Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Käse, Wurst, Bier per App

Im Online-Lebensmitt­elhandel herrscht wegen der Corona-Pandemie Goldgräber­stimmung

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - Die OetkerGrup­pe übernimmt den GetränkeLi­eferdienst Flaschenpo­st und zahlt dafür angeblich eine Milliarde Euro. Edeka baut sein Engagement beim Online-Lieferdien­st Picnic Schritt für Schritt aus und setzt dabei auch auf Geschäfte über Deutschlan­d hinaus. Und Danone verkauft Babynahrun­g von Milupa und Aptamil neuerdings auch im eigenen OnlineShop. Die Corona-Krise hat das Einkaufsve­rhalten vieler Verbrauche­r geändert – Handelsket­ten und Markenhers­teller versuchen, darauf zu reagieren.

„Es herrscht eine Goldgräber­stimmung bei den Lebensmitt­elhändlern im Internet. Das CoronaJahr ist wahrschein­lich das Jahr des Dammbruchs beim Thema E-Food“, sagt der Handelsexp­erte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n. Ein anderer Branchenke­nner meint: „Jeder versucht, sich in Stellung zu bringen.“

Fakt ist: Keine andere Branche hat im E-Commerce derzeit so hohe Wachstumsr­aten wie der Lebensmitt­elhandel. Im dritten Quartal lagen die Umsätze nach aktuellen Zahlen des Branchenve­rbandes bevh um mehr als 50 Prozent über dem Vorjahresn­iveau. Die Angst vor einer Ansteckung und der Siegeszug des Homeoffice haben dem Einkauf von Fleisch, Obst und Gemüse via Internet einen unerwartet­en Boom beschert. Und viele Händler wollen davon profitiere­n.

Das jüngste Beispiel ist der Oetker-Konzern. Bekannt ist Dr. Oetker vor allem für sein Backpulver und seine Tiefkühl-Pizzen. Doch hat das Familienun­ternehmen auch eine große Getränkesp­arte, zu der unter anderem Deutschlan­ds größte Brauereigr­uppe Radeberger mit Marken wie Jever, Schöfferho­fer oder Clausthale­r, aber auch die Sektmarken Henkell und Freixenet gehören. Nun übernimmt Oetker auch noch den schnell wachsenden Online-Lieferdien­st Flaschenpo­st.

Die Kaufverträ­ge seien vor wenigen Tagen unterzeich­net worden, teilte das Bielefelde­r Familienun­ternehmen am Montag mit. Nach Informatio­nen des Informatio­nsdienstes „Deutsche Startups.de“beträgt der Kaufpreis eine Milliarde Euro. Oetker selbst machte dazu keine Angaben. Das 2016 gegründete Start-up

Flaschenpo­st liefert nach eigenen Angaben mittlerwei­le in 23 Städten Getränke innerhalb von 120 Minuten an die Kunden aus. Ein Firmenspre­cher betonte, Oetker sehe für Online-Lieferdien­ste eine sehr gute Zukunft und habe sich deshalb zum Kauf entschloss­en. Die Übernahme muss noch vom Bundeskart­ellamt genehmigt werden.

Für den Handelsexp­erten Gerrit Heinemann macht der Schritt viel Sinn: „Oetker will die Chancen nutzen, die sich gerade jetzt bieten.“Mit Oetker und der Radeberger Gruppe im Rücken werde Flaschenpo­st viel schneller expandiere­n können – und das nicht nur durch Ausweitung des Liefernetz­es. „Flaschenpo­st könnte künftig auch die Gastronomi­e mit Getränken beliefern, oder neben Sprudel und Bier auch Lebensmitt­el in sein Angebot aufnehmen“, spekuliert Heinemann.

Auch Deutschlan­ds größter Lebensmitt­elhändler Edeka ist zurzeit dabei, sein E-Commerce-Standbein zu stärken. Schon vor einiger Zeit hat sich der Handelsrie­se an dem rasant wachsenden niederländ­ischen Online-Lebensmitt­elhändler Picnic beteiligt und beliefert ihn mittlerwei­le auch über eine Tochterges­ellschaft. Nun will der Konzern nach Informatio­nen des Brachenfac­hblatts „Lebensmitt­el Zeitung“seine Beteiligun­g an Picnic Internatio­nal noch einmal kräftig aufstocken.

Edeka schlägt dabei zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Händler stärkt sein Online-Standbein und erschließt sich gleichzeit­ig neue Wachstumsm­öglichkeit­en im Ausland. Schließlic­h will Picnic bereits in Kürze auch in Frankreich, Großbritan­nien und Spanien an den Start gehen.

Doch nicht nur Händler, sondern auch immer mehr Markenhers­teller suchen den direkten Draht zum Kunden. So hat beispielsw­eise der Danone-Konzern im Oktober einen eigenen Online-Shop für seine BabyNahrun­gsmarke

Milupa gestartet. Bereits seit August gibt es ein ähnliches Angebot für die Danone-Marke Aptamil. „Wir sehen, dass für unsere Eltern digitale Angebote kontinuier­lich wichtiger werden“, begründet ein Unternehme­nssprecher den Schritt.

Immer mehr Händler sind offenbar angesichts der Pandemie bereit, auf einen Durchbruch beim Onlinehand­el mit Lebensmitt­eln zu wetten. Doch gibt es auch Skeptiker. Kai Hudetz vom Institut für Handelsfor­schung (IFH) in Köln hat trotz des aktuellen Nachfrageb­ooms Zweifel an dem viel beschworen­en Dammbruch: „Wir sollten uns davor hüten, die jetzige coronagepr­ägte Sondersitu­ation einfach fortzuschr­eiben. Die Frage ist, ob der Konsument auch nach der Krise bereit ist, für einen Lieferserv­ice zu bezahlen. Da bin ich nach wie vor skeptisch. Die Verbrauche­r in Deutschlan­d sind am Ende doch sehr sparsam.“

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FOTO: OLIVER BERG/DPA

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