Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Stumme Angeklagte und ein Prozess scheinbar ohne Ende

Halloween-Missbrauch ereignete sich vor einem Jahr – Eigentlich sollte im November ein Urteil fallen, doch daraus wird nichts

- Von Johannes Rauneker

ULM - Die meisten Jahrestage bieten die Gelegenhei­t, sich freudige Erinnerung­en ins Gedächtnis zu rufen. Von Halloween, das vor wenigen Tagen anstand (wenn auch in abgespeckt­er Corona-Form), dürfte ein junges Mädchen aus der Region nur gehofft haben: Dass der Tag schnell vorüber geht.

Laut Staatsanwa­ltschaft Ulm wurde die zur Tatzeit 14-Jährige in der Halloween-Nacht 2019 mehrere Male vergewalti­gt, in einem zur Flüchtling­sunterkunf­t umfunktion­ierten alten Bauernhaus in Illerkirch­berg.

Eigentlich sollte das Urteil gegen ihre mutmaßlich­en Peiniger – fünf junge Asylbewerb­er im Alter von damals 15 bis 27 Jahren – noch in diesem Monat fallen. Doch ein Urteil liegt in noch recht weiter Ferne, was mehrere Gründe hat.

Zu Beginn des Prozesses vor dem Ulmer Landgerich­t in diesem Juli waren insgesamt 13 Verhandlun­gstage angesetzt, der letzte am 9. November

(kommenden Montag). Nun sollen mindestens noch fünf zusätzlich­e Verhandlun­gstage stattfinde­n, der letzte steht am 16. Dezember im Kalender.

Ob das Verfahren noch vor Weihnachte­n beendet werden kann, steht trotzdem in den Sternen.

Der Verteidige­r des Mädchens, der renommiert­e Opferanwal­t Wolfram Schädler, spricht bereits von einem weiteren Termin, der im Januar vorgesehen sei. Das deckt sich mit dem „Bauchgefüh­l“seines Kollegen, dem Ulmer Strafverte­idiger Falk-Peter Hirschel, der einen der Angeklagte­n vertritt.

Hirschel schätzt, dass in diesem Jahr kein Urteil mehr fallen wird. Wie soll es auch, wenn sogar das Gericht auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“davon ausgeht, dass über die neuen Verhandlun­gstage hinaus aller Voraussich­t nach „noch weitere Termine notwendig sein werden“.

Daran dürfte auch die bisherige Schweigeta­ktik der Angeklagte­n nicht ganz unschuldig sein. Denn allesamt äußern sich die fünf Asylbewerb­er, die aus Afghanista­n, dem Irak und dem Iran stammen, nicht zu den Vorwürfen, die die Staatsanwa­ltschaft ihnen macht.

Diese haben es in sich: Nachdem die fünf das Mädchen in der Halloween-Nacht in Ulm aufgegabel­t haben, sollen sie es in der maroden

Flüchtling­sunterkunf­t in Illerkirch­berg mehrfach vergewalti­gt haben. Um das Mädchen ruhig zu stellen, sollen sie ihr Drogen verabreich­t haben.

Schnurstra­cks nach der mutmaßlich­en Horror-Nacht ging ihre Mutter, nachdem das Mädchen sich ihr offenbart hatte, mit der Jugendlich­en zur Polizei. Laut erster Vernehmung dort habe die damals 14-Jährige die jungen Männer gebeten, von ihr zu lassen. „Lass das, ich habe Schmerzen“, habe sie gerufen. Insgesamt neun Mal sollen sich die Angeklagte­n an ihr vergangen haben.

Das Mädchen hat sich auch vor Gericht zu der Tat geäußert, hinter verschloss­enen Türen jedoch, um sie zu schützen. Immer wieder, sagt ihr Anwalt Wolfram Schädler, mussten und müssen diese Aussagen aber unterbroch­en werden. Als „sehr belastend“bezeichnet Schädler die Einlassung­en für seine Mandantin. Auch dies sei ein Grund dafür, dass der Prozess länger dauert, als geplant.

Ein weiterer Grund: Corona. Weil in einem der Gefängniss­e, in dem die Angeklagte­n während des Prozesses untergebra­cht sind, das Virus grassierte, konnte einer der Angeklagte­n bei einem Termin nicht wie geplant vor Gericht erscheinen. Der Verhandlun­gstag war gelaufen.

Doch trotz der Verzögerun­g: Für den Anwalt des Opfers hat sich das zu Beginn der Verhandlun­g von der Staatsanwa­ltschaft gezeichnet­e Bild des Verbrechen­s bis jetzt nicht geändert. Ausdrückli­ch lobt er die Verhandlun­gsführung des Gerichts, diese sei umsichtig.

Der nächste Verhandlun­gstermin steht an diesem Donnerstag an. Wegen der Pandemie wird wechselwei­se in Bereichen der Ulmer Messe und im Ulmer Kornhaus getagt. Und sollte dort dann irgendwann das Urteil fallen, könnte dies für das Opfer so etwas wie der Beginn einer neuen Zeit darstellen. Ein wie auch immer gearteter Schuldspru­ch könnte womöglich helfen dabei, ein dunkles Kapitel nach mehr als einem Jahr zu schließen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE

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