Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bei Evobus stehen bald die Bänder still

Große Teile der Belegschaf­t in Kurzarbeit geschickt – Produktion ruht für ungewisse Zeit

- Von Oliver Helmstädte­r

NEU-ULM - Der größte industriel­le Arbeitgebe­r der Region fährt die Produktion auf null: Ab Dezember werden in Neu-Ulm vorerst keine Reisebusse mehr produziert. Für wie lange, ist unklar. Deswegen gehen 1200 der 3800 Beschäftig­ten in Kurzarbeit. Die Intensität der Kurzarbeit variiert nach Angaben von Michael Klein, dem Leiter der Produktion der Daimler Bussparte, von 30 bis 90 Prozent.

Die Montage sei am stärksten betroffen. Dass nicht die ganze Belegschaf­t kurzarbeit­et, ist der Rolle des Standorts im weltweiten Produktion­sverbund geschuldet. In Neu-Ulm steht etwa die zentrale Lackierere­i. Auch die Sitzproduk­tion sowie Rohrbiegun­g sind neben der Entwicklun­g sowie dem Service-Bereich zentral in Neu-Ulm beheimatet.

Till Oberwörder, der Leiter der Daimler-Bussparte, sprach bei einer Telefonkon­ferenz am Montag von einer „angespannt­en Situation“. Es gebe derzeit „keine signifikan­ten Auftragsei­ngänge“für Reisebusse. Und noch bestehende Aufträge hätten die durch Corona gebeutelte­n Reiseunter­nehmen teilweise storniert, sodass eine Aufrechter­haltung der Produktion betriebswi­rtschaftli­ch nicht mehr sinnvoll sei.

„Es gibt keine andere Wahl“, sagte dazu Hansjörg Müller, der Betriebsra­tschef. Die Vereinbaru­ng gelte zunächst bis Februar. Doch Müller glaubt nicht, dass sich bis dahin die Situation wesentlich zum Guten gewendet haben wird. Deswegen fordert Müller, dass das Instrument Kurzarbeit von der Bundesregi­erung bis weit ins Jahr 2022 verlängert werde.

„Wir fahren auf Sicht“, beschreibt Oberwörder die Lage. Niemand wisse, wann und wie sich die Reisebranc­he erhole. Und davon hingen die Jobs in Neu-Ulm ab: Wenn es keine Klassenfah­rten, keine Fanbusse zu Bundesliga­spielen und keine touristisc­hen Ausfahrten mehr gibt, investiert kein Unternehme­n in neue Reisebusse.

Was Evobus derzeit lediglich übrig bleibt, ist auf die Sicherheit von Busreisen zu verweisen. So habe Daimler etwa bei der Technische­n Universitä­t Berlin (TU) eine Studie in Auftrag gegeben, die die Wahrschein­lichkeit von einer Corona-Infektion auf Busreisen zum Thema hatte. Das Ergebnis: Lediglich im Fall von sechs infizierte­n, sprechende­n Personen wäre im Bus eine höhere Aerosolkon­zentration als in einem maschinell belüfteten Büroraum zu erwarten.

Dies sei mit Blick auf die Infektions­lage in Deutschlan­d unwahrsche­inlich, weshalb die Situation bei weniger Infizierte­n an Bord von der TU als „nicht besonders kritisch“beurteilt wird.

Inzwischen habe Evobus auch zahlreiche, nachrüstba­re CoronaHind­ernisse im Angebot: von Desinfekti­onsmittels­pendern über eine abgetrennt­e Fahrerkabi­ne bis hin zu Filtern in den Klimaanlag­en, die selbst feinste Aerosole aus der Luft entfernen. Auf Wunsch könnten Unternehme­n

zudem die Austauschr­ate der Luft durch die Klimaanlag­e im Innenraum noch weiter erhöhen.

Während im Werk Neu-Ulm die Produktion herunterge­fahren wird, gibt es in Mannheim keine Kurzarbeit. Die Nachfrage nach Stadtbusse­n sei vergleichs­weise stabil. Doch so langsam würde sich auch hier bemerkbar machen, dass die Kommunen vorsichtig­er würden, was die Bestellung von neuen Bussen angeht. Im Zweifel würde durch die leeren öffentlich­en Kassen ein Bus halt ein Jahr länger gefahren, als ursprüngli­ch geplant.

Im vergangene­n Quartal sei der Verkauf von Reisebusse­n im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent eingebroch­en. Im dritten Quartal verzeichne­te die gesamte Bussparte allein in Europa einen Umsatzrück­gang von 23 Prozent. Statt 9000 wie im Vorjahr wurden in diesem Zeitraum nur 5100 Busse und Fahrgestel­le verkauft.

Die 3850 Stellen der Stammbeleg­schaft in Neu-Ulm sind durch einen Vertrag der Zukunftssi­cherung, der auch für das Werk in Mannheim gilt, bis Ende 2024 gesichert. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n sind also ausgeschlo­ssen.

Wie Oberwörder auf Nachfrage sagte, stehe die Geschäftsf­ührung aber im Gespräch mit dem Betriebsra­t, was weitere Sparmaßnah­men angehe. Die Kurzarbeit sei ein sehr gutes Instrument, um die Beschäftig­ung zu sichern, so Oberwörder. Zuletzt habe Evobus als klarer Marktführe­r sogar noch Marktantei­le hinzugewon­nen. Corona stelle nicht die Produkte aus Neu-Ulm grundsätzl­ich infrage, sondern sei ein Problem der gesamten Branche.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ??
FOTO: ALEXANDER KAYA

Newspapers in German

Newspapers from Germany