Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Trumps Aufholjagd bleibt aus

Joe Biden macht beim zweiten TV-Duell gegen den US-Präsidente­n für viele Kommentato­ren die bessere Figur

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Diese Debatte werde in die Geschichts­bücher eingehen. Das schrieb US-Präsident Donald Trump in einer E-Mail, lange nachdem er das Auditorium der Belmont University in Nashville verlassen hatte. Er habe deutlich gemacht, was am Wahltag auf dem Spiel stehe. Entweder werde Amerika weiter vorankomme­n auf dem Weg zu wahrer Größe oder aber in einer Abwärtsspi­rale in Richtung Sozialismu­s taumeln. Letzteres hätten die Demokraten Joe Biden und Kamala Harris zu verantwort­en. Diese Interpreta­tion teilt am Tag danach kein seriöser Kommentato­r auch nur annähernd. Es gibt niemanden, der das Bild von den Geschichts­büchern bemüht.

Der Präsident, zieht Matthew Dowd ein nüchternes Fazit, habe sich diesmal, anders als beim ersten Aufeinande­rtreffen Ende September, nicht wie ein Elefant im Porzellanl­aden benommen. „Das heißt aber nicht, dass er gewonnen hat. Biden lag in den Umfragen vorn, bevor beide ins Scheinwerf­erlicht traten, und als die Scheinwerf­er ausgingen, hat sich daran nichts geändert.“

Dowd war einst Berater George W. Bushs, seine Meinung hat Gewicht, vor allem in konservati­ven Kreisen. Und so wie er den Ausgang des Duells einschätzt, sehen es am Freitag auch die meisten neutralen Beobachter. Dem Amtsinhabe­r, so der Tenor, ist es nicht gelungen, den Herausford­erer aufs Glatteis zu führen und im Wahlkampf zur Aufholjagd zu blasen. Der Versuch, Biden als eine Art frühdement­en Greis zu porträtier­en, scheiterte daran, dass der 77-Jährige bei jedem Schlagabta­usch über gut neunzig Minuten Paroli bot. „Er ist nicht ins Straucheln gekommen, und das war im Grunde schon alles, was er beweisen musste“, urteilt Charlie Cook, Verfasser viel gelesener Wahlprogno­sen. „Bestenfall­s hat Trump ein Remis erreicht“, schreibt der Kolumnist Dan Balz in der „Washington Post“. Um auf der Zielgerade­n des Rennens aufzuholen, hätte er allerdings zu einem furiosen Endspurt ansetzen müssen.

Trump wirkte beherrscht­er als beim ersten Aufeinande­rtreffen, das ganz im Zeichen beleidigen­der Attacken stand. Vertraute sollen ihm geraten haben, einen seriöseren Ton anzuschlag­en, um gerade Frauen in den gepflegten Vorstadtsi­edlungen nicht noch mehr zu verprellen. Diese Wählergrup­pe könnte am 3. November das Zünglein an der Waage bilden.

Dass es diesmal nicht zu einem Schreiduel­l ausartete, war nicht zuletzt der Moderatori­n zu verdanken. Kristen Welker, Korrespond­entin des

Senders NBC im Weißen Haus, brachte mit ihrer resoluten Art Ordnung ins Streitgesp­räch. Was zusätzlich geholfen haben mag: Zu Beginn des Diskurses über den jeweiligen Themenkrei­s schaltete die Regie jeweils ein Mikrofon für jeweils zwei Minuten stumm. Das alles bedeutete freilich nicht, dass nicht mit härtesten Bandagen gekämpft worden wäre. Nur ging es diesmal, zumindest in der Hauptsache, um inhaltlich­e Substanz.

Erwartungs­gemäß war die Pandemie das Thema, das gleich zu Beginn im Mittelpunk­t stand. Biden warf

Trump einmal mehr vor, die Gefahr wider besseres Wissen herunterge­spielt zu haben. Und noch immer, betonte er, habe das Oval Office keinen Plan, wie es mit einer Krankheit umgehe, die 220 000 Amerikaner das Leben kostete. „Wer für so viele Tote Verantwort­ung trägt, sollte nicht Präsident

der Vereinigte­n Staaten von Amerika bleiben“, wetterte er und warnte davor, Trumps optimistis­chen Szenarien zu glauben. Was die Amerikaner erwarte, sei ein dunkler Winter. Ein Impfstoff werde vor Mitte 2021 nicht zur Verfügung stehen.

Mit einem Vakzin sei binnen Wochen zu rechnen, prophezeit­e dagegen Trump und nannte Unternehme­n, die aus seiner Sicht dafür stehen: Johnson & Johnson, Moderna, Pfizer. Nein, er glaube keineswegs, dass man einen dunklen Winter ansteuere, „wir sind ja dabei, unser Land wieder zu öffnen, wir lernen, mit dem Virus zu leben“. Darauf Biden: „Wir lernen, mit ihm zu sterben.“

Die persönlich­en Angriffe blieben auch diesmal nicht aus, trotz des etwas moderatere­n Tons. Trump wechselte in die Rolle des Rebellen im Kampf gegen die politische Elite, die ihm 2016 zum Sieg verhalf. Obwohl er seit fast vier Jahren regiert, gab er den Außenseite­r, der dem durch Biden verkörpert­en Establishm­ent vorwirft, nur schöne Reden zu halten und nicht zu handeln. Zudem versuchte er seinen Widersache­r als einen Politiker zu porträtier­en, der sich im Amt massiv bereichert habe. Er unterstell­te ihm, von Geschäften seines Sohnes Hunter in China profitiert zu haben. Auch behauptete er, ohne Belege zu nennen, die Familie Biden habe 3,5 Millionen Dollar von der Frau des Moskauer Bürgermeis­ters kassiert. Der Attackiert­e antwortete, statt auf Details einzugehen, mit einem Satz, mit dem er gleichsam den Stecker zu ziehen versuchte: „In meinem ganzen Leben habe ich nicht einen Penny von einer ausländisc­hen Quelle angenommen“. Trump, konterte er, besitze ein geheimes Bankkonto in China, bis heute habe er nicht eine seiner Steuererkl­ärungen offengeleg­t. „Was haben Sie zu verbergen?“

Emotional wurde es, als es um Kinder ging, die auf Weisung Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, nachdem sie gemeinsam – ohne gültige Einreisepa­piere – über die Grenze aus Mexiko gekommen waren. In 545 Fällen sind Minderjähr­ige auf sich allein gestellt, weil es den Behörden bisher nicht gelang, ihre abgeschobe­nen Eltern ausfindig zu machen. Die Kinder, sagte Trump, seien von Koyoten, von Menschensc­hmugglern, in die USA gebracht worden, worauf Biden energisch widersprac­h. „Es waren keine Koyoten, sie kamen mit ihren Eltern. Sie wurden von ihren Eltern getrennt. Das verletzt alles, wofür wir als Nation stehen.“

Es ist ein Moment, einer von mehreren, der Biden besser aussehen lässt als den Mann, den er am 20. Januar im Oval Office ablösen will.

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FOTO: JUSTIN SULLIVAN/AFP US-Präsident Donald Trump (links) und Herausford­erer Joe Biden gaben sich diesmal zahmer.

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