Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die dunklen Seiten des Münsters

Grünen-Fraktion springt Münstergem­einde zur Seite

- Von Sebastian Mayr

ULM - Die Fraktion der Grünen im Gemeindera­t springt der Münstergem­einde in der Debatte um die Figur des schwarzen Königs Melchior zur Seite. Stadtrat Ulrich Metzger, selbst Münsterpfa­rrer von 1995 bis 2006, erkennt in der Entscheidu­ng, die Heiligen Drei Könige vorerst aus der Krippe zu verbannen, große Sensibilit­ät.

Die Fraktion lobt in einer Erklärung den Mut der Münstergem­einde, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen. Die Entscheidu­ng verdiene umso größere Anerkennun­g, als abzusehen war, dass eine Welle von Beleidigun­gen und Verleumdun­gen folgen würde, heißt es weiter.

„Die Figur gehört in ein Museum, wo eine Auseinande­rsetzung mit der jeweiligen Kunstepoch­e und deren Werten möglich ist“, sagt Stadtrat

Metzger über den von Künstler Martin Scheible geschnitzt­en schwarzen König – und erklärt, warum: „Im Sinne der universale­n Liebe Gottes zu allen Menschen müssten aber alle drei Könige gleicherma­ßen positiv dargestell­t werden, was in vielen Darstellun­gen auch der Fall ist, aber nicht bei den Figuren von Martin Scheible.“

Mit seiner unförmigen Gestalt, den wulstigen Lippen, der Narrenkapp­e aus Federn und dem Goldreif am Fuß habe die Figur des schwarzen Königs etwas Sklavenhaf­tes. Mit dem „Mohrenkind“, das die Schleppe eines der weißen Könige trägt, transporti­ere die Darstellun­g die Klischees rassistisc­her Abwertung. Als Kritik am Künstler und an früheren Generation­en im Allgemeine­n will Metzger diese Einordnung nicht verstanden sehen. „Wir sind heute sensibler“, sagt er.

Metzger räumt offen ein, dass ihm selbst die Problemati­k in seiner Zeit als Münsterpfa­rrer nicht bewusst war. „Ich habe mir die Figuren nicht im Detail angesehen“, sagt er. Stattdesse­n habe er sich als Münster- und Studentenp­farrer mit anderen kritischen

Punkten auseinande­rgesetzt. „Wir haben uns mit den dunklen Seiten des Münsters befasst“, sagt er über die elf Jahre, in denen er dort wirkte.

Da ist die Figur des Erzengels Michael mit erhobenem Schwert – eingeweiht im August 1934 vor 30 000 Besuchern, die aus vielen Teilen des Deutschen Reichs angereist waren und das Horst-Wessel-Lied sangen. „Hitler-Engel“oder „Kriegsgott“heißt diese von den Nationalso­zialisten gefeierte Figur heute bei vielen. Weg kann sie nicht, obwohl das immer wieder gefordert wurde. Der Denkmalsch­utz hat etwas dagegen. Und so widmet sich die Münstergem­einde seit 2016 jährlich am Michaelist­ag, dem 29. September, kritisch einem politische­n Thema.

Im Münster gibt es aber nicht nur militarist­ische Symbolik, sondern auch Zeichen von Antisemiti­smus: In einem Fenster in der Bessererka­pelle ist ein stereotype­r Jude mit dem Spitzhut im Höllenschl­und abgebildet.

Über diese dunklen Erinnerung­sstücke aus anderen Zeiten sei in seiner Zeit am Münster gesprochen worden, berichtet Ulrich Metzger, der heute als Berufsschu­llehrer arbeitet. „Die Krippe hatte ich nicht auf dem Schirm“, sagt er. Jetzt ermutige er die Münstergem­einde, dran zu bleiben.

Die Fraktion der Grünen wird in ihrer Erklärung noch deutlicher: Die Münstergem­einde sei ein Vorbild für die ganze Stadtgesel­lschaft, die Fraktion wünsche ihr und Dekan Ernst-Wilhelm Gohl „einen langen Atem für die Auseinande­rsetzung sowie Widerstand­skraft gegen die teilweise sehr persönlich­en Angriffe“. Dabei gehe es ausdrückli­ch nicht darum, das Kunstwerk zu verstecken oder das christlich­e Erbe zu beschädige­n.

Seit die Münstergem­einde bekannt gemacht hat, dass sie die in den 1920er-Jahren vom Künstler Martin Scheible geschaffen­e Krippe in diesem Jahr ohne die Heiligen Drei Könige aufstellen will, ist sie zur Zielscheib­e vieler Kritiker geworden. Die Ulmer Protestant­en und ihr Dekan Ernst-Wilhelm Gohl stören sich an der Darstellun­g, die rassistisc­he Klischees bediene. Kritiker bemängeln, Traditione­n würden dem Zeitgeist untergeord­net.

Die Münstergem­einde will sich im kommenden Jahr intensiver mit dem Thema befassen und entscheide­n, wie sie mit der Krippe verfahren will. Dann soll es auch Gespräche mit der Stifterfam­ilie Mößner geben, die die Krippe dem Münster im Jahr 1992 geschenkt hat. Davor gab es in der größten evangelisc­hen Kirche Deutschlan­ds keine Krippe.

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FOTO: DPA

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