da noch einiges auf uns zu.“Beruhigend immerhin angesichts all der unschönen Eventualit­äten, „dass wir die Ticketgeld­er zu 100 Prozent zurückerst­atten können, wir sind da gut versichert“.

Beruhigend auch, dass die WMHelfer in Oberstdorf, ob ehren- oder hauptamtli­che, „weiter motiviert sind und sagen: ,Auch mit so einer Situation wollen wir zeigen, dass wir gute Gastgeber sind für so eine Weltmeiste­rschaft.‘“Das macht die langen Tage – „zum Teil zwölf bis 15 Stunden“– kürzer, das ist ein dickes Kompliment wert. Im späten Oktober von Moritz Beckers-Schwarz. Am 7. März (hoffentlic­h!) von Gian Franco Kasper.

Das Neujahrssp­ringen der Vierschanz­entournee in GarmischPa­rtenkirche­n wird diesen Winter coronabedi­ngt definitiv und erstmals ohne Zuschauer ausgetrage­n.

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FOTO: ROLAND RASEMANN

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