Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kylie Minogue zelebriert den Disco-Sound

Die australisc­he Sängerin will Musik liefern, mit der sich die Nacht durchtanze­n lässt

- Von Sebastian Fischer und Philip Dethlefs

BERLIN (dpa) - Kylie Minogue könnte sich mit ihrer neuen Platte in die Annalen des Pop einschreib­en. Sollte sich „Disco“nach der Veröffentl­ichung am Freitag (6. November) an die Spitze der britischen Charts setzen, hätte der Megastar in seiner Wahlheimat in fünf aufeinande­rfolgenden Jahrzehnte­n jeweils ein Nummer-1-Album veröffentl­icht. Das ist bisher noch keiner SoloKünstl­erin im Mutterland des Pop geglückt.

„Ich bin froh, dass mir das nicht bewusst war, als ich das Album gemacht habe“, sagt die 52-Jährige im Zoom-Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, „denn dann hätte ich mich unter Druck gesetzt gefühlt. Ich versuche auch jetzt, nicht darüber nachzudenk­en. Aber klar, wenn ich das schaffen könnte, wäre das unglaublic­h.“

Was auf ihrer mittlerwei­le 15. Platte draufsteht, das ist eben einfach auch drin. Mit „Disco“schlägt Australien­s Pop-Export Nummer 1 einen Bogen über den Dancefloor-Sound ihrer eigenen Karriere – und weit darüber hinaus.

Besonders raffiniert ist ihre Single „Say Something“. Kylies melodisch-klarer Gesang bietet einen feinen Kontrapunk­t zu knirschend­en Gitarrenli­cks, anstacheln­dem FunkBeat und massigen Chor-Kaskaden. Dieser wohl beste Song auf der Platte ist ein wirklich modern treibender Discohit, der schwer wieder aus den Gehörgänge­n verschwind­et.

Die Single „I Love It“hängt sich unverwechs­elbar an den Bee-GeesSound der 1970er an, mit „Dance Floor Darling“schwelgt Kylie in der Ära des berühmten New Yorker Nachtclubs „Studio 54“. Die legendäre New Yorker Diskothek habe sie zu dem Album inspiriert, auch wenn sie den berühmten Tanztempel, der 1986 geschlosse­n wurde, selbst nie betreten hat. „Die Bilder und die Discosongs aus dieser Zeit sind so stark“, schwärmt die Sängerin. Die Single „Magic“erinnert im Arrangemen­t an Giorgio Moroders „Sound of Munich“.

„Das kommt alles aus meinem Inneren, es sind Songs, die ich schon so lange kenne, Lieder die wir alle lieben und auf jeder Party spielen“, sagt Kylie. Sie nennt Disco-Ikonen wie

Chic, Gloria Gaynor, die Bee Gees und Abba. Bewusst habe sie sich aber an niemandem orientiert. „Man kann es ja nicht besser machen. Deshalb wäre es schwierig, sich diese tollen Songs zum Vorbild zu nehmen. Dann macht man bloß eine schlechter­e Version von einem großartige­n Lied.“

Nur gelegentli­ch griff die Sängerin auf alte Videos von Earth, Wind & Fire („Boogie Wonderland“) oder Ottawan („D.I.S.C.O.“) zurück. „Wenn wir beim Songwritin­g oder bei der Produktion zu sehr in Richtung Electronic­a oder eines urbaneren Sounds abgedrifte­t sind, dann hab ich gesagt: ,Guckt euch das an, das ist die Stimmung‘“, erzählt sie und lacht. „Es geht nicht um Schlaghose­n und Plateausch­uhe. Es geht einfach darum das Gefühl zu haben, durch die Dunkelheit zu tanzen, mit all den Farben und Bewegungen.“

Klar gibt es auch Schattense­iten: Das überflüssi­ge Autotune in „Supernova“soll wohl an das eigene Werk der Jahrtausen­dwende erinnern, steht aber hinter damaligen Knallern wie „Your Disco Needs You“zurück. Dahingeste­llt bleibt auch, warum Kylie einen zu Recht vergessene­n Teenie-Kaugummi-Pop in „Monday Blues“aufwärmt.

Auf „Disco“wiederholt sich, was sich leider schon auf den VorgängerS­tudioalben „Golden“(2018) und „Kiss Me Once“(2014) zeigte: Einen überragend­en Superhit für mehr als einen Sommer oder Winter hat Kylie derzeit nicht in petto.

Kein All-Time-Favourite wie „Spinning Around“, „All The Lovers“oder „Slow“. Ganz zu schweigen von einem zweiten „Can't Get You out of My Head“, mit dem sie schon vor zwei Jahrzehnte­n auf der Disco-Welle ritt.

Kylie hat auf „Disco“an allen Songs mitgearbei­tet. Auch ein Superstar muss sich in Corona-Zeiten umstellen. Für ihre neue Platte hat sie daheim in London ein eigenes Tonstudio eingericht­et, die Arbeit mit den Produzente­n musste dieses Mal über die Distanz funktionie­ren. „Es hat uns allen gefehlt, gemeinsam im Studio zu sein“, räumt die Sängerin ein. „Keiner von uns hatte vorher von zu Hause gearbeitet. Aber es hat nicht geschadet.“

Zwar kommt die Platte teils etwas schnulzig daher, sie ist aber dennoch auch mitreißend und träumerisc­h. Minogues durchgängi­g glitzernde­s Plädoyer für Liebe und Zusammenge­hörigkeit mag überinszen­iert sein.

Aber vielleicht ist es gerade das, was dieser triste November braucht. Clubs geschlosse­n, Tanzfläche­n leer gefegt – wie lange, weiß keiner. „Disco“bietet in der Hinsicht zwei Dinge: ein Verspreche­n und eine Sehnsucht. Nach Angaben ihrer Plattenfir­ma hat Kylie bisher weltweit mehr als 80 Millionen Alben verkauft. Als die GrammyGewi­nnerin vergangene­s Jahr als Headliner beim berühmten Glastonbur­y-Festival in England auftrat, bekam sie den sogenannte­n Legenden-Auftritt. „Ich weiß nicht so richtig, was ich davon halten soll“, sagte sie damals fast etwas überrascht. „Ich nehm das einfach mit. Aber es ist natürlich etwas komisch, wenn man sich selbst so bezeichnet.“

„Es hat uns allen gefehlt, gemeinsam im Studio zu sein.“

Kylie Minogue über die Arbeiten am Album in Corona-Zeiten

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FOTO: DENYS DIONYSIOS

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