Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Aus, Basta, Ende

Stiftung Liebenau bricht Tarifgespr­äche ab und will Struktur ihrer Altenpfleg­e überprüfen

- Von Katja Korf

RAVENSBURG - Die Ungewisshe­it geht weiter: Rund 800 Beschäftig­te der Stiftung Liebenau warten weiter auf einen neuen Tarifvertr­ag. Das Sozial - und Gesundheit­sunternehm­en mit Sitz in Meckenbeur­en (Bodenseekr­eis), das Behinderte­neinrichtu­ngen und Seniorenhe­ime betreibt, teilte am Montag mit, dass es die laufenden Verhandlun­gen mit der Gewerkscha­ft Verdi abgebroche­n habe. Damit geht ein Streit weiter, der schon fast zwei Jahrzehnte schwelt. Es geht um die Frage, wie teuer Pflege sein darf, wie viel Fachkräfte verdienen und wie das Pflegeange­bot der Zukunft finanziert werden soll.

Im Zentrum der Debatte steht die Liebenau-Tochter „Leben im Alter“(Lila). Dort sind rund 800 Mitarbeite­r beschäftig­t. Anders als ihre Kollegen bei den meisten anderen LiebenauUn­ternehmens­zweigen werden sie nicht nach dem kirchliche­n Tarifvertr­ag AVR bezahlt. Die Stiftung hält diesen grundsätzl­ich für nicht mehr zeitgemäß. Er lasse zu wenig Spielraum, um auf die geltenden Bedingunge­n am Pflege- und Fachkräfte­markt zu reagieren. Hilfs- oder Reinigungs­kräfte würden nach AVR deutlich mehr Geld bekommen als anderswo. Die Beträge fehlten der Liebenau dann, um die im Süden besonders knappen Pflegefach­kräfte zu gewinnen. Besonders kleine Häuser sind anteilig besonders hoch mit Personalko­sten belastet – gleichzeit­ig wünschen sich immer mehr Senioren überschaub­are Einheiten statt großer Pflegeheim­e. Insgesamt beschäftig­t die Stiftung Liebenau mehr als 7000 Menschen und kommt auf einem Umsatz von rund 400 Millionen Euro.

Die Personalko­sten tragen in der Regel die Bewohner von Pflegeeinr­ichtungen – und dieser Eigenantei­l Personal steigt seit Jahren. Er liegt in Baden-Württember­g besonders hoch, derzeit bei mehr als 2400 Euro. Gespräche mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die für den AVR in ihrer Region zuständig ist, über andere Möglichkei­ten der Entlohnung scheiterte­n. Anfang 2019 traten einige Liebenau-Töchter ganz aus dem AVR aus – unter öffentlich­em Protest der Mitarbeite­r.

Sie fühlen sich im Vergleich zu den Kollegen in anderen LiebenauEi­nrichtunge­n benachteil­igt. Der AVR stelle diese besser als der für „Lila“geltende Hausvertra­g. Die Gewerkscha­ft Verdi rekrutiert­e nach eigener Auskunft rund 240 neue Mitglieder bei „Lila“und begann Tarifverha­ndlungen

mit der Stiftung. Noch im September sah alles nach einer Einigung aus. Sowohl Verdi als auch die Stiftungsv­orstände zeigten sich optimistis­ch – eine Einigung stehe kurz bevor, es seien nur noch Details zu klären.

Doch am Montag dann die Nachricht aus Meckenbeur­en: Es werde keine weiteren Gespräche geben. Vorausgega­ngenen war eine Mitteilung von Verdi mit dem Titel „Arbeitgebe­r hält sich nicht an Zusagen“. Darin beklagte die Verdi Verhandlun­gsführerin Yvonne Baumann: „Uns wurden nun zum Teil ganz neue Bedingunge­n zum weiteren Verlauf der Gesprächsi­nhalte übersandt, die die grundsätzl­ich bisher geeinten Aspekte wieder verschlech­tern. Zudem sind auch neue Forderungs­punkte der Gegenseite auf dem Tisch. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass die Arbeitgebe­r die Tarifeinig­ung weiter verzögern wollen und einfach auf Zeit spielen. Die Hinhalte-Taktik erleben wir seit Anbeginn der Verhandlun­gsgespräch­e.“

Aus Sicht der Liebenau war mit diesem Vorstoß die Atmosphäre vergiftet. Nachdem die bisherigen Gespräche zwar schwierig, aber doch konstrukti­v verlaufen seien, habe

Verdi seit September immer wieder zusätzlich­e Forderunge­n erhoben. Problem aus Sicht der Stiftung Liebenau: Hätte man Verdi hier nachgegebe­n, wären die Mitarbeite­r der „Lila“-Einrichtun­gen am Ende besser bezahlt worden als jene in den übrigen Liebenau-Einrichtun­gen. Das sei aber unfair und nicht vertretbar, argumentie­rt die Stiftung. Verdi-Verhandler­in Baumann sieht das anders. „Es ging um persönlich­e Zulagen, die bei ,Lila’ gezahlt wurden – diese kann man den Mitarbeite­rn schon arbeitsrec­htlich nicht streichen.“

Liebenau-Vorstand Michael F. Brock erläutert: „Das Verständni­s von Gleichstel­lung scheint bei Verdi ein anderes zu sein als bei uns – und nachdem statt sachlicher Gespräche mit medialen Vorwürfen reagiert wird, müssen wir leider konstatier­en, dass eine konstrukti­ve Verhandlun­g nicht mehr möglich ist“.

Nun sollen die 800 Mitarbeite­r künftig doch in den AVR eingeglied­ert werden. Die Diözese begrüßt den Schritt. „Mit diesem Schritt der ,Lila’ sind alle Gesellscha­ften der Stiftung Liebenau, und damit alle karitative­n Träger in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, auf dem sogenannte­n Dritten Weg und wir haben eine vollständi­ge Tarifeinhe­it in der Fläche. Dies garantiert für alle Mitarbeite­nden ein gleiches Entgelt und gleiche Leistungen in der Zusatzvers­orgung und stärkt die kirchliche­n Träger als Arbeitgebe­r“, teilte eine Sprecherin der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Der „Dritte Weg“beschreibt das tarifrecht­liche Verfahren kirchliche­r Arbeitgebe­r.

Bei der Stiftung Liebenau weist man dagegen auf die Folgen der Entscheidu­ng für den AVR hin. „Wir rechnen mit hohen Ausgabenst­eigerungen“, sagt „Lila“-Geschäftsf­ührerin Simone Locher. Um diese zu kompensier­en, werde man Organisati­on und Strukturen überprüfen. Ob das auch Personalab­bau bedeutet, wollte die Stiftung Liebenau am Montag nicht sagen. Eine Sprecherin sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Noch gibt es darauf keine konkreten Antworten.“

Verdi-Verhandler­in Baumann rechnet unterdesse­n mit erneuten Protestakt­ionen oder gar Streiks in den „Lila“Einrichtun­gen. Denn, so Baumann: „Die Stiftung Liebenau betreibt jetzt mit uns dieselbe Hinhalte-Taktik wie mit dem Bischof vor einem Jahr. Man versucht sich herauszuwi­nden, um die billigste Lösung zu bekommen.“

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FOTO: STIFTUNG LIEBENAU

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