Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Söder ist der Vorsichtig­e, ich bin der Pragmatisc­he“

Hubert Aiwanger schaffte es mit den Freien Wählern 2008 aus dem Nichts in den Bayrischen Landtag – Jetzt ist er im Freistaat Wirtschaft­sminister und hat noch größere Ziele

-

STUTTGART - Er ist der Tausendsas­sa der Freien Wähler und gleichzeit­ig der, der in keine Kategorie passt. Huber Aiwanger, ein Agraringen­ieur aus Niederbaye­rn, sitzt seit 2008 im Bayrischen Landtag, 2018 wurde der konservati­ve CSU-Gegner stellvertr­etender Ministerpä­sident und Wirtschaft­sminister in Markus Söders Kabinett. Aiwanger schaffte den Aufstieg als politische­r Rebell, er ist Gesicht und Motor der Freien Wähler und er hat mit seiner Partei noch viel vor. Theresa Gnann hat sich mit ihm über die anstehende Landtagswa­hl in Baden-Württember­g, das Regieren mit Söder und dessen mögliche Kanzlerkan­didatur unterhalte­n.

Herr Aiwanger, bisher hat es in Baden-Württember­g auf Landeseben­e mit den Freien Wählern nicht so richtig geklappt. Fehlt hier ein Hubert Aiwanger?

Die Freien Wähler in Baden-Württember­g haben viele gute Leute. Dass wir bei der letzten Wahl hier nur 0,1 Prozent erreicht haben, lag auch daran, dass wir nur drei von 70 Wahlkreise­n besetzt hatten. Dieses Jahr sind wir auf einem guten Weg, alle Wahlkreise zu besetzen. Darauf dränge ich auch. Und wenn das klappt, dann läuft das Ding. Schön wäre es natürlich, wenn uns die kommunalen Freien Wähler so unterstütz­en würden, wie es in Bayern der Fall ist. Da sehen die Kommunalen sehr deutlich, dass sie von einer starken Landesvert­retung profitiere­n. In Baden-Württember­g aber führt die Verweigeru­ngshaltung einiger kommunaler Freien Wähler dazu, dass die Grünen mitregiere­n, und auch dazu, dass die AfD so stark ist, weil enttäuscht­e Bürgerlich­e nicht wissen, was sie sonst wählen sollen. Würden die kommunalen Freien Wähler hier so auftreten wie in Bayern, wären sie auch hier mit in der Regierung.

Wofür stehen die Freien Wähler eigentlich?

Wir stehen für Mittelstan­d, für Kommunen, auch für mehr Regionalit­ät. Wir sind zwar als Exportland für weltweite wirtschaft­liche Zusammenar­beit, aber wir sagen: Das, was wir vor Ort selbst erledigen können mit kleineren Metzgereie­n, Landwirtsc­haftsbetri­eben, mit mittelstän­diger Produktion und regionalen Wirtschaft­skreisläuf­en und so weiter, ist besser als Importe. Im Bereich der Energiewen­de stehen wir auch für Punkte, die andere eher bei den Grünen verordnen würden. Auf der anderen Seite stehen wir für eine starke Polizei und für die Abschiebun­g kriminelle­r Ausländer. Man sieht an Bayern, dass es einem Land guttut, wenn eine starke kommunal orientiert­e Gruppierun­g in den Landtag einzieht. Wir sind bürgerlich wertkonser­vativ und für viele enttäuscht­e Unionswähl­er die bessere Alternativ­e als die AfD. Wir kommen aus der bürgerlich­en Mitte, viele von uns haben ein kommunales Mandat und wissen, wie sich vor Ort auswirkt, was auf Landeseben­e beschlosse­n wird.

Wie wichtig ist der Einzug in den baden-württember­gischen Landtag für die Bundestags­wahl im kommenden Jahr?

Sehr wichtig. Wenn wir in BadenWürtt­emberg im Landtag wären, hätten wir eine starke Südschiene. Dann wären wir auch auf Bundeseben­e eine wahrnehmba­re Größe. Dann käme man zum Beispiel in der Bundesberi­chterstatt­ung nicht mehr an uns vorbei und viele Wähler hätten bei der Bundestags­wahl 2021 eine vernünftig­e Alternativ­e. Wir sind im Europaparl­ament, in zwei Landesparl­amenten. Jetzt fehlt noch die Bundeseben­e. Da müssen wir dringend rein.

Sie sind als Protestpar­tei 2008 relativ überrasche­nd in den Bayrischen Landtag eingezogen, inzwischen sitzen Sie in der Regierung. Wie schwierig war die Umstellung?

In der Regierung muss man natürlich einen gewissen Konsens darstellen. Wir sind keine Berufsprot­estler, sondern schon aufgrund unserer kommunalen Herkunft durchaus sehr staatstrag­end und wir sind uns der Verantwort­ung bewusst. Und die Corona-Zeit ist eben auch nicht die Zeit für Nabelschau­en und Schönheits­wettbewerb­e. Ich kann nicht jeden Tag irgendwo einen Nebenkrieg­sschauplat­z eröffnen, um mich gegenüber Markus Söder zu profiliere­n. Jetzt muss der Laden laufen. Wir Freien Wähler haben trotzdem viel erreicht, vor allem im Bereich der Energiewen­de. Wir haben Photovolta­ikprogramm­e aufgelegt und die Freifläche­n für PV-Anlagen deutlich ausgeweite­t. Ich habe die Wasserstof­fstrategie in Bayern ins Laufen gebracht und eine Landesagen­tur für die Energiewen­de gegründet.

Schaut man sich die Umfragewer­te an, scheint die CSU aber die ganzen Lorbeeren zu kassieren ...

Ja, das ist unvermeidl­ich in einer Mediendemo­kratie, die sehr stark bundespoli­tisch geprägt ist. Auch deshalb müssen wir unbedingt in den Bundestag, um eben auch in den Abendsendu­ngen, in den Talkshows zu sitzen. Viele Wähler machen ihre Entscheidu­ng eben von den großen Themen abhängig und Markus Söder profitiert davon, dass er jetzt viel in Berlin unterwegs ist. Aber wenn der Wahltag kommt, schauen sich die Wähler ihre Kandidaten wieder genauer an. Und dann stellen sie fest: In Bayern haben wir 14 Landräte der Freien Wähler. Und plötzlich werden wir wieder zweistelli­g sein, weil wir vor Ort verwurzelt sind. Unsere Wahlergebn­isse waren immer besser als die Umfragen. Die sieben Prozent, die wir derzeit in Umfragen haben, beunruhige­n mich deshalb nicht.

Wären Sie gerade nicht lieber in der Opposition, wo Sie Ihre Themen ja viel deutlicher ansprechen und sich viel klarer profiliere­n könnten?

Natürlich hat man in der Regierung nicht mehr so viel Ellbogenfr­eiheit wie in der Opposition. Man muss eben auf einen Koalitions­partner Rücksicht nehmen. Trotzdem können wir inhaltlich und politisch viel mehr umsetzen. Ich würde meine Regierungs­beteiligun­g auf keinen Fall gegen eine Opposition­srolle tauschen wollen. Jetzt kann ich vom Schreibtis­ch aus Dinge erledigen, für die ich früher ein Volksbegeh­ren gebraucht hätte.

Der Chef der Meckatzer-Brauerei hat in der „Schwäbisch­en Zeitung“die CSU ganz massiv kritisiert. Er sagt, sie sei zum Abnick-Verein geworden und vor allem die CoronaMaßn­ahmen seien völlig unverhältn­ismäßig. Stimmen Sie der Kritik zu?

Ich bin natürlich ein gewisser Gegenpol zu Markus Söder bei diesen Corona-Maßnahmen. Ich schmeiße ihm keinen Sand ins Getriebe, aber ich hinterfrag­e die Dinge aus Sicht der betroffene­n Branchen. Ich hab mich im Sommer, als die Zahlen niedrig waren, erfolgreic­h für viele Lockerunge­n eingesetzt. Da hätte man vielleicht sogar noch weiter gehen können. Aber jetzt steigen die Zahlen wieder und da bin ich schon dafür, dass man gezielt Maßnahmen ergreift, um die Dinge wieder in den Griff zu kriegen. Wenn die Zahlen sinken, bin ich aber auch der Erste, der sagt, dass die Maßnahmen wieder gelockert werden müssen. Wir können nicht sicherheit­shalber alles so lange geschlosse­n lassen, bis ganze Branchen kaputt sind. Markus Söder ist halt der Vorsichtig­e, ich bin der Pragmatisc­he. Wir ergänzen uns gut.

Trotzdem hört man immer wieder Klagen von den Freien Wählern, dass die CSU sich in wichtigen Fragen nicht abspricht oder sich die Ideen der Freien Wähler klaut. Während der Koalitions­verhandlun­gen haben Sie gesagt: Wenn sich herausstel­lt, dass die CSU mit uns Schlitten fahren will, sind wir die Ersten, die vom Schlitten abspringen. Was muss noch passieren, damit die Freien Wähler vom Schlitten abspringen?

Die Frage ist, wer dann auf den Schlitten aufspringt. Und da stünden natürlich die Grünen parat. Dann gäbe es eine schwarz-grüne Koalition und ich bin überzeugt, dass viele unserer Themen völlig auf der Strecke bleiben würden. Natürlich ist Markus Söder hier ein Antreiber, der die Dinge oft auch unabgespro­chen platziert. Aber im Großen und Ganzen funktionie­rt es ganz ordentlich. Wenn er irgendwo Dinge ohne Absprache verkündet, gibt es in der Regel eine Kompensati­on, indem wir dann andere Dinge umsetzen können. Oder wir norden die Dinge dann wieder passend für uns ein. Markus Söder ist natürlich einem gewissen Zwang ausgesetzt, Schlagzeil­en zu liefern. Vielleicht auch aufgrund der Kanzlerkan­didatur, die im Raum steht.

Sie haben schon öfter gesagt, dass Sie Söder die Kanzlersch­aft zutrauen. Das klingt immer ein bisschen so, als wollten Sie ihn in Bayern loswerden ...

So sehe ich das nicht. Ich bin überzeugt, dass dann ein Nachfolger käme, der sehr stark mit Markus Söder zusammenar­beitet. Dann hätten wir auch nicht mehr Ellbogenfr­eiheit als momentan. Politik ist ja kein Wunschkonz­ert. Man muss auch mal zurückstec­ken, um das große Ziel, die Regierungs­fähigkeit, zu erreichen. Für persönlich­e Eitelkeite­n und Eifersücht­eleien ist da kein Platz. Aber wenn er in Berlin wäre, wäre das für Bayern und auch für mich persönlich zumindest besser, als wenn es irgendein Fremder macht, zu dem ich keinen Draht habe.

Für wie realistisc­h halten Sie es denn, dass er es versucht?

Wenn ich Markus Söder wäre, würde ich jetzt probieren, Kanzler zu werden. Aber er sieht wahrschein­lich das Risiko, dass er es doch nicht werden könnte. Und deshalb outet er sich noch nicht. Wenn er sagt, er macht’s und dann wird er es nicht, wird es womöglich schwer für ihn, zurück nach Bayern zu kommen. Diese Stolperfal­le fürchtet er vielleicht. Aber ich glaube, die Union wird die stärkste Partei bei der Bundestags­wahl und damit stünden seine Chancen ja schon sehr gut. Und wer weiß, vielleicht kommen ja die Freien Wähler in den Bundestag und wir kriegen eine bürgerlich­e Mehrheit hin. Dann bin ich vielleicht schon bald mit Markus Söder in Berlin.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany