Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der erste Schuss fiel genau vor 125 Jahren
Früherer Truppenübungsplatz Münsingen würde den 125. Geburtstag feiern – Große Veränderungen auf der Alb
MÜNSINGEN - Vor 125 Jahren, genauer gesagt am 24. Oktober 1895, fiel auf dem Münsinger Schießplatz der erste Schuss, wenig später wurde das Alte Lager gebaut.
Rückblick: Der 3. August 1895 sollte das Leben in und um Münsingen entscheidend verändern: Wilhelm II., König von Württemberg, unterzeichnet die Ermächtigung für die Zwangsenteignung von Grundstücken auf dem Münsinger Hardt. Damit ist der Weg für den 3700 Hektar großen Gefechtsschießplatz für das XIII. Königlich Württembergische Armeekorps geebnet. Wenig später, am 24. Oktober, findet dort bereits das erste Schießen statt. Kurz danach beginnen die Planungen für die Soldatenunterkunft Altes Lager, die an den Schießplatz grenzt.
Im Mai 1896 starten die Bauarbeiten. Rund ein Jahr später sind neben der Offiziersspeiseanstalt auch zahlreiche Baracken für Soldaten aller Dienstgradgruppen bezugsfertig. Ebenso Ställe für die Pferde. Anfang des 20. Jahrhunderts wird das 72 Hektar große Areal kontinuierlich erweitert. Die Kämpfe während des Ersten Weltkrieges fordern ständig Nachschub. Für immer mehr neue Ausbildungs- und Einsatzeinheiten wird der Übungsplatz Durchgangsstation in „Schwäbisch Sibirien“, wie Münsingen von vielen Soldaten wegen des eisigen Klimas im Winter genannt wird. Gleichzeitig entsteht im Gewann Gänsewag, im Norden des Alten Lagers, ein großes Kriegsgefangenenlager für Franzosen, Russen, Italiener und Serben.
Nach dem Ersten Weltkrieg nutzen lange nur noch vereinzelt Soldaten der Reichswehr den Übungsplatz, sodass das Alte Lager nur noch selten belegt ist. Ende der 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre gibt es im Sommer im Lager Gänsewag Kinderfreizeiten. In der Lichtbildhalle unterhalb des Offizierskasinos laufen Kinofilme. Das Alte Lager ist nach wie vor für die Bevölkerung geöffnet.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 herrscht wieder militärischer Hochbetrieb in der Soldatensiedlung, in der jetzt kräftig renoviert und gebaut wird. Außerdem
entstehen neue Gebäude. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wird neben dem Lager Gänsewag Nord noch das Lager Gänsewag West für Kriegsgefangene errichtet.
1944 sind im Alten Lager zeitweise rund 20 000 Soldaten stationiert. Als am 24. April 1945 die Amerikaner in Münsingen einmarschieren, machen sich die letzten deutschen Soldaten aus dem Staub. Nur vier Monate dauert die amerikanische Ära, bevor die Franzosen Hausherr des Truppenübungsplatzes und des angrenzenden Alten Lagers werden.
Am 8. Oktober 1957 ist es soweit. Zwölf Jahre nach Kriegsende sind von diesem Tag an wieder deutsche Soldaten in Münsingen präsent. Sie gehören zur Bundeswehr, die zwei Jahre zuvor ins Leben gerufen wurde. Vier Soldaten eröffnen dort die Militärdienststelle „Deutscher Verbindungsoffizier
für die Truppenübungsplätze Münsingen und Heuberg“. Von nun an üben Deutsche und Franzosen abwechselnd auf dem Schießplatz und nutzen gemeinsam die Soldatenunterkunft. Von den 1960er-Jahren an lässt der Bund das Übungsgelände sukzessive mit Schießständen, Zielbauten und Panzerschießbahnen ausbauen. Zwischen Anfang der 1970er-Jahre und Ende 1980er-Jahre wird die 38 Kilometer lange Panzerringstraße gebaut, die den Schießplatz umrundet.
Obwohl der Truppenübungsplatz für die Bevölkerung viele Unannehmlichkeiten mit sich bringt, zeigen sich die meisten Bewohner rund um das Ende der 1930er-Jahre auf 6700 Hektar vergrößerte Sperrgelände verständnisvoll und geduldig. Nicht zu vergessen sind die vielen zivilen Arbeitsplätze in der Region.
Während der Zeit mit den Soldaten verdienen mehrere Tausend Arbeiter, Angestellte und Beamte ihre Brötchen beim Militär. Die Menschen lernen, sich mit der Garnison zu arrangieren.
Die deutsche Wiedervereinigung 1990 bringt entscheidende Veränderungen. In ganz Deutschland bauen die ehemaligen Besatzungsmächte ihre Truppen ab. Auch die Franzosen, die sich Mitte 1992 verabschieden und das Alte Lager und den Übungsplatz der Bundeswehr übergeben. Die Belastungen werden nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes kontinuierlich weniger.
Die deutschen Streitkräfte lassen in den folgenden Jahren die 205 Unterkünfte, Häuser und Scheunen für umgerechnet 21 Millionen Euro renovieren. 30 Soldaten und 130 zivile Mitarbeiter der Kommandantur betreuen die bis zu 20 000 Soldaten aus ganz Europa, die jährlich auf den Schießplatz zum Üben kommen und im Alten Lager auf Zeit wohnen.
Auch Polizei, Bundesgrenzschutz, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk nutzen regelmäßig Teile des 6700 Hektar großen Areals. Ende 2005 ist Schluss. Im Dezember, einen Tag vor Heilig Abend, verlässt Oberstleutnant Dieter Kargl als letzter der insgesamt 35 deutschen und französischen Kommandanten das Militärcamp.
Von Frühjahr 2006 an mieten sich zahlreiche große sowie kleine Betriebe und Firmen mehr oder weniger lang in die denkmalgeschützten Gebäude ein, die die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) verwaltet.
Seit November 2015 gehört dem ehemaligen Münsinger Nudelfabrikanten Franz Tress die einstige Soldatensiedlung, die er in den nächsten Jahren „zu einer zivilen, nachhaltigen Wohlfühlwelt“umgestaltet. Es entsteht dort „ein Sehnsuchtsort zum Entschleunigen“im Herzen des Biosphärengebietes Schwäbische Alb, das für jedermann zu den vorgegebenen Öffnungszeiten zugänglich ist. Der ans Albgut grenzende ehemalige Truppenübungsplatz, der Friedhof Hörnle, die 38 Kilometer lange Panzerringstraße und die Lagerhallen auf dem Gänsewag sind weiterhin im Eigentum der BImA. Der einstige Schießplatz ist inzwischen ein Wander- und Fahrradfahrerparadies und das Herzstück des 2008 ins Leben gerufenen Biosphärengebiet Schwäbische Alb.
Anlässlich des 125. Geburtstages des ehemaligen Truppenübungsplatzes/Altes Lager erscheint das Buch „Baracken, Bataillone und Bâtiments“von Joachim Lenk. Es ist 21 auf 28 Zentimeter groß und hat 272 Seiten mit mehr als 950 Fotos, Abbildungen und Postkarten. Der Erstverkaufstag ist morgen, Sonntag, 25. Oktober, zwischen 13.30 und 15.30 Uhr im Musikpavillon vor dem ehemaligen Offizierskasino (Württemberg Palais) im Alten Lager (Albgut). Der Autor ist ebenfalls anwesend.