Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Reicher Süden, ärmerer Rest
Regionale Unterschiede im Armutsbericht – Paritätischer befürchtet Verschärfung
BERLIN - Armut ist in Deutschland auf einem Höchststand, mit weiterhin deutlichen regionalen Unterschieden, und könnte durch die Corona-Krise weiter wachsen. Das geht aus dem jährlichen „Armutsbericht“des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor, der am Freitag veröffentlicht wurde.
Der Verband analysiert darin die bereits im August veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes zur sogenannten Armutsgefährdungsquote, oft auch einfach Armutsquote genannt. Diese war im vergangenen Jahr auf 15,9 Prozent gestiegen. Es handele sich um die „größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung“, heißt es im Bericht des Paritätischen. 2018 lag die Quote noch bei 15,5 Prozent.
Seit den marktfreundlichen Reformen ab den 1980er-Jahren und der
Einführung von Hartz IV in den 2000er-Jahren deutete viel darauf hin, dass die Armut zunahm. In den vergangenen Jahren gab es jedoch positive Zeichen. Der Mindestlohn machte sich bemerkbar. Auch die niedrigsten Einkommensgruppen profitierten vom Wirtschaftsaufschwung.
Armut wird in reichen Ländern wie Deutschland nicht über direkte Not wie Hunger oder Obdachlosigkeit definiert, sondern über das Haushaltseinkommen und die daraus folgenden Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe. Die Armutsgefährdungsquote gibt dabei den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. Bei einem Einpersonenhaushalt lag diese Grenze in Deutschland im vergangenen Jahr bei 1074 Euro im Monat. Armutsgeografisch zerfällt Deutschland in zwei Teile: Im gut gestellten Süden haben Bayern und Baden-Württemberg eine gemeinsame Armutsquote von 12,1 Prozent. Der gesamte Rest der Republik kommt auf eine Quote von 17,4 Prozent. Außerhalb von Bayern und Baden-Württemberg lebt durchschnittlich mehr als jeder Sechste unterhalb der Armutsgrenze. Als „armutspolitische Problemregion Nummer 1“bezeichnete der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, dennoch das Ruhrgebiet (21,4) mit seiner hohen Bevölkerungsdichte.
Der Verband warnte vor einer Verschärfung von Armut durch die Corona-Pandemie und forderte eine Anhebung finanzieller Unterstützungsleistungen für arme Menschen. Besonders betroffen seien geringfügig Beschäftigte und junge Menschen. „Eine zunehmende Zahl von Erwerbslosen stößt auf ein soziales Sicherungssystem, das bereits vor Corona nicht vor Armut schützte und dessen Schwächen nun noch deutlicher zutage treten“, sagte Schneider. Mit der Mehrwertsteuersenkung im Konjunkturpaket gegen die Corona-Krise seien 20 Milliarden Euro „sprichwörtlich verpulvert“worden, in dem Paket sei aber „kein Cent“für die Armen zu finden. Er sprach sich unter anderem für eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze und die Einführung einer Kindergrundsicherung aus.
Auch Linke und Grüne fordern immer wieder eine solche Zusammenführung aller Sozialleistungen für Kinder zu einer zentralen Leistung. Sie bekräftigten dies am Freitag nach der Vorlage des Armutsberichts. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, forderte, die Armutsbekämpfung müsse ganz oben auf die politische Agenda.