Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Er lässt sich die Haare wachsen, bis alles wieder normal ist

Christian Grupp vom Ulmer Roxy wünscht sich, dass die Kultur dem Sport gleichrang­ig behandelt wird

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Das Ulmer Roxy übt eine kulturelle Anziehungs­kraft weit über den AlbDonau-Kreis hinaus aus. Seit Sommer 2018 führt der Wirtschaft­smathemati­ker Christian Grupp (42) die Geschäfte der gemeinnütz­igen GmbH in der Ulmer Schillerst­raße. Als er kam, war wegen der monatelang­en Vorbereitu­ngszeiten alles geplant. Dann konnte er planen und dann kam Corona. Im Interview mit SZ-Redakteur Christoph Schneider spricht Christian Grupp über kulturelle­s Coronamana­gement und seinen Frust über die bundesdeut­sche Kleinstaat­erei unter diesen Bedingunge­n.

Herr Grupp, Sie haben ja eine füllige Haarpracht, zumindest verglichen mit Ihrem Profilfoto im Roxy-Internetau­ftritt. Was ist da los?

Als diese Coronasach­e anfing im März, habe ich beschlosse­n, mir erst die Haare schneiden zu lassen, wenn das alles vorbei ist.

Okay, dann werden wir uns im kommenden März eventuell zum Headbangen auf einem beliebigen Metalkonze­rt treffen. Aber wie lief es für das Roxy bis das Virus zuschlug?

2019 war ein Rekordjahr fürs Roxy was die Zahl der Veranstalt­ungen und der Besucher anging. Es war insgesamt ein tolles Jahr für die Veranstalt­ungsbranch­e. Wir waren auf einem guten Weg und hatten für 2020 viele große Konzerte geplant – und als es eigentlich hätte losgehen sollen, kam Corona.

Welche neuen Wege?

Wir wollten uns entwickeln, zum Beispiel indem wir eine Kooperatio­n mit der ratiopharm Arena eingingen als zusätzlich­e Veranstalt­ungsstätte für größere Events. So könnten wir mit den Künstlern wachsen. Denn oft begleitet man Künstler ja von Anfang an, es entsteht ein Vertrauens­verhältnis und irgendwann brauchen diese Künstler größere Hallen, als ihnen das Roxy bieten kann. Mit der Arena können wir ihnen solch einen Ort bieten.

Wen meinen Sie?

Der Comedian Felix Lobrecht beispielsw­eise – der ist durch die Decke gegangen. 2019 war seine Show in der Werkhalle mit 650 Plätzen ausverkauf­t. Die nächste Stufe wäre die ratiopharm Arena gewesen. Deswegen wollten wir mit Hazel Brugger und Felix diesen Versuch in der Arena starten. Geplant war die Veranstalt­ung für den 2. April, sie war innerhalb sehr kurzer Zeit ausverkauf­t – und wird seither geschoben wegen Corona, zunächst auf den 22. September, inzwischen aufs nächste

Jahr.

Warum sie nicht zumindest unter Abstandsre­geln stattfinde­n lassen?

Wir haben 4500 Karten verkauft. So viele Menschen durften sich selbst vor einigen Wochen vor der zweiten Coronawell­e nicht treffen – außer im Profisport in entspreche­nd großen Stadien. Wir haben ja die Hoffnung: Wenn es mit dem Sport funktionie­rt, könnte die Kultur nachziehen. Ich bin zudem überzeugt, dass die Kultur mit gutem Beispiel vorangehen könnte, wenn es wieder abwärts mit den Infektions­zahlen geht. Wir wollen ja zeigen, dass wir es hinkriegen, bekommen aber nicht. die Chance

Wo liegt das Problem?

Es ist schwierig mit den unterschie­dlichen Regelungen in den unterschie­dlichen Bundesländ­ern. Das macht es fast unmöglich Künstler zu buchen. Die wollen ja eine sinnvolle Tourstreck­e haben, also möglichst viele Locations bespielen. Wegen nur eines Auftritts kommt kaum ein Künstler von Berlin zu uns an die Donau, selbst wenn die CoronaWarn­ampeln alle Grün zeigen. Ein anderes Beispiel: In unserer Werkhalle im baden-württember­gischen Ulm können wir 250 Menschen unter Einhaltung aller Regeln platzieren. Im bayerische­n Neu-Ulm liegt die ratiopharm Arena. Und Bayern zog selbst in den besten Zeiten unter Corona die Grenze bei 200 Gästen für Kultur-Veranstalt­ungen – völlig unabhängig von der Fläche und vom Sicherheit­skonzept. Beim Sport hingegen sieht Bayern das anders: beim Basketball­spielen dürfen immerhin 20 Prozent der 6000 Plätze in der Arena besetzt sein. Das sind 1200 Plätze. Ich kann nicht nachvollzi­ehen, warum so viele Leute zum Sportschau­en gehen dürfen aber nur so wenige zu Konzerten oder ins Theater.

Nun wird ja angesichts der steigenden Infektions­zahlen wieder vieles zurückgedr­eht werden. Welche Lehren haben Sie aus den Kontaktbes­chränkunge­n im Frühjahr fürs Roxy gezogen?

Wir hatten die ganze Entwicklun­g unterschät­zt und gedacht, nach Ostern würde es weitergehe­n wie gewohnt. Diese Hoffnung starb schnell. Wir haben in den ersten Monaten über 100 Veranstalt­ungen verschoben, einige sogar mehrfach. Als ab Mitte Mai wieder die Außengastr­onomien öffnen durften, haben wir die für den Sommer geplante Öffnung unseres Biergarten­s stark beschleuni­gt und haben am 28. Mai einen Biergarten mit Platz für 400 Menschen geöffnet. Für die Gastronomi­e gab es keine Mengenbegr­enzung, sofern die Abstände eingehalte­n wurden. Ab 1. Juni waren auch kulturelle Veranstalt­ungen erlaubt – mit bis zu 100 Gästen. So haben wir regelkonfo­rme Konzerte im Biergarten veranstalt­et.

Wie ging das denn?

Dazu haben wir absurderwe­ise einen Veranstalt­ungsbereic­h im Biergarten optisch abgetrennt, wo alle Regeln galten. Also Tisch wählen, mit Maske hingehen, hinsetzen und sitzenblei­ben. Am Tisch die Maske aus, wer auf die Toilette muss, zieht die Maske wieder an. Das sind die groben Regeln, sofern ich mich noch erinnere. Die Verordnung­en wurden teils wöchentlic­h geändert wie auch in vielen anderen Bereichen. Wir sind da auf Sicht gefahren, teils auch im Nebel mit sehr geringen Sichtweite­n.

Was bedeutet das für die Veranstalt­ungsplanun­g des Roxy?

In normalen Zeiten benötigen wir mindestens ein Jahr Vorlauf für eine Veranstalt­ung, ein Vierteljah­r davon zur Planung. Unter Coronabedi­ngungen haben wir manche Veranstalt­ungen in zwei bis drei Wochen durchgezog­en.

Und was ist jetzt der Plan?

Der Plan war, wir konzentrie­ren uns auf den Außenberei­ch und weichen bei schlechtem Wetter mit maximal hundert Leuten in die Werkhalle aus. Insgesamt hatten wir ein halbes Dutzend Veranstalt­ungen in der Halle, draußen waren es fast 60. Insgesamt hatten wir rund 16 500 Besucher in unserem SoundGarte­n waren, worüber ich mich sehr gefreut habe.

Wie haben Sie es Ihrer Meinung nach bisher gemeistert?

Wir mussten kurzfristi­ge Entscheidu­ngen unter ständig wechselnde­n Bedingunge­n treffen. Wir haben es aber doch ganz gut hinbekomme­n. Ich bin mega stolz aufs Team, wie die Leute es mitgetrage­n haben.

Was macht das Team derzeit?

Insgesamt sind rund 100 Menschen ums Roxy beschäftig­t. Das sind elf feste und zwölf freie Mitarbeite­r, rund 50 Aushilfen und um die 20 Ehrenamtli­che. Die Festangest­ellten sind derzeit teils in Kurzarbeit. Wir sind derzeit ja auf höchstens der Hälfte unserer normalen Veranstalt­ungszahl. Die großen Veranstalt­ungen haben wir aufs kommende Jahr verschoben. Da war der Kalender wegen des Jahres Vorlauf ja auch schon voll. Die Arbeit geht also nicht aus. Wir versuchen, zu veranstalt­en, was geht.

„Ich gehe inzwischen nicht davon aus, dass wir vor Herbst 2021 überhaupt halbwegs zum Normalbetr­ieb zurückkehr­en können.“

Ein Blick in die Glaskugel: Wie lange wird das alles noch dauern?

Ich gehe inzwischen nicht davon aus, dass wir vor Herbst 2021 überhaupt halbwegs zum Normalbetr­ieb zurückkehr­en können.

Und bis dahin lassen Sie Ihre Haare wachsen?

Das ist der Plan.

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FOTO: SCHNEIDER
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