Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Reihentestung beendet, Kritik hält an
Insgesamt 80 Schlachthof-Mitarbeiter infiziert – Breitseite von der Handwerkskammer
ULM - Das tatsächliche Ausmaß des Corona-Ausbruchs im Ulmer Schlachthof steht jetzt fest: Laut Gesundheitsamt haben die jüngsten Reihentestungen ergeben, dass insgesamt 80 Mitarbeitende mit dem Virus infiziert waren oder es noch immer sind. Insgesamt arbeiten rund 800 Menschen für den Schlachthof, der langsam wieder seinen Betrieb hochgefahren hat. Bis zur Vollauslastung würden aber noch Monate vergehen, sagt Geschäftsführer Stephan Lange.
Rund 6000 Schweine werden normalerweise im Ulmer Schlachthof zerlegt und bis zu 500 Rinder – täglich. Im Moment sind es weniger Tiere. Die Rinderschlachtung war stillgelegt worden, weil Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. In der Folge wurden Reihentestungen veranlasst mit dem finalen Ergebnis: 80 Mitarbeiter haben sich angesteckt.
Wie geht es mit dieser Nachricht im Schlachthof nun weiter? Stephan Lange hofft auf die Ruhe nach dem Sturm – und verweist darauf, dass er aktuell nur von rund 20 Mitarbeitern wisse, die mit dem Virus infiziert und dementsprechend nach Hause geschickt worden sind. Die höheren Zahlen des Gesundheitsamt dürften daran liegen, so Lange, dass jenes dazu auch die Fälle zähle, in denen Mitarbeiter längst wieder genesen sind.
Immerhin: Nachdem die Rinderschlachtung wegen des Ausbruchs ruhen musste, habe auch diese wieder ihren Betrieb aufgenommen. Es werde aber noch Monate dauern, so Lange, bis die Produktion in voller Auslastung laufen werde. Grund seien die Mitarbeiter, die sich noch in Quarantäne befänden. Davon seien vor allem die Teilbereiche Zerlegung und Gewinnung von Nebenprodukten betroffen.
Finanziell betroffen ist der Ulmer Schlachthof von dem Corona-Ausbruch nicht nur, weil zeitweise deutlich weniger Tiere verarbeitet wurden, sondern auch, weil er selbst die Initiative übernommen und Testungen
auf eigene Faust angeordnet habe.
Bis zu 70 000 Euro lasse sich der Schlachthof diese zusätzliche Sicherheitsmaßnahme monatlich kosten, so Lange. Unentwegt würden die Mitarbeiter getestet, mit PCA- und Antigen-Tests.
Wer hatte Schuld an der Misere? Dem Schlachthof sei wenig bis gar nichts vorzuwerfen, findet Geschäftsführer Stephan Lange. Die Ansteckungen in dem Betrieb seien letztlich alle „auf eine Party“zurückzuführen. Um dies künftig zu vermeiden, seien die Mitarbeiter dementsprechend ins Gebet genommen worden. Der Schlachthof habe schließlich selbst das größte Interesse daran, dass die Bänder laufen.
Kritik gegenüber dem Ulmer Schlachthof äußerte am Dienstag die Ulmer Handwerkskammer. Diese bezeichnet den Schlachthof in einer
Mitteilung als „Corona-Hotspot“. Das Handwerk verfolge die Geschehnisse „in der industriellen Fleischindustrie“derzeit genau – „und grenzt sich ab“. In den regionalen, handwerklich geführten Metzgereien werde anders gearbeitet als im Ulmer Schlachthof. „Es herrschen grundsätzlich andere Arbeitsbedingungen.“Die Angestellten seien überwiegend Fachkräfte mit Fachwissen in Hygiene- und Qualitätsstandards. Auch gebe es keine Werkverträge und Leiharbeiter.
Geschäftsführer Lange wehrt sich gegen den Vorwurf, der Ausbruch sei ein hausgemachtes Problem des Schlachthofs. Dem sei nicht so. Das Virus sei eben von außen hineingetragen worden. Der Schlachthof selbst habe pro-aktiv reagiert und nicht erst gewartet, bis das Gesundheitsamt die Reihentestungen anordnete.
Auch der seit diesem Montag geltende Teil-Lockdown ist zu spüren bei Ulmer Fleisch, der Firma, die hinter dem Schlachthof im Donautal steht (und die wiederum zu Müller Fleisch gehört). Restaurants und andere Großabnehmer aus der Gastronomie kauften deutlich weniger. Zur Freude von Lange werde dies aber mehr oder weniger vom Handel ausgeglichen, von zusätzlichen Bestellungen durch Rewe oder Edeka. Denn essen müssten die Menschen ja trotzdem. Lange gibt sich zuversichtlich, dass Bauern und Händler, die ihre Tiere an den Ulmer Schlachthof liefern, trotz des zeitweise herunter gefahrenen Betriebs nicht auf diesen sitzen bleiben. Dies sei auch eine Frage des Tierwohls. Von einem „Schweine-Stau“in Schlachthöfen, wie er in Norddeutschland wegen Corona-Ausbrüchen herrsche, könne hierzulande keine Rede sein.