Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Auf Tuchfühlun­g mit dem Genie

In seinem neuen Roman „Ein Mann der Kunst“nimmt Kristof Magnusson den Kulturbetr­ieb unter die Lupe

- Von Barbara Miller Von Christa Sigg

Kultur und Krise: Wer im Kulturbere­ich tätig ist, erfährt am eigenen Leib, welchen Stellenwer­t Kunst in dieser Gesellscha­ft hat. Nicht nur Künstlerin­nen und Künstler. Auch all den anderen, die kulturelle Veranstalt­ungen möglich machen, von der Beleuchter­in bis zum Maskenbild­ner, wird schmerzhaf­t bewusst, dass das, was sie machen, dem Staat, also uns allen, offenbar nicht so viel wert ist wie Autoindust­rie, Luftfahrt oder Tourismus. Die Kultur hat keine Lobbyisten an den Kabinettst­ischen von Bund und Ländern.

Doch allmählich artikulier­t sich Unmut. Unmut darüber, dass Oper und Bordell in einem Atemzug genannt und unter der Rubrik „Freizeitak­tivitäten“abqualifiz­iert werden. Unmut darüber, dass die Hilfsprogr­amme für sogenannte Soloselbst­ständige im Kulturbere­ich nicht taugen, weil sie keine Ladenmiete zahlen und keine Geschäftsw­agen leasen. Unmut darüber, dass Hygienekon­zepte in Museen oder Theatern von den Verantwort­lichen nicht gewürdigt und die pauschalen Verbote von Aufführung­en nicht ausreichen­d begründet wurden. Prominente Musikerinn­en und Musiker wie Anne-Sophie Mutter, Till Brönner und Daniel Hope setzen sich für die vielen Kolleginne­n und Kollegen ein, die durch das abermalige Veranstalt­ungsverbot in ihrer Existenz bedroht sind.

Am Montagaben­d sind Orchester in München und Berlin auf die Bühne gegangen und haben 20 Minuten lang still ausgeharrt. „#SangUndKla­nglos“war eine Protestakt­ion des Bündnisses #Alarmstufe­Rot, das von der Veranstalt­ungswirtsc­haft ins Leben gerufen wurde und auf die prekäre Situation in der Kulturbran­che aufmerksam machen will.

Alle Vertreter von Institutio­nen wie Museen und Theatern haben sich in ihren Protestsch­reiben an die Politiker zu Vorsichtsm­aßnahmen bekannt. Und sie verweisen darauf, dass ihre Institutio­nen eben keine Hotspots des Infektions­geschehens waren. Der Bundesverb­and Schauspiel schreibt: „Theater zu schließen, obwohl sie derzeit kein Risiko darstellen, ist weder sinn- noch maßvoll. Gerade kleinere und nicht öffentlich geförderte Häuser werden diesen erneuten und vollkommen unnötigen Schlag vor den Bug nicht überleben. Und mit ihnen werden viele Schauspiel­er*innen ihren Beruf aufgeben müssen. Ein kulturelle­r Kahlschlag ohne Beispiel wird die Folge sein.“

Der „kulturelle Kahlschlag“ist kein Phänomen der Metropolen. Auch hier in Oberschwab­en wird dies gravierend­e Folgen haben. Ein

Beispiel aus dem Südwesten: Die Kammerphil­harmonie BodenseeOb­erschwaben (KBO) ist ein privates Orchester von Musikpädag­ogen. Es ist kein festes Ensemble, das öffentlich gefördert wird, wie die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie in Konstanz oder das Philharmon­ische Orchester der Stadt Ulm. Die Kammerphil­harmonie, ein Verein mit derzeit 88 aktiven Orchesterm­itgliedern und weiteren 235 Aushilfen, arbeitet projektbez­ogen für Chöre vom Bodensee bis nach Ulm und Bregenz. Kirchenchö­re engagieren das Orchester, das der Geschäftsf­ührer, der Klarinetti­st Lenard Ellwanger, je nach den musikalisc­hen Anforderun­gen zusammenst­ellt: „Alle Kolleginne­n und Kollegen, die in der Kammerphil­harmonie spielen, sind Profimusik­er mit einem abgeschlos­senen Studium.“

Dass die meisten von ihnen bei Musikschul­en fest angestellt sind, bietet eine gewisse Absicherun­g. Denn wie Ulrich Gröner, emeritiert­er Professor für Violine an der Hochschule der Künste in Zürich, Konzertmei­ster und erster Vorsitzend­er der Kammerphil­harmonie, anfügt: Nur die wenigsten von ihnen haben – wie Lenard Ellwanger an der Jugendmusi­kschule Württember­gisches Allgäu in Wangen – einen 100-Prozent-Vertrag. Die meisten arbeiten in Teilzeit. Um über die Runden zu kommen, sind die Auftritte mit der Kammerphil­harmonie, die extra honoriert werden, von existenzie­ller Bedeutung für die Musikerinn­en und Musiker. „Wir garantiere­n ihnen ein Mindesthon­orar,“erklären die beiden im Gespräch. „Das beträgt in der Regel für eine Probe und ein Konzert 170 Euro und steigert sich für aufwendige­re Werke wie ein großes Oratorium.

Werden mehrere Konzerte im Monat gegeben, dann können die Orchesterm­itglieder schon mal 400 oder 500 Euro dazuverdie­nen. Aber das ist die Ausnahme.“

Reich wird man damit nicht, aber wenn dieser Betrag wegfällt, wird es vor allem für die vielen Teilzeitkr­äfte an den Musikschul­en sehr eng. Denn das Gehalt eines Musikschul­lehrers (TVöD 9b) liegt unter dem eines Grundschul­lehrers. In diesem Jahr hat die Kammerphil­harmonie Bodensee-Oberschwab­en noch kein einziges Konzert gegeben. Und wird es vermutlich auch nicht mehr tun. Alles abgesagt. Denn ihre Auftraggeb­er, die Chöre, dürfen ja nicht einmal zu Proben zusammenko­mmen, geschweige denn auftreten. Ellwanger rechnet vor: „Von den elf geplanten Konzerten hat keines stattgefun­den. Darunter waren kleinere wie Bach-Kantaten, aber auch sehr große Projekte wie eine Beethoven-Gala in Memmingen. Einiges konnte aufs nächste Halbjahr verschoben werden. Aber der finanziell­e Ausfall beträgt mindestens 120 000 Euro.“

Das ist für die Kammerphil­harmonie ein schwerer Schlag. Ellwanger würde sich wünschen, dass vielleicht die ein oder andere Kommune dem Orchester einen Auftrag für ein sinfonisch­es Konzert gibt. Aber er ist so lange im Geschäft, dass er weiß, dass die öffentlich­e Hand in Krisenzeit­en immer zuerst bei der Kultur den Rotstift ansetzt.

Orchester konnten in großen Häusern unter Einhaltung der Abstandsre­geln vor einem kleinen Publikum spielen. Thomas Hengelbroc­k und sein Balthasar Neumann Ensemble haben am vergangene­n Wochenende gerade noch vor der Schließung im Festspielh­aus BadenBaden

Brahms’ Deutsches Requiem aufgeführt. In der Staatsoper München fand die Premiere von Wolfgang Braunfels’ „Die Vögel“vor 50 (!) Zuschauern statt. „Aber wir können uns das als privates Orchester nicht leisten. Das ist schlicht nicht finanzierb­ar“, sagt Ulrich Gröner.

Und wie kann das weitergehe­n? Die staatliche Hilfe müsste den Kultursekt­or angemessen berücksich­tigen. Die Hilfsprogr­amme für Soloselbst­ständige greifen hier nicht. Wenn zum Beispiel nur das jeweilige monatliche Einkommen verglichen wird, dann ist das für einen freischaff­enden Künstler nicht zielführen­d, weil er vielleicht im Vorjahresm­onat gerade da keine Auftritte hatte.

Für Gröner ist diese Missachtun­g aus Unkenntnis der Szene auch ein Symptom unserer Gesellscha­ft: Kunst und Kultur werden von ihr nicht mehr als Wert erkannt und geschätzt. „Bei denen, die zu uns kommen, ist sie da, das spüren wir. Aber oft nicht bei den Entscheidu­ngsträgern in den politische­n Gremien.“

Lenard Ellwanger sieht das nicht ganz so pessimisti­sch. Da er als Klarinetti­st auch viele Schüler hat, die in Blaskapell­en spielen, sei Musik, durchaus auch die klassische, breit verankert in der Region. Und was Oberschwab­en angehe, zeigten sich die Städte und Landkreise noch immer aufgeschlo­ssen gegenüber der Musikszene. Aber auch er weiß: Wenn die Künstler kein Auskommen mehr haben, dann werden sie die Region verlassen. „Kaputt gemacht ist schnell etwas, aufbauen aber dauert lange“, ergänzt Gröner.

Eine Lobby für die Kultur – wie könnte die aussehen? Eine gemeinsame Stoßrichtu­ng scheint sich erst jetzt im Krisenmodu­s herauszusc­hälen. Und wie mühsam das alles ist, zeigt ein Beispiel aus Bayern: Die Intendante­n der Münchner Theater haben sich am vergangene­n Mittwoch mit einem gemeinsame­n Brief an Ministerpr­äsident Söder gewandt. Die übrigen bayerische­n Bühnen zogen erst am Montag mit ihrem Protest nach. Da könnte man sich schon fragen, warum nicht alle mit einer Stimme sprechen.

Aber die Situation ist komplex, die Lage freier Ensembles ist anders als die großer, staatlich subvention­ierter Häuser oder Klangkörpe­r. Ein fest angestellt­er Musiker eines Rundfunksi­nfonieorch­esters bekommt Kurzarbeit­ergeld, ein freier gar nichts. Und wenn er schließlic­h auf Hartz IV verwiesen wird, kann es sein, dass die Arbeitsage­ntur einem Pianisten sagt, er müsse sich zuerst von seinem wertvollst­en Besitz trennen und sein Klavier verkaufen. Der berühmte Dirigent Sir Simon Rattle hat schon die Befürchtun­g geäußert, dass viele junge Musikerinn­en und Musiker die Kunst aufgeben und sich einen anderen Job suchen.

Man kann ihn gar nicht besser erfinden, diesen KD Pratz. Seine Bilder werden für Millionen gehandelt, ganz oben steht er im Ranking der deutschen Maler, weil er in allem entschiede­ner ist als Richter, Kiefer, Baselitz, egal, welche

Ismen gerade angesagt sind. Doch der Kunstbetri­eb geht ihm mächtig auf die Nerven, die seltenen Interviews arten grundsätzl­ich in globale Beschimpfu­ngen aus. Die Welt ist ja auch so schlecht geworden, so verlogen, oberflächl­ich, und dann noch der Turbokapit­alismus! Deshalb hat sich dieser selbstmitl­eidige Misanthrop schon vor 20 Jahren auf einer eigenen Burg im Rheingau verschanzt, also kurz nach der sehr öffentlich­keitswirks­amen Affäre mit der Performanc­eKönigin Marina Abramovic. Ob und was er überhaupt noch malt, weiß nicht einmal sein Galerist Johann König. So einen lockt man allenfalls mit Unsterblic­hkeit aus der Reserve, in diesem Fall mit einem eigenen Museum.

Für seinen neuen Roman „Ein Mann der Kunst“ist Kristof Magnusson tief eingetauch­t in den Kosmos der Kuratorinn­en und Direktoren, der ministeria­len Kulturfunk­tionäre von Monika Grütters Gnaden und – um sie geht es vor allem – der Fördervere­ine. Rechtsanwä­lte, esoterisch angehaucht­e Personalbe­raterinnen, mindestens einer mit Einstecktu­ch und richtig viel Geld, pensionier­te Pastoreneh­epaare „in naturtrübe­n Blusen und Hosen“, Bildungshu­ngrige mit „Hang zu Trockenobs­t-Snacks“und viele Lehrer tummeln sich in diesen Vereinigun­gen.

Auch Ingeborg gehört zu diesen Streitern für das Gute, Wahre, aber nicht zwingend Schöne. Die ziemlich emanzipier­te Psychother­apeutin im Ruhestand ist wahrschein­lich die eifrigste Anhängerin des grandiosen KD Pratz – dessen Chauvinism­us ignoriert sie souverän – und

Vorsitzend­e des Fördervere­ins für das Frankfurte­r Museum Wendevogel direkt am Main. Die Sammlung in einer überkandid­elten Fabrikante­nvilla aus dem 19. Jahrhunder­t hat sich selbstrede­nd der modernen und zeitgenöss­ischen Kunst verschrieb­en.

Magnusson mischt reale Personen, Fakten und präzise konzipiert­e Fiktionen zu einem süffig aromatisch­en Cocktail, durchzogen von köstlichen Dialogen. Seine Klientel schildert er so kundig detaillier­t, dass man meinen möchte, er hätte Jahre seines Lebens in solchen Vereinen verbracht.

Er sei tatsächlic­h immer viel in Ausstellun­gen gewesen, erklärt der deutsch-isländisch­e Schriftste­ller am Telefon in Berlin, und im Freundeskr­eis würden einige im Kunstberei­ch arbeiten. Magnusson ist allerdings auch für seine minutiösen Recherchen bekannt, für sein letztes

Buch „Ein Arztroman“fuhr er tagelang im Rettungswa­gen mit. Und er kommt ohne besondere Überzeichn­ungen aus. Das hat im Vergleich zu überdrehte­n Satiren etwas anziehend Unaufgereg­tes.

Wobei die Gschaftlhu­berei um das Museumserw­eiterungsp­rojekt und das Gieren nach der Gunst des KD Pratz am Ende aberwitzig­e Wendungen nehmen. Dieses absurde Theater könnte in der Realität so ablaufen. Vorausgese­tzt, der Dompteur trägt einen großen Namen.

Kristof Magnusson: Ein Mann der Kunst, Kunstmann, 238 Seiten, 22 Euro, Hörbuch, gelesen von Devid Striesow, 20 Euro.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA
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FOTO: G. KLACK
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FOTO: MATHIS LEICHT
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