Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Untermarchtal in royaler Euphorie
Königin Charlotte schaute am 4. November in der Gemeinde vorbei
UNTERMARCHTAL (hi) - Die Verantwortlichen vor Ort hatten alles, was zum Besuch einer königlichen Hoheit gehört, wohlgeordnet vorbereitet. Eigentlich sollte der Besuch geheim bleiben. Dies ließ sich aber so nicht ausführen und war auch nicht vorstellbar. Auch das Personal des Bahnhofs war vorbereitet.
Die örtlichen Gremien waren in freudiger und feierlicher Erregung. Am 4. November 1895 begrüßte am Bahnhof Untermarchtal Hochwürden Superior Josef Eisenbarth als Erster Königin Charlotte und ihre begleitende Hofdame Gräfin Uerküll. Des weiteren gaben der Blaublütigen die Ehre: Bürgermeister Josef Vogelsang und Generaloberin Schwester Margarita Linder sowie Ortspfarrer Leonhard Strahl. Auch standen parat: die örtlichen „Collegien“, das waren der Gemeinderat, die Schwestern des Klosters, die Dorfbewohner, Schüler und die Kriegerkameradschaft von hier und aus der Umgebung, alle mit Fahnen. So erwiesen sie dem hohen Besuch die Ehre.
„Alles ist erfreut und befriedigt über soviel königliche Huld und Gnade“, heißt es in der Klosterchronik
über den Besuch. Ortspfarrer Leonhard Strahl schrieb in die Pfarrchronik: „Welch ein Freudentag über so viel königliche Huld für den Ort.“
Alle zur Begrüßung Anwesenden begleiteten Charlotte über die Donaubrücke zum Haus St. Ignaz des Klosters. Dort wurde der Anlass des königlichen Besuchs bekannt gemacht – es ging um „Schutzrechte und das sozialpolitische Engagement für caritative Einrichtungen“wie zum Beispiel das Untermarchtaler Mutterhaus mit seinen Schwestern und dessen Einrichtungen im ganzen Land. Die Gastfreundschaft der Bevölkerung gegenüber der Königin wurde auch dadurch bestärkt, dass diese in den Untermarchtaler Gasthäusern „Adler“und im Gasthaus „Hirsch“einkehrte. Dort wurden Königin und Begleitung ein „Imbiss mit Erfrischungen“kredenzt, hieß es.
Charlotte war eine Monarchin, die sich den Entwicklungen der Moderne aufgeschlossen zeigte. So verschrieb sie sich dem Diakoniewesen, dem Schwäbischen Frauenverein, der bürgerlichen Wohltätigkeit wie zum Beispiel dem Roten Kreuz und den Württembergischen Sparkassen.
Insgesamt nicht weniger als bei 32 Protektoraten stand sie vor. Bei Bildungseinrichtungen wie dem humanistischen Mädchengymnasium und dem Württembergischen Malerinnen-Kunstverein war sie Mitbegründerin. Außerdem war sie Mitglied im Bebenhauser Schützenverein, schwamm, fuhr Rad, spielte Tennis und wedelte als Skifahrerin Hänge hinunter.
In den Klosterannalen ist vermerkt, dass Königin Charlotte später noch einige mal dem Kloster einen Besuch abstattete. Nach der Novemberrevolution 1918 wurde im Deutschen Reich die Monarchie abgeschafft. Nach dem Tod ihres Mannes König Wilhelm II. (1921) führte sie den Titel Herzogin Charlotte und wohnte zurückgezogen auf Schloss Bebenhausen, wo sie 1946 starb. Ihre Grabstätte ist in Ludwigsburg auf dem Alten Friedhof. Geboren wurde Charlotte als Tochter von Prinz Wilhelm von Schaumburg-Lippe und Bathildis, geboren Fürstin von Anhalt.
Königin Charlotte war die zweite Ehefrau von König Wilhelm II. Die erste Ehe des Königs war mit Prinzessin Marie von Waldeck-Pyrmont. Diese verstarb 1882. Die Ehe blieb ohne männlichen Thronerben. 1886 heiratete König Wilhelm II. Charlotte. Die Ehe blieb kinderlos, so dass als Nachfolger aus der katholischen Linie des Hauses Württemberg Herzog Albrecht folgte. Dieser musste 1918 aus Stuttgart fliehen und kam bis 1919 in Untermarchtal im Haus „Maria Hilf“unter.