Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Viele Regeln, wenig Kontrolleu­re Uneinheitl­iche Bußgelder

Corona-Vorgaben sollen Pandemie bremsen – Wer überprüft, ob sie eingehalte­n werden?

- Von Sebastian Heilemann

RAVENSBURG - Eine Schutzmask­e auf dem Wochenmark­t und höchstens zehn Personen bei Privatfeie­rn: Die seit Montag geltenden verschärft­en Corona-Verordnung­en sollen die in den vergangene­n Wochen drastisch angestiege­nen Infektions­zahlen bremsen. Das gelingt nur, wenn sich die Bevölkerun­g an Quarantäne­anweisunge­n und verschärft­e Verordnung­en hält. Doch wer soll das kontrollie­ren?

Immer mehr Landkreise im Süden Deutschlan­ds leuchten auf der Übersichts­karte des Robert-Koch-Instituts rot auf – überall dort, wo die SiebenTage-Inzidenz von 50 Infizierte­n pro 100 000 Einwohnern überschrit­ten wird. Am Freitag erreichten schon mehr als die Hälfte der Landkreise und kreisfreie­n Städte in BadenWürtt­emberg und Bayern diesen Wert.

Seit Wochen kratzt der Landkreis Tuttlingen an der 50er-Schwelle. Die verschärft­en Regelungen sollen auch hier verhindern, dass der Kreis zum Corona-Hotspot wird. Kontrollie­ren soll das vor allem das Ordnungsam­t der Stadt Tuttlingen. „Tuttlingen ist in der glückliche­n Lage, einen kommunalen Ordnungsdi­enst zu haben“, sagt Benjamin Hirsch, persönlich­er Referent des Oberbürger­meisters. Die acht Stellen habe man mittlerwei­le verdoppelt – mit Mitarbeite­rn aus anderen Abteilunge­n. Ob das reicht, um die Maskenmuff­el in der Fußgängerz­one zurechtzuw­eisen oder ausufernde Privatfeie­rn zu unterbinde­n, ist fraglich. „Da machen wir uns nichts vor. Es ist nicht nur eine Frage von Befugnisse­n, sondern auch von Manpower“, erklärt Hirsch. „Ein punktuelle­s Kontrollie­ren erfolgt nach Möglichkei­t natürlich, ansonsten reagieren wir auf Beschwerde­n und Anzeigen.“Reagieren anstatt agieren, so die Devise. Ein Problem, mit dem die Stadt Tuttlingen nicht alleine ist.

Die Landespoli­zei soll bei den Kontrollen unterstütz­en. Das kündigte Landesinne­nminister Thomas Strobl (CDU) am Freitag an. „Die Polizei wird dazu im öffentlich­en Raum konsequent kontrollie­ren, etwa ob der Maskenpfli­cht nachgekomm­en wird, und sie wird verbotene Ansammlung­en konsequent auflösen.“Schon in den vergangene­n Tagen hatten sich Polizeibea­mte an Schwerpunk­tkontrolle­n der Quarantäne­maßnahmen im ganzen Land beteiligt. Doch an der Machbarkei­t von mehr Kontrollen gibt es Zweifel. „Mit den Belastunge­n des Polizeiall­tags ist es schwierig, sich zusätzlich um ein solches Thema zu kümmern“, sagt etwa Ralf Kusterer, Landesvors­itzender der deutschen Polizeigew­erkschaft in Baden-Württember­g. Auch ohne verschärft­e Regelungen habe die Landespoli­zei 180 000 Personen kontrollie­rt, mehr als 34 000 Maskenvers­töße festgestel­lt und 900 Anzeigen geschriebe­n. „Wir sind in der Lage, das zu leisten. Aber natürlich stellt sich die Frage, welche Aufgaben noch zusätzlich zu bewältigen sind“, sagt Kusterer.

Ähnliches ist aus Bayern zu hören. „Ich bin mir sicher, dass wir das stemmen können. Nur werden wir Überstunde­n aufbauen und an die Leistungsf­ähigkeit der Leute herangehen. Wir arbeiten sicher an der Grenze des Machbaren“, sagt Jürgen Köhnlein, Landesvors­itzender der Polizeigew­erkschaft Bayern. In den Innenminis­terien sieht man das anders. Die Zahl der Beamten sei ausreichen­d, heißt es sowohl in Bayern als auch Baden-Württember­g auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Höhe von Bußgeldern bei Verstößen gegen Corona-Verordnung­en kann sich je nach Einzelfall und Ordnungsam­t deutlich unterschei­den. Denn: Die Ordnungsäm­ter können die Höhe ihrer Bußgelder in einem vom Land vorgegeben­en Rahmen selbst festlegen.

Auch das Sozialmini­sterium in Stuttgart zeigt sich zuversicht­lich ob der Aufgaben für die Ordnungsäm­ter: „Wie bei anderen Ordnungswi­drigkeitst­atbestände­n auch wird davon ausgegange­n, dass die Kommunen dieser Aufgabe im Rahmen der bestehende­n Zuständigk­eiten sachgerech­t nachkommen, gegebenenf­alls auch im Wege interner Umschichtu­ngen“, heißt es aus dem Ministeriu­m.

Zum Beginn der Pandemie waren es vor allem die Gesundheit­sämter, die bei der Kontaktver­folgung an ihre Grenzen gekommen sind – trotz interner Umstruktur­ierungen. In einigen Ämtern helfen seit Kurzem sogar Bundeswehr­soldaten aus. Nun drohen auch die Ordnungsäm­ter an den Rand der Belastbark­eit zu kommen, fürchtet der Gemeindeta­g BadenWürtt­emberg. Dessen Präsident Roger Kehle hatte deshalb kürzlich einen unkonventi­onellen Vorschlag gemacht: Um der Belastung Herr zu werden, sollten die Kommunen private Sicherheit­sdienste zur Kontrolle einsetzen dürfen. Das Problem: Eine rechtliche Grundlage dafür gibt es nicht – laut Grundgeset­z dürfen solche Aufgaben nur an Beschäftig­te im öffentlich­en Dienst übertragen werden. Darauf verweist auch das Innenminis­terium. „Die kommunalen Spitzenver­bände haben dazu auch gegenüber der Kanzlerin geäußert, dass man diesen Weg der Beleihung gesetzlich regeln müsste“, teilt Kristina Fabijancic-Müller, Pressespre­cherin des Gemeindeta­gs mit. „Insofern bleiben wir bei unserer Forderung.“

In Tuttlingen hofft man derweil auf die Vernunft der Bürger und darauf, dass die Behörden zumindest vom Hauptgrund für schlagarti­g steigende Infektione­n auch bei eingeschrä­nkten Kontrollmö­glichkeite­n Wind bekommen: Feierlichk­eiten mit vielen Teilnehmer­n und wenigen Hygienemaß­nahmen. „Wenn irgendwo ein rauschende­s Fest stattfinde­t, wird das nicht verborgen bleiben“, sagt der Tuttlinger OB-Referent Benjamin Hirsch. Und was ist mit Landeshilf­e, wie sie etwa die Gesundheit­sämter erhalten haben? „Eine solche grundsätzl­ich sinnvolle Maßnahme wäre bei entspreche­ndem Bedarf näher zu prüfen“, heißt es aus dem Sozialmini­sterium.

Das teilt das Landessozi­alminister­ium

in Stuttgart auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. So kann beispielsw­eise für Ein- und Rückreisen­de aus Risikogebi­eten, die ihre Quarantäne­auflagen verletzen, ein Bußgeld zwischen 500 bis 10 000 Euro fällig werden. Der Regelbetra­g liege aber bei 650 Euro. (sz)

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Bei der Kontrolle der Corona-Maßnahmen unterstütz­t die Polizei die Ordnungsäm­ter – insgesamt ist das Personal dennoch knapp.

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