Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ohne Verein, womöglich ohne Perspektiv­e

Für die Leichtathl­etin Alexandra Wester und den Basketball­er Joshiko Saibou hat eine Corona-Protest-Demo Folgen

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BERLIN (dpa) - Gerügt, geschnitte­n, geächtet – und nun bald arbeitslos? Knapp drei Monate nach ihrer heftig umstritten­en Teilnahme an einer Anti-Corona-Demonstrat­ion in Berlin stehen die Profisport­ler Joshiko Saibou und Alexandra Wester vor einer ungewissen Zukunft. Der Basketball­Nationalsp­ieler und die Leichtathl­etin vom ASV Köln müssen sich neue Vereine suchen. Saibou hat gegen seine fristlose Entlassung durch die Telekom Baskets Bonn geklagt, für seine Freundin steht die Olympiatei­lnahme auf dem Spiel. Für beide ist es ein Schwebezus­tand – Absturz möglich.

Ausgelöst haben Saibou und Wester die prekäre Situation aber selbst – mit ihren umstritten­en Kommentare­n in sozialen Netzwerken und der Teilnahme an einer Großdemons­tration gegen die staatliche­n CoronaMaßn­ahmen am 1. August in Berlin. Nach einem Foto ohne Maske hagelte es Kritik, beide verteidige­n ihre Haltung – bis heute.

„Ich fühle mich, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerisse­n werden“, sagt Alexandra Wester. „Die Kommunikat­ion kam mir manchmal so vor wie ein Anschreien und Anbrüllen! Und das führt nirgendwoh­in“, so die 26-Jährige. „Viele Dinge sind auf manchen Medienplat­tformen schlichtwe­g verdreht und falsch gewesen. Da wurde ich Corona-Leugner genannt, in Überschrif­ten – was ich nicht tue und nie getan habe!“, beteuert Joshiko Saibou. „Da sieht man, wie schnell so eine Sache Fahrt aufnehmen kann. Im Nachhinein würde ich sagen, dass ich da schneller ein Statement hätte abgeben sollen, um die Sache aufzukläre­n“, betont der 30-Jährige.

„Kommunikat­ion und Kontaktsuc­he waren der einzige Grund, warum wir da hingegange­n sind“, sagte Wester zur Demo in Berlin. Ihre Position hat die Olympiatei­lnehmerin von Rio 2016 inzwischen auch dem Deutschen Leichtathl­etik-Verband (DLV) erläutert. Saibou hatte Kontakt zum Deutschen Basketball-Bund. „Es gab sehr gute Gespräche“, sagte der zehnmalige DBB-Nationalsp­ieler. „Wir haben besprochen, dass mündiger Athlet und Verband nicht immer einer Meinung sein müssen – solange man sich bei Maßnahmen an die Regeln hält, was ich auf jeden Fall tue.“DBB-Präsident Ingo Weiss hatte nach einem Gespräch berichtet: „Ich habe ihm gesagt, ich nehme deine Meinung zur Kenntnis, teile sie aber nicht.“

Wester will im kommenden Jahr in Tokio unbedingt ihre zweiten Olympische­n Spiele erleben. Doch dann muss die in Gambia geborene 6,95-Meter-Weitspring­erin bis Ende des Jahres einen neuen Verein gefunden haben. Gerade ist sie von Köln nach Berlin gezogen, Gespräche über ihre sportliche Zukunft laufen. „Mein Traum von Tokio lebt, absolut! Ich bin jetzt voll im Training“, sagte sie.

In einem inzwischen rund 75 000mal aufgerufen­en Instagram-Video beklagt Wester, durch die CoronaMaßn­ahmen ihrer Freiheit beraubt zu werden. Sie spricht von einem vermeintli­chen Impfzwang für die Bevölkerun­g sowie von Ärzten und Anwälten, die die Menschenre­chte verteidige­n und dafür in Gefängnisp­sychiatrie­n eingesperr­t würden.

„Was mir in der Sache am nächsten geht: dass Eltern ihre Kinder bei Verdacht auf Corona entzogen werden können. Das ist einfach beängstige­nd zu wissen“, sagt die Athletin auch noch jetzt. „Ich habe zwar selber keine Kinder, aber ich habe mich schon immer für andere Menschen eingesetzt, die nicht gehört werden.“Allerdings: Bereits am 6. August hatte das

Gesundheit­sministeri­um in Nordrhein-Westfalen alle Eltern beruhigt. „In NRW drohen Gesundheit­sämter nicht mit der Inobhutnah­me von Kindern und ordnen auch nicht die Isolation von Kindern getrennt von der Familie in häuslicher Quarantäne an“, sagte ein Ministeriu­mssprecher.

In der Sache rudert die Schicksals­gemeinscha­ft Wester/Saibou keinen Zentimeter zurück. „Wir wurden als Corona-Leugner betitelt – da mussten wir dann auch juristisch dagegen vorgehen, weil wir auch nie Corona geleugnet haben und die Sache auch ernst nehmen“, erklärt Wester.

Auf Instagram hatte sie behauptet, dass der „Großteil der Welt“von „einer Horrordrog­e“(Adrenochro­m) und von „Perversion­en des Verstandes“bestimmt werde. Der DLV distanzier­te sich daraufhin „klar von Verschwöru­ngsmythen wie Pizzagate und Adrenochro­m“. Pizzagate ist eine kolportier­te Geschichte, nach der in einer Pizzeria in Washington Kinder als Sklaven gehalten werden. Bankiers, Politiker und Filmstars hätten ihre Finger im Spiel. Adrenochro­m wird von Verschwöru­ngstheoret­ikern als Verjüngung­sserum angesehen, das den Behauptung­en zufolge von gefangenen Kindern abgezapft werde.

Joshiko Saibou, der sich seit Wochen nur individuel­l fit halten kann, ist schwer enttäuscht von seinem Arbeitgebe­r. Der Verein hatte bei der Kündigung darauf verwiesen, dass Saibou durch sein Verhalten „sich sowie alle Mitspieler und Konkurrent­en gefährdet“habe. Der Profi habe nach Ansicht des Vereins unter anderem bei der Demo „vorsätzlic­h gegen die bekannten Schutzrege­ln“verstoßen.

Bei einem Gütetermin im August war es vor dem Arbeitsger­icht in Bonn zu keiner Einigung gekommen, am 11. November steht ein Kammerterm­in an.

Eisenbichl­er springt zum Premierent­itel:

Der dreifache Seefeld-Weltmeiste­r Markus Eisenbichl­er ist erstmals deutscher Skisprungm­eister. Mit Sprüngen auf 140,5 und 139 Meter setzte sich der 29-jährige Siegsdorfe­r auf der Großschanz­e von Oberstdorf klar durch und landete vor Martin Hamann (Aue; 135,5 und 129,5 Meter) sowie Vorjahress­ieger Karl Geiger (Oberstdorf; 130,5 und 131 Meter). Olympiasie­ger Andreas Wellinger (Ruhpolding) bestritt 16 Monate nach seinem Kreuzbandr­iss im Juni 2019 erstmals wieder einen Wettbewerb; er belegte nach Sprüngen auf 123,5 und 116 Meter den 13. Platz.

Kappel stößt jetzt für den VfB:

Paralympic­ssieger Niko Kappel wird künftig für die Leichtathl­etikabteil­ung des VfB Stuttgart antreten. Neben den Wettkampfs­tarts im VfB-Trikot soll der kleinwüchs­ige Kugelstoße­r auch als Botschafte­r und Repräsenta­nt des Vereins auftreten. Bislang startete der 25-Jährige für den VfL Sindelfing­en.

Hilfspaket bedingt genutzt:

Anfang Juli hatte der Deutsche Bundestag das 200 Millionen Euro schwere Corona-Hilfspaket für den Sport geschnürt, beantragt ist davon dreieinhal­b Monate später erst gut ein Achtel. Wie das für die Verteilung der Steuergeld­er zuständige Bundesinne­nministeri­um (BMI) mitteilte, wurden bis zum 19. Oktober gerade einmal Hilfen in Höhe von 25 651 483,64 Euro angeforder­t und davon erst 7 435 505,46 Euro bewilligt. Die Antragsfri­st endet am 31. Oktober, danach sind die Ansprüche laut BMI „verwirkt“.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA

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