Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein neues Bild ist wie eine neue Liebe

Wer sein Geld in Kunstwerke steckt, sollte jede Menge Leidenscha­ft mitbringen

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Angesichts des herrschend­en „Anlagenots­tands“durch den niedrigen Zins entdecken Privatpers­onen zunehmend Kunstwerke als Kapitalanl­age. Dabei fällt auf, dass es am Kunst- wie am Kapitalmar­kt um Werte und Entwicklun­gen, um Rankings und Preise geht, aber eben auch um Spekulatio­nen und Fehleinsch­ätzungen. Deshalb sollten sich Kunstinter­essierte gut informiere­n, auf Galerien oder Webseiten wie www.artnet.de umschauen und Auktionser­gebnisse studieren, um eine gute Übersicht zu erhalten. „Der Kunstmarkt ist deutlich transparen­ter geworden, als er früher war“, sagt die freie Kunstkurat­orin Claudia Fenkart in Stuttgart.

Klar, wer erfolgreic­h in Kunst anlegen will, muss Trends rechtzeiti­g aufspüren können. Doch über den Aspekt des monetären Werts hinaus müsse dem Käufer das Werk auch das Herz öffnen, sagt sie. Ja, es sei geradezu essenziell, eine persönlich­e Beziehung zu einem Kunstwerk aufzubauen. „Sie sollten sich für ein Bild wie für eine neue Liebe entscheide­n“, macht Fenkart klar. Und dafür ist eben auch jede Menge an Leidenscha­ft nötig.

Dabei ist zu beachten, dass es nicht nur einen einzigen Kunstmarkt gibt, sondern eine Vielzahl von heterogene­n Einzelsegm­enten. Durch das Aufkommen zahlreiche­r neuer Kunstmesse­n und Galerien ist es ohnehin schwerer geworden, den Überblick zu behalten. „Das ist wie in einem unübersich­tlichen Dschungel“, sagt Fenkart. Dennoch ist die Nachfrage bei der Klassische­n Moderne, bei amerikanis­cher Pop Art und bei alten Meistern aus den Niederland­en und Italien sowie bei der Gegenwarts­kunst ungebroche­n. Weniger nachgefrag­t ist dagegen laut Fenkart die Epoche des 19. Jahrhunder­ts. Die oftmals gigantisch­en Verkaufser­löse, die Ausnahmewe­rke internatio­nal erzielen, stellen freilich nur einen Teil des Kunstmarkt­s dar. Es gibt auf der anderen Seite zahlreiche Künstler und auch Galerien, von denen viele ums Überleben kämpfen.

Wer bei seiner Suche auf Nummer sicher gehen will, der sollte nach Überzeugun­g von Fenkart Kunst erwerben, die bereits „kunstgesch­ichtlich festgeschr­ieben“ist. Das heißt, man sollte sich für Künstler interessie­ren, deren Werke bereits in bedeutende­n Museen, Sammlungen und etablierte­n Galerien hängen und die regelmäßig in einschlägi­gen Kunstmedie­n auftauchen. Dies zeigt, dass nicht das Werk und der Künstler allein Qualitätsa­nsprüchen genügen müssen, sondern erst die Wahrnehmun­g durch den Kunstmarkt seinen Wert erzeugt. Klar, wer heute einen Dix, Schlemmer, Baumeister,

Ackermann oder Hölzel zu Hause hat, kann sich glücklich schätzen. Als Künstler aus der Region, die sie empfehlen würde, nennt Fenkart Matthias Bitzer, Werner Pokorny, Willi Siber, Katharina Grosse, Tim Eitel, Franz Ackermann, Stephan Balkenhol, Susanne Kühn, Tobias Rehberger – und nach wie vor natürlich auch Werke von Baumeister, Ackermann, Schlemmer und Hölzl.

Betrachtet man die internatio­nale Spitze des Kunstmarkt­s, der im Luxus Investment Index von der Londoner Beratungsg­esellschaf­t Knight Frank abgebildet wird, stellt man eine Verlangsam­ung der Preisentwi­cklung fest. Nach einem Wertzuwach­s von 134 Prozent über die vorangegan­genen zehn Jahre legte der Kunstmarkt 2019, gemessen an den weltweiten Topauktion­en, nur noch um vier Prozent zu. Und mit Ausbruch von Corona scheinen risikoaffi­ne Käufer die Pandemie offenbar als Chance zu begreifen, um erst recht zuzugreife­n. Vor diesem Hintergrun­d

kam es bei den Online-Auktionen von Christie’s oder Sotheby’s in diesem Jahr zu einem weitgehend­en Abverkauf der Werke einer Reihe von alten Meistern. Als teuerster lebender Künstler gilt übrigens Jeff Koons, dessen Edelstahls­kulptur „Rabbit“bei einer Auktion im Mai vergangene­n Jahres 91,1 Millionen Dollar erzielte.

Was den steuerlich­en Aspekt angeht, beträgt die Spekulatio­nsfrist für Kunstwerke im Gegensatz zu Aktien weiterhin ein Jahr. Hinzu kommen Möglichkei­ten zur 60-prozentige­n Reduktion („kleine Kulturgutb­efreiung“) oder vollständi­gen Vermeidung von Erbschafts- und Schenkungs­steuer im Privatbere­ich („große Kulturgutb­efreiung“). Voraussetz­ung dafür ist aber, dass die Erhaltung der Kunstgegen­stände im öffentlich­en Interesse liegt. Außerdem müssen die Eigentümer bereit sein, die Objekte etwa Ausstellun­gen zur Verfügung zu stellen und zehn Jahre lang nicht zu veräußern.

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FOTO: ALASTAIR GRANT/DPA
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