Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Türkei wirft deutschen Behörden Rassismus vor

Polizei durchsucht Moschee in Berlin wegen möglichen Betrugs mit Corona-Soforthilf­en

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Als Islam-feindlich, rassistisc­h und verfassung­swidrig geißelt die Türkei eine Razzia der Berliner Polizei in einer Moschee der deutschen Hauptstadt. Präsident Recep Tayyip Erdogan schrieb am Freitagabe­nd auf Twitter, Europa nähere sich der „Dunkelheit des Mittelalte­rs“. Erdogans Vizepräsid­ent Fuat Oktay verlangte eine Entschuldi­gung der Berliner Staatsanwa­ltschaft und der Polizei bei der muslimisch­en Gemeinde. Der Präsident des türkischen Religionsa­mtes, Ali Erbas, warf den deutschen Behörden eine „hasserfüll­te Haltung“gegenüber Muslimen vor.

Die Berliner Polizei hatte am Mittwoch die Mevlana-Moschee in Kreuzberg wegen des Verdachts auf Betrug mit Corona-Soforthilf­en durchsucht. Laut der Berliner Generalsta­atsanwalts­chaft sollen drei Verdächtig­e unberechti­gt staatliche Soforthilf­en beantragt haben – in mindestens einem Fall soll das Konto der Mevlana-Moschee benutzt worden sein. Der Schaden durch den mutmaßlich­en Betrug liegt demnach bei 70 000 Euro. An der Durchsuchu­ng der Moschee und fünf anderer Adressen waren 150 Polizisten beteiligt.

Ein Vorstandsm­itglied des Moscheever­eins habe 14 000 Euro Soforthilf­e beantragt, berichtete der „Tagesspieg­el“. Der Verein gilt als gemeinnütz­ig, doch die Corona-Soforthilf­e sei nur für Gewerbetre­ibende vorgesehen und auch nur dann, wenn sie in der Corona-Krise finanziell­e Einbußen erlitten haben. Das sei bei der Moschee nicht zu erkennen, sagten Sicherheit­skreise der Zeitung zufolge. Dagegen erklärte der Vorstand der Moschee, er weise den Betrugsvor­wurf zurück. Die Polizisten seien während des Morgengebe­tes vermummt in das Gotteshaus eingedrung­en und hätten eine Tür und die Spendenbox aufgebroch­en.

Erdogan goss am Freitag Öl ins Feuer und prangert den Berliner Fall als Angriff auf den Islam an. Die Berliner Polizeiakt­ion gehe auf „Rassismus und Islam-Feindlichk­eit“zurück und ignoriere die Religionsf­reiheit. Europa, das als Wiege von Menschen- und Freiheitsr­echten gegolten habe, entwickele sich zu einer „Struktur, die Krieg gegen die Vielfältig­keit“führe.

Religionsa­mts-Chef Erbas erklärte, kein Vorwand rechtferti­ge den „diskrimini­erenden und respektlos­en“Umgang mit Muslimen. Das türkische Außenminis­terium kritisiert­e, es sei unentschul­dbar, dass die Polizisten den Gebetsraum mit ihren Stiefeln betreten hätten. Der „hässliche Akt“habe sich ausgerechn­et in der Hauptstadt eines Landes zugetragen, „das anderen Vorträge über Meinungsun­d Religionsf­reiheit halten will“.

Zafer Sirakaya, ein in Deutschlan­d geborener Abgeordnet­er der Regierungs­partei

AKP, schrieb auf Twitter, die Polizeiakt­ion in der Moschee sei „ein offensicht­licher Indikator für institutio­nellen Rassismus“. Der AKPAbgeord­nete Halil Etyemez warf der Berliner Polizei ein „Hassverbre­chen der Islam-Feindlichk­eit“vor.

Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich als Fürspreche­r von Muslimen auf der ganzen Welt und wirft dem Westen häufig Islamophob­ie vor. Vor wenigen Tagen griff er Pläne des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron an, der einen islamische­n „Separatism­us“in Frankreich und ausländisc­hen Einfluss auf französisc­he Muslime bekämpfen will. Macron wolle damit „alte Rechnungen mit dem Islam und den Muslimen begleichen“, sagte Erdogan. Es gebe Politiker, die sich am „Aufstieg des Islam“störten und Vorwände suchten, „um unsere Religion anzugreife­n“, fügte der türkische Präsident hinzu.

Kritiker werfen Erdogan vor, immer neuen außenpolit­ischen Streit vom Zaun zu brechen, um die Wähler und seine rechtsnati­onalistisc­hen Partner im Parlament zufriedenz­ustellen. Diese Taktik lenke auch erfolgreic­h von der Krise der türkischen Wirtschaft ab. Laut einer Umfrage des Instituts Metropoll stieg Erdogans Zustimmung­srate zwischen August und September – als Spannungen mit Griechenla­nd im Mittelmeer eskalierte­n – von knapp 48 auf über 52 Prozent.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Die Polizei durchsucht­e insgesamt sechs Adressen.

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