Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Tag kommt, an dem Gott allen ganz nah sein wird
Liebe Gemeinde,
ganz hinten, auf der allerletzten Seite unserer Bibel, steht diese Prophezeiung, die von einem neuen Himmel und einer neuen Erde erzählt.
Auch im Kirchenjahr sind wir mit diesem Sonntag ganz am Ende angelangt, auf der letzten Seite sozusagen. Aber in diesen Herbsttagen, da haben wir eher unsere alt gewordene Erde vor Augen, mit ihren alten Sorgen und Problemen, mit den Rissen und Sprüngen, die sie durchziehen. Und vom neuen Himmel, da ist erst recht nichts zu sehen: Wir erkennen ja oft den alten Himmel kaum, in diesen nebligen Novemberwochen.
Man nennt diesen Sonntag den Totensonntag und den Ewigkeitssonntag – denn beides gehört ja zusammen: Wir können nicht von der Ewigkeit reden, ohne zuvor an den Tod und an unsere Toten zu denken. Und man kann auch nicht von einem neuen Himmel und einer neuen Erde reden, ohne daran zu erinnern, wie sehr wir oft unter dieser alten Erde leiden. Wenn wir nur auf den neuen Himmel und die neue Erde schauen, dann werden die riesigen Unterschiede übergangen, die es zwischen Altem und Neuem, zwischen Zeit und Ewigkeit gibt. Denn Gott sagt: „Siehe, ich mache ALLES neu!“
Ich glaube, wir können uns das gar nicht radikal genug vorstellen! Das, was jetzt ist, und das, was sein wird: Das unterscheidet sich fundamental. Gott will eine völlig neue Welt erschaffen: Das Alte, das soll nicht einfach renoviert werden, ein bisschen aufgehübscht und ausgebessert – sondern es wird etwas qualitativ ganz anderes sein.
An einem Detail unseres Textes wird das deutlich: Auf der neuen Erde, da wird es kein Meer mehr geben, heißt es da. Nun ist das Meer in der Bibel nicht, wie in unserer Vorstellung, der Ort der Urlaubssehnsucht und der Erholung. Zur Zeit des Neuen Testamentes ist das Meer ein Symbol für die lebensfeindliche Welt: Mit seinen Stürmen und Wellen und Wogen steht es für das Unberechenbare, für Abgründigkeit und für das Bodenlose – für all das, was das Leben erschüttern und einen vielleicht sogar untergehen lassen kann.
Diese Unberechenbarkeit des Lebens und seine Abgründe, die lernen wir etwa kennen, wenn wir einen Menschen verlieren.
Einmal, da ist das Meer aber nicht mehr da, sagt die Bibel. Alles, was unser Leben unberechenbar macht und ins Schwanken bringt, alles was uns in Aufruhr versetzt und untergehen lässt – das wird es dann nicht mehr geben. Wir haben festen Boden unter den Füßen, uns kann nichts mehr erschüttern: Denn in dieser neuen Welt wird kein Tod mehr sein und auch kein Leid und kein Geschrei und kein Schmerz.
Hier, auf unserer alten Erde, da fragen wir Menschen manchmal verzweifelt, wo wir denn Gott finden können. Wenn Not und Krankheit uns bedrücken, dann kann diese Frage aufkommen. Auch wenn wir an Gräbern stehen und nicht mehr weiterwissen, dann fragen wir: „Gott, wo warst Du? Wo bist Du?“
In der neuen Welt, da wird man nicht nach Gott suchen müssen: Er selbst wird mitten unter uns wohnen, lesen wir. Ganz exakt müsste man übersetzen: „Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen“. Gott wird unter uns sein Zelt aufschlagen!
Als das Volk Israel durch die Wüste zog, da hatten sie ein Zelt dabei, das war für Gott bestimmt. Es wurde an jedem Lagerplatz neu aufgebaut. Dort konnte Mose mit Gott sprechen, von Angesicht zu Angesicht, so wird es im Alten Testament erzählt. So wird es in der neuen Welt wieder sein, schreibt der Apostel Paulus, wenn Gott sein Zelt bei den Menschen aufschlägt: Dann sehen wir ihn von Angesicht zu Angesicht.
Diese unmittelbare Nähe zu Gott, die haben wir jetzt noch nicht. Es gibt noch viele Situationen, in denen wir ihn nicht verstehen. Es gibt auch Momente, in denen Gott uns eine Antwort schuldig bleibt, vielleicht zu einem Todesfall.
Und doch sind wir nicht allein auf dieser alten Erde: Nächste Woche beginnt der Advent. Im Johannesevangelium wird das Ziel des Advents so beschrieben: In Jesus Christus wohnt Gott schon jetzt unter uns und wir können auch hier seine Herrlichkeit erkennen.
Uns fehlt das in diesen Tagen und Wochen, dass wir viele Menschen nicht von Angesicht zu Angesicht sehen können. Wir telefonieren und schicken uns Textnachrichten und schreiben Briefe. Aber das ersetzt nicht den direkten Kontakt, nicht die persönliche Anwesenheit. Viele Trauerfamilien mussten das im vergangenen Jahr an den Tagen rund um eine Beerdigung vermissen: Dass man Besuch empfangen kann, dass einen jemand in den Arm nimmt.
Und natürlich vermissen wir die Menschen, die nicht mehr da sind: Ihre Anwesenheit, sie fehlt! Sie sind uns nahe, wenn wir Fotos anschauen oder Erinnerungen austauschen, auch wenn wir ans Grab gehen. Aber auch das ersetzt natürlich keineswegs die Nähe, die wir einst hatten.
Noch leben wir in der alten Welt. Aber wir können uns immer wieder erneuern lassen von der großen Hoffnung auf die Ewigkeit, die uns die Botschaft dieses Sonntags schenkt:
Die Tage werden kommen, an denen wir keinen Abstand mehr halten müssen und keine Masken mehr zu tragen brauchen.
Und genauso wird auch jener Tag kommen, an denen wir die Menschen, die wir heute vermissen, wieder in die Arme schließen können.
Es wird der Tag wird kommen, an dem wir klar und unverstellt sehen werden – der Tag, an dem Gott jedem von uns ganz nahekommt.
Amen.