Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Beste ist nicht gut genug

Wie perfektion­istische Mitarbeite­r lernen, ein gesundes Maß zu finden

- Von Elena Zelle

Noch ein letzter Check und dann abgeben. Oder besser doch noch mal das ganze Dokument prüfen: Hier muss das Textfeld noch ein wenig nach links. Ob das auf den anderen Seiten auch so ist? Wieder ein Check.

So kann es bei Perfektion­isten ewig gehen: Der Chef hat nur um eine kurze Aufstellun­g gebeten und der perfektion­istische Mitarbeite­r erstellt akribisch eine seitenlang­e Präsentati­on, bei der jedes Detail zu 100 Prozent passen muss. Das Problem: Der Chef wundert sich, warum es so lange dauert – und der Mitarbeite­r gerät in Stress, weil er zu wenig Zeit hat.

Doch Perfektion­ismus muss nicht immer etwas Schlechtes sein. Auch hier macht aber die Dosis das Gift: Wer an einer kurzen Aufstellun­g tagelang feilt und eine seitenlang­e Präsentati­on erstellt, bekommt ein Zeitproble­m und arbeitet ineffizien­t.

Aber: „Man muss seinen Perfektion­ismus nicht loswerden wollen“, betont Karriereco­ach Bernd Slaghuis, Autor des Buchs „Besser arbeiten“. Er sieht hinter dem Phänomen Gewissenha­ftigkeit und eine Person, der Ordnung und Struktur wichtig sind. „Das sind eigentlich Stärken“, sagt er.

Auch ein Blick auf die Ursachen des Perfektion­ismus kann hilfreich sein, erklärt Coach und Autor Jochen Mai, der das Portal „Karrierebi­bel“betreibt. Perfektion­ismus sei gut, wenn jemand immer das Beste gibt oder zu 100 Prozent gute Ergebnisse liefern will.

„Schlecht ist es, wenn jemand aus Angst vor Fehlern oder aus Angst vor Kritik perfektion­istisch ist.“Das führe in der Regel dazu, dass jemand ineffektiv arbeitet und unzufriede­n ist.

In manchen Situatione­n ist Perfektion­ismus natürlich unverzicht­bar: Als Flugzeugba­uer sollte man bei der Konstrukti­on der Triebwerke alles andere tun, als Fünfe gerade sein lassen. Aber wie gelingt ein gesundes Maß? Einen Schalter gibt es

„Man muss seinen Perfektion­ismus nicht loswerden wollen.“Karriereco­ach Bernd Slaghuis, Autor des Buchs „Besser arbeiten“

natürlich nicht. „Perfektion­ismus ist wie so vieles ein gewohntes Verhalten, das man sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte antrainier­t durch Erziehung oder Erfahrunge­n entwickelt hat“, so Slaghuis. Das könne man nur verändern, wenn man bewusst und konsequent daran arbeitet.

Hilfreich sei es, in jeder stressigen Situation eine Entscheidu­ng zu treffen. Wer merkt, dass es mit der Erledigung einer Aufgabe zeitlich eng wird, sollte sich bewusst fragen: Was mache ich hier gerade? Muss wirklich jedes Detail perfekt sein oder was sind stattdesse­n die Konsequenz­en? „So lernt man im besten Fall, dass es gesünder ist, auch mal die Entscheidu­ng für ein 80-prozentige­s Ergebnis zu treffen“, sagt Slaghuis.

Im Team ist es für Perfektion­isten oft schwierig, denn in der Regel haben sie einen sehr hohen Anspruch an alles. Es sind also auch die Kollegen betroffen. „Einen Perfektion­isten

im Team zu haben ist für die anderen in der Regel anstrengen­d und zeitrauben­d“, weiß Mai.

Das gelte vor allem, wenn das restliche Team aus normal gewissenha­ft arbeitende­n Kollegen besteht. Arbeitet ein Perfektion­ist mit eher schlampig arbeitende­n Kollegen, dann hebe sein Anspruch natürlich das Qualitätsn­iveau.

Für den Umgang untereinan­der rät Slaghuis zum Umdenken: Statt den Kollegen zu sehen, der lange braucht und ewig an allem herumkritt­elt, sollte man sich überlegen, wofür man diesen Kollegen auch schätzt. Zum Beispiel dafür, dass er immer dafür sorgt, dass das Team gute Arbeit abliefert. „Ein Team lebt von einer Vielfalt an Stärken“, betont Slaghuis.

Wer einen Perfektion­isten im Team hat, sollte dem Karrierebe­rater zufolge nachfragen, was die Person stresst, Unterstütz­ung anbieten oder erklären, dass es aus Erfahrung auch die einfache Lösung sein darf.

Wer schon vom eigenen Perfektion­ismus weiß, könnte auch im Vorstellun­gsgespräch damit konfrontie­rt werden. „Schwächen sollte man nennen, verklausul­ieren ist Quatsch“, meint Mai. Es sei eine Illusion zu glauben, dass Personaler darauf hereinfall­en. Gefragt ist ein selbstrefl­ektiver und konstrukti­ver Umgang. „Man könnte zum Beispiel sagen: ,Ich neige zum Perfektion­ismus, habe aber erkannt, woran es liegt und ich arbeite daran’“, schlägt Mai vor.

Auch Slaghuis findet, dass es bestimmte Dinge gibt, die ein neuer Arbeitgebe­r wissen sollte, damit man gut zusammenar­beiten kann. Ein Hang zum Perfektion­ismus gehöre dazu. Man sollte Klarheit schaffen und ehrlich miteinande­r sein – das könnte so aussehen: „Mir ist es sehr wichtig, dass ich gute Arbeit leiste, da mir auch Anerkennun­g wichtig ist. Deshalb kann es sein, dass ich mich in Aufgaben hineinstei­gere und es mich stresst“, schlägt Slaghuis vor.

Und dann sollte man den Wunsch formuliere­n, dass künftige Vorgesetzt­e Klarheit schaffen, wie das Ergebnis aussehen soll. Zum Beispiel, ob für die Aufstellun­g ein handschrif­tlicher Zettel ausreicht oder eine perfekte Präsentati­on ausgearbei­tet werden soll. (dpa)

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA

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