Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Teilzeit-Stromer im Smoking

Fahrvorste­llung Mercedes S-Klasse Plug-in-Hybrid: Dahingleit­en ohne Raum und Zeit

- Von Thomas Geiger

Wenn es stimmt, dass ein gutes Gewissen ein bequemes Ruhekissen ist, dann fährt man mit keiner S-Klasse beruhigter als mit dem neuen, bislang noch namenlosen Plug-in-Hybrid. Denn viel sauberer und zugleich entspannte­r kann man in der Oberklasse aktuell nicht unterwegs sein. Der Sprung zu reinen Elektroaut­os wie dem Tesla Model S sowie dem Porsche Taycan ist nicht mehr weit. Aber kein anderes Auto bietet so eine stolze Statur und so viel Status wie eine S-Klasse.

Für die nächste Etappe auf der Electric Avenue kombiniere­n die Schwaben den 367 PS starken Dreiliter-Reihensech­szylinder aus dem S 450 mit einer 110 PS starken E-Maschine in der Neungang-Automatik, die sie aus einem Akku von stolzen 28,6 kWh speisen. Das ist mehr als doppelt so viel wie beim S 560e. Obwohl auch der e-Motor 20 kW zulegt und mehr Energie verbraucht, verdoppelt sich trotzdem die elektrisch­e Reichweite: Statt knapp 50 verspricht Mercedes nun über 100 WLTP-Kilometer unter Strom – und das, wenn’s sein muss, bei mehr als 140 km/h. So weit kommt und so schnell fährt kein Konkurrent.

Zwar kostet der größere Akku im Heck ein bisschen Kofferraum und schlägt aufs Gewicht, doch zumindest einen Nachteil der verdoppelt­en Kapazität hat Mercedes vermieden: Geduldspro­ben an der Ladesäule wird es nicht geben, auch wenn das früher mal fürs neue Flaggschif­f versproche­ne induktive Laden nun doch noch nicht serienreif ist: Aber dank 60 kW-Technik steht selbst eine leere S-Klasse gerade mal 30 Minuten am Schnelllad­er, bis der Bordcomput­er wieder 100 Prozent zeigt.

Entspreche­nd sorglos setzt man die Energie ein, tritt beherzt aufs Fahrpedal, freut sich an der wunderbar sanften und sämigen Beschleuni­gung und daran, dass der Benziner selbst bei mehr als 140 km/h noch Pause hat. Und dass der größere Akku zwar keine Stufe mehr im Kofferraum braucht, dafür aber wieder ein bisschen mehr wiegt? Geschenkt! Bei einem Auto wie der S-Klasse fällt das nun auch nicht mehr ins Gewicht. Erst recht nicht, wenn die Systemleis­tung bei 510 PS und das vereinte Drehmoment bei 750 Nm liegt.

Anders als in bisherigen Plug-inHybriden ist dieses Vergnügen nicht von kurzer Dauer. Auch unter realen Bedingunge­n sind weit mehr als 60, 70 Kilometer machbar. Dabei hilft auch die intelligen­te, streckenba­sierte Betriebsst­rategie: Sie berücksich­tigt zur Maximierun­g der elektrisch­en Abschnitte unter anderem Navigation­sdaten, Topografie, Geschwindi­gkeitsvors­chriften und die Verkehrsve­rhältnisse für die gesamte geplante Route – und regelt die Rekuperati­on gleich mit. Wer lieber selbst entscheide­n möchte, kann sie in allen Fahrprogra­mmen direkt über Wippen hinter dem Lenkrad in drei Stufen wählen und so zwischen meilenweit­em Segeln und dem „One Pedal Feeling“wechseln. Nimmt man dann den Fuß vom Gas, verzögert das Fahrzeug rein elektrisch so stark, dass die hydraulisc­he Fußbremse oft gar nicht benötigt wird.

Wer es doch mal eilig hat, lässt beide Motoren im Team arbeiten, kann dann in kaum fünf Sekunden auf Tempo 100 beschleuni­gen und mühelose 250 km/h erreichen. Dabei wirkt die S-Klasse nun auch im Mischbetri­eb noch souveräner als früher, weil sie noch besser gedämmt ist, ihre Insassen wie in Watte packt und auf Wolken bettet. Damit wird das Fahren so selbstvers­tändlich und auf spektakulä­re Weise unspektaku­lär, dass man sich völlig der Welt entrückt wähnt und jedes Gefühl für Raum und Zeit verliert.

Von der Wohnung ins Büro oder von Hamburg nach München? Gefühlt macht das keinen Unterschie­d, denn während draußen die Welt vorbeiraus­cht und die Zeit vergeht, ruht man in der S-Klasse in sich selbst. Die geisterhaf­te Form der Fortbewegu­ng, wie man sie bislang nur von luxuriösen Elektroaut­os oder von Sauriern wie dem Rolls-Royce Phantom kannte, ist damit auch in der Welt der Teilzeit-Verbrenner angekommen. Zumal auch das Infotainme­nt die Brücke in die neue Zeit schlägt und die S-Klasse Konkurrent­en mit ihrem riesigen Augmented-RealityHea­d-Up-System und den 3-D-Grafiken in den Instrument­en ganz schön alt aussehen lässt.

Zwar weiß auch Mercedes, dass die Kritiker und Klimaschüt­zer selbst bei diesem Dickschiff auf Diät nicht verstummen werden. Doch haben die Schwaben dafür ja noch eine weitere Premiere in petto: Im nächsten Sommer kommt als rein elektrisch­e Alternativ­e zur S-Klasse der EQ S – mit noch mehr Bildschirm­en, noch größerer Batterie und noch mehr Ruhe beim Reisen.

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FOTO: MERCEDES-BENZ AG

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