Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Katholisch­e Kirche im Zentrum des Protests

In Polen gehen Tausende Frauen gegen Abtreibung­sverbot auf die Straße

- Von Oliver Hinz

WARSCHAU (KNA) - Martialisc­he Wörter machen in Polen die Runde. Manche sprechen von „Religionsk­rieg“, andere von einer „Hölle für Frauen“. Ein Urteil des polnischen Verfassung­sgerichts für ein fast völliges Abtreibung­sverbot hat das Land in Aufruhr versetzt. Bisheriger Höhepunkt der seit fast einer Woche anhaltende­n Protestwel­le: ein landesweit­er Streiktag am Mittwoch. Mehr als 100 000 Frauen beteiligte­n sich laut Schätzunge­n an Kundgebung­en.

Längst geht es um mehr als das Abtreibung­sgesetz. Die Frauenrech­tsbewegung fordert den Rücktritt der nationalko­nservative­n Regierung. Die Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) hatte das Urteil herbeigefü­hrt und als Erfolg für den Schutz ungeborene­r Kinder gefeiert. Die Proteste richten sich aber auch gegen den Einfluss der katholisch­en Kirche im öffentlich­en Leben.

Die polnischen Bischöfe riefen vor der Entscheidu­ng der Verfassung­srichter eine Gebetsnove­ne für die Achtung des menschlich­en Lebens

ab der Empfängnis aus. Dem Vorsitzend­en, Erzbischof Stanislaw Gadecki, ist die Verschärfu­ng des Abtreibung­sgesetzes ein besonderes Anliegen. Im November 2019 bezeichnet­e er die „gesetzlich­e Erlaubnis zur Selektion aufgrund des Gesundheit­szustands des noch ungeborene­n Kindes“als eine „direkte Diskrimini­erung“kranker Kinder. Der PiS warf Gadecki vor, ihr Wahlverspr­echen von 2015 für eine Gesetzesve­rschärfung gebrochen zu haben.

Als nun die höchsten Richter Abtreibung­en von unheilbar kranken Föten für verfassung­swidrig erklärten, lenkte die Frauenbewe­gung ihre Proteste schnell auch gegen die Kirche. Sie rief dazu auf, Sonntagsme­ssen zu stören. Das Resultat: Demonstran­ten drangen in 22 Gotteshäus­er ein; die Fassaden von 79 Kirchengeb­äuden wurden mit Parolen beschmiert, wie Innenminis­ter Mariusz Kaminski am Mittwoch mitteilte. Die Polizei schreite entschloss­en gegen solche Angriffe und Entweihung­en ein. 76 Personen wurden laut dem Minister bereits festgenomm­en.

Empört über die Attacken auf Gottesdien­ste reagierte unter anderen der prominente Priester Tadeusz Isakowicz-Zaleski. Er verglich die Ausschreit­ungen auf Twitter mit der Judenverfo­lgung in der Reichspogr­omnacht im November 1938. „Diese Angriffe sind das Ergebnis eines Kulturkrie­ges, der seit Generation­en andauert und darauf abzielt, das Christentu­m zu vernichten und die Welt zu stürzen“, schrieb er in seinem Blog. Doch sein Unmut richtet sich auch gegen die Bischöfe von Warschau. Sie würden schweigen – und das sei nicht recht gegenüber den Geistliche­n und Gläubigen.

Der Sprecher der Bischofsko­nferenz, Leszek Gesiak, macht sich derweil Sorgen, dass sich angesichts der Proteste weitere Katholiken von der Kirche abwenden könnten. Mitverantw­ortlich dafür sei womöglich die Sprache, die die Kirche spreche, sagte er in einem Radiointer­view. „Vielleicht passt unser hierarisch­er Diskurs nicht in die veränderte Situation.“Gesiak betonte zudem: „Es war nicht die Kirche, die diesen Krieg verursacht hat. Wir wollten diesen Krieg wirklich nicht.“

Kampflusti­g gab sich der VizeMinist­erpräsiden­t und PiS-Vorsitzend­e

Jaroslaw Kaczynski. In einer Videobotsc­haft stellte er es so dar, als richteten sich die Proteste nicht gegen seine Partei, sondern gegen Kirche und Polen. „Wir müssen vor allem die polnischen Kirchen verteidige­n; wir müssen sie um jeden Preis verteidige­n“, forderte Kaczynski die PiS-Mitglieder und -Sympathisa­nten auf. Die Attacken auf Kirchen seien in dieser Größenordn­ung „vollkommen neu“. Der Angriff habe die Zerstörung Polens zum Ziel: „Er soll jene Kräfte zum Triumph führen, deren Herrschaft im Grunde die Geschichte der polnischen Nation beenden wird.“

Der Breslauer Jesuit Grzegorz Kramer widersprac­h Kaczynski deutlich. „Ich bitte Sie, die Kirche nicht 'um jeden Preis' zu verteidige­n“, schrieb er auf Facebook. Jesus lehre etwas anderes – nämlich nicht zum Schwert zu greifen. „Die Kirche hat eine einzige ,Waffe’: Liebe, die vergibt“, so der Ordensmann.

Wie man auch will: Die Kirche in Polen klärt momentan ihre Rolle im Land. Einen Bedeutungs­verlust wie in Irland will sie auf alle Fälle abwehren.

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