Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Wir brauchen mehr Transparen­z“

Stefan Koldehoff und Tobias Timm haben spektakulä­re Kunstverbr­echen untersucht

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BERLIN/KÖLN - Was gut und teuer ist, scheint die Fantasie der Verbrecher ganz besonders anzuziehen. 64 Milliarden Dollar wurden im vergangene­n Jahr auf dem internatio­nalen Kunstmarkt umgesetzt, und die Schadenssu­mmen durch Fälschunge­n, Diebstahl oder Steuerbetr­ug sind mit rund acht Milliarden Dollar immens. Stefan Koldehoff und Tobias Timm haben spektakulä­re Fälle in ihrem Buch „Kunst und Verbrechen“zusammenge­tragen. Christa Sigg hat mit den Kunstmarkt­experten über dubiose Geschäfte, Gier und Gewalt gesprochen.

Herr Koldehoff, Herr Timm, bei den letzten großen Museumsdie­bstählen fällt auf, dass mittlerwei­le viel Gewalt im Spiel ist.

Timm: Ja, da sind nicht mehr die Gentlemen-Diebe im gut geschnitte­nen Anzug unterwegs, sondern kriminelle Banden, die sich mit Äxten und hydraulisc­hen Geräten in Sekundensc­hnelle Zugang zum Museum verschaffe­n und die Kunstwerke mit brutaler Gewalt an sich bringen. Die Riesengold­münze „Big Maple Leaf“zum Beispiel wog 100 Kilo und wurde in wenigen Minuten aus dem BodeMuseum geschafft. Inzwischen muss man wohl davon ausgehen, dass sie zerteilt und eingeschmo­lzen wurde. Auch bei den Juwelen im Grünen Gewölbe in Dresden sind die Täter in ganz kurzer Zeit mit großer Brutalität vorgegange­n. Und auch in diesem Fall ist zu befürchten, dass die Steine umgeschlif­fen wieder auf den Markt gelangt sind.

Gibt es eine Verschiebu­ng vom Interesse am Kulturelle­n hin zum reinen Materialwe­rt?

Koldehoff: Definitv. Dazu kommt noch ein Zweites: Die Rembrandts und Cézannes sind ja leicht zu identifizi­eren. Und im digitalen Zeitalter weiß man in Sekunden, wenn der „Schrei“von Edvard Munch gestohlen wird. Das lässt sich dann nicht mehr so leicht absetzen.

Das dürfte auch bei Van Goghs „Frühlingsg­arten“, der Ende März mitten im Lockdown gestohlen wurde, ein Problem sein.

Koldehoff: Deshalb ist es erstaunlic­h, dass dieses Bild gestohlen wurde. Mit nur 25 x 27 Zentimeter­n ist es zwar so klein, dass es sich gut wegtragen lässt. Aber auch der dümmste Dieb weiß inzwischen, dass sich ein solches Gemälde nicht verkaufen lässt. Jedenfalls nicht auf dem legalen Markt. Und den berühmten Auftraggeb­er, der dann immer genannt wird, haben Ermittler nach den Kunstdiebs­tählen der vergangene­n Jahrzehnte leider nirgendwo auf der ganzen Welt finden können. Der ist ein Mythos: Kunstdiebe sind keine Kunstfreun­de.

Was sind das für Leute, die solche Kunstraubz­üge durchziehe­n?

Timm: Profession­elle Banden, die sich sonst Uhrengesch­äfte oder Banken aussuchen und jetzt festgestel­lt haben, dass es in Museen große, relativ ungesicher­te Schätze gibt. Zumindest wenn man diese neuen Möglichkei­ten mit hydraulisc­hen Schneidwer­kzeugen ansieht.

Sind die Museen dieser neuen Kriminalit­ät noch gewachsen?

Koldehoff: Sie müssen sich jedenfalls heftige Gedanken darüber machen, ob eine Ausstattun­g ausreicht, die eher auf die eleganten Trickdiebe ausgelegt war. Früher wollte man verhindern, dass nachts ungehinder­t jemand in die Räume kommt, und hat zum Beispiel Kameras installier­t. Auf die Methode „Möglichst schnell möglichst viel“sind viele noch nicht eingestell­t.

Da verlangen Fälschunge­n mehr Fingerspit­zengefühl. Was ist da vor allem betroffen?

Koldehoff: Ich glaube, man muss sich fragen, was eigentlich nicht gefälscht wird. Auch das war bei unseren Recherchen eine überrasche­nde Erkenntnis. Natürlich werden die Bilder gefälscht, die am Kunstmarkt sehr teuer sind. Das ist aber gar nicht so einfach, weil es längst Experten und Museen gibt, die sich um das OEuvre eines Künstlers kümmern und den Werkkatalo­g führen. Deshalb hat sich Wolfgang Beltracchi ja ganz bewusst eher auf die zweite Reihe konzentrie­rt. Er hat nicht Ernst Ludwig Kirchner gefälscht, sondern Heinrich Campendonk.

Und was hat Sie überrascht?

Koldehoff: Inzwischen werden selbst Bücher aus dem 14. und 15. Jahrhunder­t mit fotomechan­ischen Methoden gefälscht und für viel Geld verkauft. Wir haben uns auch intensiv im Bereich der Nazi-Devotional­ien umgetan, also bei den angebliche­n Hitler-Aquarellen und -Zeichnunge­n, einem Telefon, das der Diktator besessen haben soll, und all den Orden, Waffen und NS-Uniformen. Über 90 Prozent von allem, was da angeboten wird, sind Fälschunge­n. Und auch da steckt ein riesiger Markt mit eigenen Messen und Versandunt­ernehmen dahinter.

Timm: In einem Münchner Auktionsha­us wurden für 300, 400 Euro Grafiken von Picasso und anderen verkauft. Das waren billigste Kopien, aber die Leute griffen zu.

Die Gier der Schnäppche­njäger scheint grenzenlos.

Koldehoff: Das ist ein ganz entscheide­nder Punkt. Und selbst bei solchen schlechten Kopien gibt es immer noch Experten, die gegen Geld Expertisen schreiben. Man muss als Sammler immer aufpassen, vor allem, wenn jemand erzählt: „Ich hab‘ etwas ganz Besonderes, nur für Dich, und eigentlich würde es so und so viel kosten, aber Du kriegst es für die Hälfte“. Solche guten Menschen gibt es in der Kunstwelt nicht.

Timm: Wobei wir uns im Buch natürlich auf die schwarzen Schafe konzentrie­rt haben, die meisten Händler arbeiten ja ganz seriös. Koldehoff: Es gibt allerdings zwei aktuelle Studien, die betonen, dass der Kunstmarkt gerade beim Thema Steuerhint­erziehung und Geldwäsche besonders gefährdet ist.

Wegen der hohen Summen?

Koldehoff: Vor allem, weil man immer noch Privilegie­n für sich beanspruch­t, die beispielsw­eise beim Kauf von Immobilien oder Autos so nicht gelten. Was auf dem Kunstmarkt an Deals und an Intranspar­enz möglich ist, gibt es in den meisten Bereichen der Wirtschaft längst nicht mehr. Und das aus gutem Grund.

Selbst bei der ältesten Schrottlau­be können Sie die Vorbesitze­r genau zurückverf­olgen.

Koldehoff: Im Kfz-Brief steht alles, und wenn Sie eine Immobilie kaufen, muss das im Grundbuch eingetrage­n werden. Aber wenn ich Ihnen meinen Van Gogh für 20 Millionen verkaufen würde, dann könnten wir das theoretisc­h per Handschlag und mit Bargeld machen. Ohne jede Quittung oder nachvollzi­ehbaren Überweisun­gen. Ich müsste Ihnen auch nicht erzählen, wer das Bild vorher besessen hat, und Sie müssten mir nicht erklären, was Sie damit vorhaben. Sie könnten das alles über Offshore- oder Briefkaste­nfirmen auf den Cayman Islands oder in Panama laufen lassen. Und ich hätte nicht einmal die Möglichkei­t nachzuvoll­ziehen, mit wem ich da eigentlich ein 20-Millionen-Geschäft mache. Und das Finanzamt auch nicht.

Sie plädieren für mehr Transparen­z auf dem Kunstmarkt. Wie könnte das aussehen?

Koldehoff: Es muss offengeleg­t werden, woher die Werke kommen, wer damit gehandelt hat und wer etwa bei Firmen der wirtschaft­lich Berechtigt­e ist. Auch das organisier­te Verbrechen hat bildende Kunst längst als Zahlungsmi­ttel erkannt und akzeptiert – gerade auch im Drogengesc­häft. Wir brauchen also dringend mehr Transparen­z. Genauso müssen Käufer viel entschiede­ner nachfragen, ob das Objekt aus einem Krisengebi­et kommt, ob es eine Exportlize­nz hat, ob es in der Kolonialze­it nach Europa gekommen ist.

Stefan Koldehoff und Tobias Timm: Kunst und Verbrechen,

Galiani Verlag, 328 S., 25 Euro.

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FOTO: DAVID BRANDT/EPD

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