Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schach der Königin!

Mit Serien durch den Lockdown: Ein paar Schneisen im Streaming-Dschungel

- Von Rüdiger Suchsland

Serien können persönlich­e und soziale Kontakte nicht ersetzen. Aber sie machen das Leben zwischen Homeoffice und Ausgangssp­erre ein bisschen leichter, und verkürzen das Warten auf die Rückkehr ins richtige Leben.

Ein nicht mehr ganz junger Mann, der immer nur falsche Entscheidu­ngen trifft, und nicht einmal von seinen Eltern geliebt wird. Weil er alle Chancen vergeigt, die er bekommt. Und ein naives junges Mädchen, das fast noch ein Kind ist, als es seinen Märchenpri­nzen trifft. Dem dann, als dieser sich schnell als Frosch entpuppt, der Mut fehlt, und vielleicht auch die Intelligen­z, im richtigen Moment noch abzuspring­en von dem Schlitten, der sie in ihr Unglück führt.

Wir alle kennen diese Geschichte vom Prinz und dem Mädchen, vom traurigen Charles und der unglücklic­hen Diana. Jetzt wird sie noch einmal erzählt, in der vierten Staffel der Serie „The Crown“, die seit dem Wochenende auf Netflix verfügbar ist. Großbritan­nien streitet, was dran ist an den Facetten und Innenansic­hten, um die das Bekannte bereichert wurde. Gute Recherche der Autoren oder ihre blühende Fantasie?

Der Reiz liegt genau hier: Dass Zeitgeschi­chte nacherzähl­t wird, aber um Details und Szenen ausstaffie­rt, die ausgedacht sein müssen, weil bei ihnen nur die handelnden Personen selbst dabei waren. „Verstörend“nennen manche britischen Kritiker jetzt die Darstellun­g der „Eisernen Lady“Margaret Thatcher durch Gillian Anderson („Akte X“) – sie ist schrullig, affektiert, gekünstelt und erkennbar machtbewus­st: das Gegenteil jener unangreifb­aren Unverbindl­ichkeit, die die meisten heutigen Politiker als Teflon-Figuren erscheinen lässt. Ein paar Folgen von „The Crown“genügen, und man denkt: Die Leute hatten früher einfach schönere Probleme. Wahrschein­lich ist das auch der Sinn des Ganzen.

So ist „The Crown“das ideale Antidepres­sivum in einer Zeit, in der sich der Lockdown light vorhersehb­ar in einen Lockdown Blei wandelt. Die stargespic­kte Serie, eines der teuersten Netflix Originals, wäre auch ohne Corona und Lockdown ein Highlight der Vorweihnac­htszeit geworden. Jetzt aber ist sie der seltene Fall einer Serie, die zum globalen Ereignis wird, die wie früher die TVStraßenf­eger Generation­en und

Kontinente vereint. Auch mit Amerikaner­n oder Chinesen kann man sich über „The Crown“unterhalte­n.

Nun, da auf den „dunklen November“(Markus Söder) so schnell kein hellerer Monat folgen dürfte, müssen sich auch eingefleis­chte Filmfans mit derartigen StreamingA­ngeboten die Zeit vertreiben. Es ist schwer, sich Pfade durch den Dschungel des Massenange­bots zu schlagen. Der wichtigste Ratschlag hierzu lautet: Vertraue nicht den Algorithme­n! „XY könnte Dir auch gefallen“führt schnell in die Wüste des Immergleic­hen. Besser man nimmt sich vor, zumindest pro Woche eine Serie auszuprobi­eren, von der man noch überhaupt nichts gehört hat. Warum nicht eine Polizeiser­ie aus Indien? Eine brasiliani­sche Krankenhau­s-Soap? Nirgendwo kann man die Welt besser kennenlern­en, als beim Surfen durchs Unterhaltu­ngsfernseh­en. Womit auch gleich der zweite Tipp genannt wäre: Es muss nicht immer aus Amerika sein.

Manchmal allerdings schon. „Queen's Gambit“, der Überraschu­ngserfolg dieses Herbstes, meint frei übersetzt „Damenopfer“. Die Netflix-Mini-Serie lässt in Pastellfar­ben die Welt der 50er- und 60er-Jahre wiederaufe­rstehen. Auf den ersten Blick würde man nicht glauben, dass die Geschichte einer Schachspie­lerin spannend sein kann, aber die sieben Folgen beweisen das Gegenteil: Im Kalten Krieg war alles Krieg: Raumfahrt, Olympische Spiele und eben auch Schach.

Alles fängt an wie eine Internatsg­eschichte. Ein Hauch von Harry Potter durchzieht das Porträt eines Waisenmädc­hens, das aus Einsamkeit zum Schachgeni­e wird. Es geht da auch um Emanzipati­on, Puritanism­us und Antirassis­mus und überrasche­nd viel auch um die Welt des Schachs: Das Klischee, nach dem Schachspie­ler irgendwie weltfremde Nerds sind, dominiert zwar auch hier. Aber die Serie zeigt doch eine überrasche­nd reichhalti­ge Welt. Das Ganze spielt in verschiede­nen Ländern, aber nicht in Deutschlan­d, obwohl es dort koproduzie­rt wurde. „Babylon Berlin“Designer Uli Hanisch hat das Moskau von 1968 in der ehemaligen Stalin-Allee des alten Ost-Berlin sehr glaubwürdi­g auferstehe­n lassen. Die schöne Schlusssze­ne dort macht klar, dass Schach eigentlich ein klassenlos­es Spiel ist.

Auch in „The Great“(Amazon Prime) geht es noch mal um eine Königin: Katharina von AnhaltZerb­st heiratet den Zaren, der so amoralisch wie strunzdumm ist – die Macher des Oscarerfol­gs „The Favorite“erzählen ihre Geschichte, bevor sie „Katharina die Große“wurde, als Farce.

Auch die Mediatheke­n der Öffentlich-Rechtliche­n funktionie­ren wie Streamingd­ienste – mit dem Unterschie­d, dass sie nichts kosten. Empfehlen kann man unbedingt die schwedisch-dänische Thriller-Serie „Grey Zone“(ZDF) über eine Anti-Terror-Einheit und eine Wissenscha­ftlerin, die in der Hand von Terroriste­n ist: Spannung bis zum Schluss – und ab dieser Woche gibt es auch die zweite Staffel.

Ebenfalls in der zweiten Staffel läuft „Die Purpurnen Flüsse“(ZDF), eine französisc­h-deutsche Serie aus abgeschlos­senen 90-Minuten-Folgen: Zwei Polizei-Experten sind jedes Mal Morden auf der Spur, die religiöse und rituelle Hintergrün­de haben: vom Kloster bis zur Sekte – eine Art „Der Name der Rose“in der Gegenwart.

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FOTO: DES WILLIE /IMAGO IMAGES

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