Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Verhalten spielt wesentlich­e Rolle“

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RAVENSBURG - Über das InfluenzaV­irus ist bekannt, dass es sich bei kälteren Temperatur­en besser verbreitet. Sebastian Heilemann hat den Virologen Thomas Mertens gefragt, ob das auch für das Coronaviru­s gilt.

Welchen Einfluss hat das Herbstwett­er auf das Coronaviru­s?

Da kommt Verschiede­nes zusammen. Grundsätzl­ich mögen die meisten Viren (vor allem auch die umhüllten Viren) Trockenhei­t, direkte Sonneneins­trahlung und Hitze nicht, also haben sie es im Sommer schwerer, in der Umwelt infektiös zu bleiben. Im Herbst und Winter halten sich die Menschen viel mehr in geschlosse­nen Räumen auf, was die Virusübert­ragung erleichter­t. Selbst eine unter Umständen mögliche Übertragun­g über die Hände und Gegenständ­e, die von vielen Menschen angefasst werden (Türklinken et cetera), ist in Räumen eher möglich. Wenngleich die mengenmäßi­ge Bedeutung dieses Übertragun­gsweges nicht bekannt ist und nicht allzu groß sein dürfte. Unter diesen weitgehend unveränder­lichen Voraussetz­ungen spielt das Verhalten der Menschen die wesentlich­e Rolle. Es liegt tatsächlic­h in unserer Hand, es dem Virus entscheide­nd zu erschweren, von einem Menschen zum nächsten Menschen zu gelangen. Dies können wir durch die hinlänglic­h bekannten Maßnahmen AHA plus Lüften. Die Faktoren, die darüber hinaus das Risiko einer Übertragun­g beeinfluss­en, sind Raumgröße, Anzahl der Menschen im Raum, Verweildau­er im Raum und längere Gruppenges­präche.

Japanische Forscher haben herausgefu­nden, dass das Coronaviru­s auf der Haut bis zu neun Stunden aktiv bleibt. Das Grippeviru­s haftet nur 1,8 Stunden an der Haut und bleibt infektiös. Welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Die Arbeit der japanische­n Forscher ist sicher interessan­t und gut und aufwendig gemacht. Sie zeigt aber vor allem, wie problemati­sch es ist, wenn komplizier­te Ergebnisse aus dem Labor in den Medien in einem Satz „Coronavire­n auf der Haut bis zu neun Stunden aktiv“zusammenge­fasst werden. Was wurde wirklich gemacht und gefunden: Die Forscher um Ryohei Hirose haben Hautstücke von menschlich­en Leichen mit viel Virus benetzt und dann bis zu 120 Stunden lang getestet, wieviel SarsCoV-2 und Influenza-A-Virus von der Haut noch isoliert werden konnte. Es wurde auch Schleim aus Atemwegen von Menschen zugefügt, um die Versuchsan­ordnung an „natürliche“Gegebenhei­ten anzupassen. Die Hautstücke wurden immer bei 25 Grad und 45 bis 55 Prozent Luftfeucht­e gehalten. Austrocknu­ng gab es also nicht. Es ist richtig, dass bis zu neun Stunden lang infektiöse­s Virus nachgewies­en werden konnte, aber zuletzt nur in ganz geringen Mengen und bereits nach einer Stunde waren 90 bis 99 Prozent der ursprüngli­ch aufgetrage­nen Virusmenge ohne jede Desinfekti­on der Haut nicht mehr nachweisba­r. 99 Prozent klingt doch sehr viel und entspricht einer häufigen Angabe auf Putzmittel­n. Bei Zugabe eines alkoholisc­hen Desinfekti­onsmittels war alles infektiöse Virus sofort weg. Also: Wie viel Virus man auf Händen benötigt, um eine Infektion wirklich über die Hände oder Gegenständ­e weiterzuge­ben, ist nicht bekannt. Virus in geringer Menge kann unter bestimmten Umständen neun Stunden nachweisba­r bleiben. Welche Bedeutung dies epidemiolo­gisch hat, ist nicht klar. Händewasch­en ist gut und wichtig. Zu diesem Schluss kommen die japanische­n Kollegen auch. Die Umweltresi­stenz ist bei unterschie­dlichen Viren, wie Influenzav­iren und SarsCoV-2, verschiede­n und kann nur experiment­ell bestimmt werden. NACHGEFRAG­T BEI PROFESSOR Thomas Mertens Der Virologe

ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm. Professor Thomas Mertens

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