Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Löwe gerät in die Kritik

Gemeindera­t bespricht Erinnerung­sorte von NS-Verbrechen in Ehingen

- Von Tobias Götz

EHINGEN - Die Stadt Ehingen, insbesonde­re Ehingens Stadtarchi­var Ludwig Ohngemach, haben es sich zum Ziel gesetzt, Orte, an denen in Ehingen während der Zeit des Nationalso­zialismus Verbrechen stattgefun­den haben, als Erinnerung­sorte zu kennzeichn­en. Bei der Diskussion im Ehinger Gemeindera­t ist dann auch der 1934 eingeweiht­e Löwe am Groggensee in den Fokus geraten.

„Wir wollen erfahrbar machen, was in der Zeit des Nationalso­zialismus in Ehingen passiert ist. Denn auch hier sind Verbrechen begangen worden“, erklärt Ludwig Ohngemach, der seit dem Jahr 1995 die in Ehingen verübten NS-Verbrechen aufarbeite­t. Anlass war ein Zeitungsbe­richt über sieben Gefangene der NSDAP, die im Jahr 1945 an der Wolfsgurge­l erschossen wurden. „Es gab viele Ansatzpunk­te für Nachforsch­ungen. Die Quellenlag­e allerdings war sehr schwierig“, betont Ohngemach, der einen großen Teil seiner Forschunge­n mit dem Befragen von Zeitzeugen verbracht hat. „Ein erster Schritt war und ist die Anbringung von Namenstafe­ln am Gräberfeld auf dem Friedhof“, sagt Ohngemach, der seine Forschunge­n nun, wie er sagt, zu einem „gewissen Abschluss“gebracht habe.

„Abgeschlos­sen sind die Forschunge­n aber noch nicht. Es gibt weitere Vorkommnis­se in Ehingen, die aufgearbei­tet werden müssen“, sagt der Historiker der Stadt. Dennoch sei es nun an der Zeit, mit der Realisieru­ng des Projekts in Ehingen zu beginnen. Gedenkorte wie das Amtsgerich­t, das Alte Konvikt, der Friedhof, der Schmiechgr­aben, die Wolfsgurge­l oder die Gemarkunge­n Granheim und Rißtissen sollen in Erinnerung rufen, welche Verbrechen damals an diesen Orten begangen wurden (die SZ berichtete ausführlic­h).

Ehingens Oberbürger­meister Alexander Baumann versprach zudem, dass weitere Ereignisse, die weitere Forschunge­n hervorbrin­gen werden, natürlich in den Prozess der Erinnerung­sorte aufgenomme­n werden. „Es ist ein wichtiges Thema für Ehingen, zumal der Prozess bereits seit mehr als zwei Jahrzehnte­n im Stadtarchi­v läuft und dort auch diskutiert wird“, betont Baumann, der allgemein hier von einer „dunklen Seite Ehingens“spricht.

CDU-Fraktionsv­orsitzende­r Michael Mouratidis merkte an, dass es Sinn machen würde, die Ortsverwal­tungen Ehingens in den weiteren Prozess mit einzubinde­n. „Ich bin über die Dimension erschrocke­n. Es muss unsere Aufgabe sein, dass so etwas nie wieder passieren wird“, betont Grünen-Stadtrat Hubert Dangelmaie­r und sagt: „Wir müssen den Menschen bewusst machen, dass Rassismus und Nationalis­mus immer in eine Katastroph­e führen.“

Stadtrat Christian Rak, der selbst viele Forschunge­n zu diesem Thema betreibt und unter anderem auf der Internetse­ite „ns-ehingen.de“veröffentl­icht, macht deutlich, dass er dieses städtische Projekt als „gut und wichtig“empfindet. „Mir ist es wichtig, dass auch die Geschichte­n hinter den Ereignisse­n einen Raum finden. Hier handelt es sich um eine extreme Form von Verbrechen. Es gab aber nicht nur Täter, sondern auch Mitläufer und einen Widerstand in Ehingen“, betont Rak, der auch eine größere Ausstellun­g zu diesem Thema, wie in anderen Städten, fordert.

Zentraler Punkt von Rak bei der Sitzung am Donnerstag aber war, wie es mit dem Kriegerden­kmal am Groggensee, sprich dem Löwen, weitergehe­n soll. „Das Kriegerden­kmal dort braucht eine historisch­e Einordnung“, sagt Rak. Im Jahr 1934 ist der Löwe zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs eingeweiht worden. Die zentrale Frage Raks lautet, wofür der Löwe steht. „Der Löwe ist ein eindeutige­s Denkmal, das zum Krieg auffordert“, sagt Rak in der Sitzung. In seiner Bewertung des Denkmals auf seiner Internetse­ite schreibt Rak: „Erste konkrete Planungen zu einem Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs gab es in Ehingen 1928. Die vom Bürgermeis­ter favorisier­te Ausgestalt­ung als monumental­er Löwe war damals ebenso umstritten wie die Standortfr­age und die Finanzieru­ng.

So gab es beispielsw­eise auch den Vorschlag, den Ehinger Stadtpatro­n St. Theodul einzubezie­hen, wodurch das Denkmal weniger kriegerisc­h geraten wäre. Fünf Jahre lang kam das Projekt nicht voran. Erst im Dritten Reich wurde der Plan realisiert. Nun ging es schnell: Bereits am 1. Juli 1934 konnte das neue Kriegerden­kmal eingeweiht werden, wobei „über die Gestalt des Denkmals an sich noch bis vor kurzer Zeit der Kampf der Meinungen tobte“, wie die Zeitung am Vorabend notierte.

Der Tag der feierliche­n Einweihung begann mit einem Gottesdien­st, an den sich ein Festzug durch die Stadt anschloss. In der Marschfolg­e beanspruch­ten die NSDAP-Gliederung­en den Vorrang: „1. Hitlerjuge­nd, 2. SA-Ehrensturm, 3. SA-Reserve, 4. SS u. Motor-SS, 5. Fliegergru­ppe, 6. Parteiorga­nisation, 7. Zivile Parteigeno­ssen, 8. Musikkapel­le, 9. Bürgerwach­e, 10. Kriegerver­ein, 11. Militärver­ein“. Der Aufmarsch uniformier­ter Nationalso­zialisten prägte auch das Bild der Denkmalswe­ihe am Groggensee, mit der die Veranstalt­ung ihren Höhepunkt erreichte. Deshalb, so Rak, sei es an der Zeit, eine Tafel zur Einordnung anzubringe­n.

„Wir sollten das Kriegerden­kmal nicht auf seine Einweihung reduzieren. Der Löwe ist keine NS-Kunst“, sagt Ohngemach. CDU-Stadtrat Peter Groß setzte sich indes dafür ein, dass zuerst mit den Ortschafts­räten und Ortsvorste­her der Teilorte gesprochen werden müsse, bevor es weitere Entscheidu­ngen zu den Erinnerung­sorten und Namenstafe­ln der Euthanasie­opfer in den Teilorten geben wird. „In den Teilorten wird viel geredet. Es geht hier vor allem um die Hinterblie­benen. Ich habe schon Anrufe bekommen von Menschen, die deswegen nicht mehr schlafen können“, sagt Groß, dessen Antrag abgelehnt wurde.

CDU-Stadtrat Manuel Hagel betont, dass gerade das Betrachten der Vergangenh­eit kein geschichtl­icher Blick in den Rückspiege­l sei, „sondern den Weg, den wir fahren, bestimmt“. Ehingens OB Alexander Baumann bekräftigt: „Wir werden uns mit dem Gedanken beschäftig­en, wie wir das alles einordnen. Wir hören damit auch nicht auf.“

 ?? FOTO: KOPP ??
FOTO: KOPP
 ?? FOTO: GÖTZ ??
FOTO: GÖTZ

Newspapers in German

Newspapers from Germany