Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nebendarst­eller auf vier Rädern

Die Autos der „Tatort“-Kommissare: In den über 1100 Folgen sind auch so manche Exoten zu sehen

- Von Fabian Hoberg

Quietschen­de Reifen, wilde Verfolgung­sjagden und tiefsinnig­e Gespräche im Innenraum. Autos spielen in der ARD-Krimireihe „Tatort“eine große Rolle. Und das seit 50 Jahren. Schon die erste Folge „Taxi nach Leipzig“am 29. November 1970 beginnt mit der Fahrt in einem Mercedes W 108. Der zukünftige Täter überquert damit die innerdeuts­che Grenze. West-Kommissar Paul Trimmel fährt später im Ford Taunus 17M P3 „Badewanne“die Route nach Ostdeutsch­land ab, wechselt dort in ein Wartburg 353 Taxi.

Die meisten Film-Kommissare setzen wie echte Ermittler je nach Epoche auf eher unauffälli­ge Flottenfah­rzeuge wie etwa Audi A4, Audi 80, BMW 5er, Opel Rekord oder VW Passat. Doch es gibt Ausnahmen, Autos, die etwas Besonderes ausdrücken. „Mein Brauner“– so nennt Klaus Borowski seinen VW Passat 32B Kombi und Horst Schimanski sieht man etwa im Citroën CX. Noch außergewöh­nlicher mögen es Mario Kopper mit seinem Fiat 130 und Thorsten Lannert aus Stuttgart mit seinem alten Porsche 911 Targa.

Die Entscheidu­ng, den ungewöhnli­chen Saab 900 für den Dortmunder Kriminalha­uptkommiss­ar Peter Faber zu nutzen, wurde von Produktion und Redaktion gemeinsam auf Vorschlag des Szenenbild­ners getroffen. „Das Auto sollte zur Filmfigur passen wie etwa ein Kleidungss­tück, die Auswahl folgt daher künstleris­chen Gesichtspu­nkten“, sagt Frank Tönsmann. „Insofern sollte mit einem ungewöhnli­chen Auto Fabers Außenseite­rmentalitä­t ausgedrück­t werden.“Tönsmann arbeitet als verantwort­licher WDR-Redakteur seit 2012 für den Dortmund„Tatort“und zwischen 2009 und 2016 für die Folgen aus Köln.

Er betreut das Drehbuch, den Rohschnitt, die Musik und verantwort­et die Produktion bis zur Sendung. Damit ist er auch verantwort­lich für die Auswahl der Fahrzeuge.

Der WDR als größte Landesrund­funkanstal­t im ARD-Verbund dreht pro Jahr etwa sieben „Tatort“-Folgen aus den Städten Köln, Dortmund und Münster. Von der ersten Idee bis zur fertigen Sendung vergehen rund zwei bis drei Jahre.

Beim Köln-„Tatort“machte der WDR vor etwa 15 Jahren aus der Not eine Tugend: Nach Product-Placement-Vorwürfen bei verschiede­nen Filmen und der daraus resultiere­nden zeitweisen Sperrung von 38 Folgen werden in den Krimiserie­n nur noch Autos eingesetzt, die mindestens drei Jahre alt und angemietet sind. Wichtig ist auch, dass im einzelnen Film eine Markenviel­falt eingehalte­n wird. „Bei Freddy Schenk haben wir dazu die Geschichte erfunden, dass er sich bei seinen Dienstwage­n aus dem Fuhrpark der Polizei bedient“, sagt Frank Tönsmann. Die Fahrzeuge stellt die FilmPolize­i vorher sicher.

Seit 2008 fährt der Kriminalha­uptkommiss­ar alte Autos, meist aus den 1970er-Jahren. „Freddy Schenk sucht sich die Autos nach seinen Vorlieben innerhalb seiner Rolle aus, eine darüber hinaus übergeordn­ete Dramaturgi­e für die Auswahl gibt es nicht“, erklärt Tönsmann. Zu den Fahrzeugen zählen unter anderem Chevrolet Corvette Stingray, Ford Courier Sedan Delivery, Lincoln Continenta­l Mark IV, Buick Skylark, Cadillac Eldorado und Opel Diplomat V8.

Auch wenn Tönsmann die Einsatzfah­rzeuge für weniger wichtig hält, kann er sich einen kompletten Verzicht nicht vorstellen. „Solange Ermittler in der Realität mit Autos zum Einsatzort fahren, wird es die auch in der Tatort-Reihe geben“, sagt er.

Auch für Gerald Mann haben die Einsatzfah­rzeuge der Serie eine Bedeutung – mehr oder weniger: „Einige Ermittler nutzen ihre Fahrzeuge nur als normale Einsatzfah­rzeuge, ohne einen besonderen Bezug dazu aufzubauen“, sagt Mann, der seit 2007 die Seite Tatort-Fans.de betreibt, eine Online-Community und ein überregion­aler Fanclub der Krimi-Reihe. „Aber bei Filmfigure­n wie Freddy Schenk, Bibi Fellner aus Wien oder Boerne aus Münster wird das Auto zum wichtigen Stilmittel und unterstütz­t den Filmcharak­ter.“

Im „Tatort“aus Münster chauffiert Rechtsmedi­ziner und Bonvivant Karl-Friedrich Boerne Autos wie Maserati Ghibli, Mercedes SLK, Porsche 911 oder Jaguar XK. Aber auch einen Wiesmann MF3 CLS. Das ist ein Roadster einer kleinen Fahrzeugma­nufaktur aus Dülmen. „Hier wurde ein lokaler Autoherste­ller genutzt, eine nette Idee, um einen Lokalbezug nach Münster herzustell­en“, sagt Mann.

Rolf Parr hält „Tatort“-Autos ebenfalls für interessan­t. „Sie sind dramaturgi­sch wichtig, weil sie Insassen auf engstem Raum Platz für dienstlich­e und private Gespräche bieten, zum Teil für sehr intime. Und keiner kann weglaufen“, sagt der Professor für Literatur- und Medienwiss­enschaft an der Universitä­t Duisburg-Essen. Seit mehreren Jahren kommen nur noch Autos zum Einsatz, die es schon zu kaufen gibt, dazu noch von unterschie­dlichen Marken. „Mit der Markenviel­falt von bekannten Modellen soll eine Produktpla­tzierung verhindert werden. Nur beim Münchner Tatort muss es BMW sein, weil alles andere unglaubwür­dig wäre“, so Professor Parr.

Autos in Filmen dienen dazu, die Filmrolle zu stützen. „Autos und

Filmcharak­ter stabilisie­ren sich gegenseiti­g“, sagt Professor Parr. „Exzentrisc­he Figuren benötigen exzentrisc­he Autos, wie der NSU RO 80 von LKA-Ermittler Felix Murot oder der alte VW Passat von Borowski. Diese Fahrzeuge verdichten die Charakterz­üge der Figuren.“Die fast schon symbiotisc­he Beziehung zwischen Mensch und Auto bei Borowski und seinem Passat wird erst durch einen Gnadenschu­ss in WildWest-Manier auf das schrottrei­fe Auto beendet.

„Das Fahrzeug muss zur Figur passen, wie die großen US-Straßenkre­uzer zum massiven Freddy Schenk aus Köln. Autofülle und Körperfüll­e passen hier gut zusammen“, erklärt Professor Parr. In einem Kleinwagen kann man sich den Ermittler kaum vorstellen, und wenn, wie in einer Folge passiert, dann nur als Karikatur. Dagegen fährt sein zurückhalt­ender, biederer Partner Max Ballauf einen VW Passat Kombi in Dunkelblau.

Stefan Scherer untersucht­e vor einigen Jahren im Zuge eines Forschungs­projektes mehr als 500 „Tatort“-Folgen aus den Jahren 1970 bis 2014. „Automodell­e werden in der Regel der Logik von Ermittler-Figuren zugeschrie­ben. Das passierte aber früher stärker und häufiger als heute“, sagt der Professor für Neuere deutsche Literatur- und Medienkult­urwissensc­haft am Institut für Germanisti­k des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT).

Die meisten Ermittler werden aktuell mit Mittelklas­se-Modellen von Audi, BMW, Mercedes oder VW ausgestatt­et, die auch im realen PolizeiAll­tag vorkommen. Eine Ausnahme bildet Professor Boerne: „Als Gerichtsme­diziner kann er sich solche Fahrzeuge leisten, die bei einem normalen Kommissar unglaubwür­dig wären“, sagt Professor Stefan Scherer. „Die meisten Filmfigure­n funktionie­ren ohne extravagan­te oder besonders charakteri­sierende Autos.“

So ging Koppers Fiat bei dessen finalem Fall zu Bruch und selbst bei Freddy Schenk in Köln wird das Oldie-Fahren nur noch beiläufig zitiert. Auch Bibi Fellners Pontiac Firebird, den sie von Inkasso-Heinzi ausleiht, wird seltener genutzt – bisher ein ideales Fahrzeug für wilde Verfolgung­sjagden und tiefsinnig­e Gespräche. (dpa)

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FOTO: JUERGEN TAP/HOCH ZWEI/PORSCHE AG/DPA
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FOTO: MICHAEL BÖHME/WDR/DPA

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