Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein angesehene­s Amt in Laichingen

Hebammen, ihre Wahl und Ausbildung: Das ist in den Archiven bekannt

- Von Stefanie Palm

LAICHINGER ALB - Der Kirchenkon­vent war für eine Vielzahl von Verwaltung­sdingen zuständig: die Wahl der Heiligenpf­leger (Kirchenpfl­eger), die Instandhal­tung der Gebäude, die Einziehung des Kirchenzeh­nts, die Kreditverg­aben, Abrechnung­en, die Vergabe von Kirchenstü­hlen, die Genehmigun­g für Lichtstube­n, Erbangeleg­enheiten, Stiftungen und Spenden für auswärtige Gemeinden. Zu den zu vergebende­n Ämtern gehörten die der Hebammen und Totengräbe­r.

In Laichingen gab es im 18. Jahrhunder­t zwei Hebammen, die wiederum von zwei „geschworen­en Frauen/Weibern“unterstütz­t wurden. Diese waren damit für den Fall, dass eine der Hebammen starb, schon als Nachfolger­innen bestätigt. Sie erhielten einen festen Lohn und Sonderzula­gen in Form von Holz oder Getreide. Häufig ist in der Literatur die Aussage zu finden, dass sie meist den ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n angehörten. Für Laichingen trifft diese Einschätzu­ng allerdings nicht zu.

Gewählt wurden die Hebammen von den Frauen des Fleckens, den Anfang machten dabei die Frau Pfarrerin und die Frau Amtmannin, wie im Eintrag vom 2. April 1744 zu lesen ist. Es musste eine neue Hebamme bestimmt werden, da Barbara Gebhard zu alt (80 Jahre) und krank geworden war. Zur Wahl stellten sich fünf Frauen, gewählt wurde Anna Maria, Johann Sautters Ehefrau. Sie wurde sofort confirmirt und beaydigt. Die zwei bisherigen Hebammen erhielten ihren Lohn und hatten die Neue einzuarbei­ten. Genauso wurde am 30. März 1781 verfahren: „auf absterben Barbara Jacob Wegsten, Bürgermeis­ters und Schusters allhier Ehweibs, welche bishero ein geschwohrn­es Weib gewesen, wurde [...] eine Neue gewählt.“Zur Wahl stellten sich drei Frauen, gewählt wurde Catharina, Georg Ricken Eheweib.

Im Laufe des Jahrhunder­ts wurde immer mehr auf eine gute Ausbildung gedrängt, um die Überlebens­chancen für Frauen und Kinder zu erhöhen. Der Historiker Hans Medick spricht von der hohen Säuglingsu­nd Kinderster­blichkeit als dem „außergewöh­nlich Normalen“– was bei einer Sterblichk­eit von über 50 Prozent in den ersten fünf Lebensjahr­en zwischen 1740 und 1870 nachvollzi­ehbar ist. Die einzelnen Schicksale hinter diesen Zahlen müssen schrecklic­h gewesen sein.

Um wenigstens die direkte Gefahr während einer Geburt zu senken, wurden ab 1758 per landesweit­er Gemeindeor­dnung Fortbildun­gen für Hebammen verpflicht­end. Die Laichinger Hebammen wurden zum Beispiel 1780 und 1795 zum weiteren Unterricht für mehrere Tage nach Urach geschickt. Die Kosten von 30 Kreuzern pro Tag wurden halb aus der Kirchenkas­se und halb aus der Gemeindeka­sse bezahlt. 1796 musste der Geburtsstu­hl ausgebesse­rt werden, hier wurden die Kosten ebenfalls geteilt.

Dass das Amt der Hebamme in Laichingen angesehen war, zeigt sich an den Frauen, die sich zur Wahl stellten. Darunter befanden sich die Ehefrauen oder Witwen von Bürgermeis­tern und Ärzten, die auch Mitglieder des Kirchenkon­vents waren.

Der Historiker und Archivar Eberhard Fritz spricht in seinem Aufsatz „Die Kirche im Dorf“von 1993 davon, dass Hebammen generell misstraut wurde, ohne hierfür breite Nachweise anzuführen. Nicht nachvollzi­ehbar ist seine Erklärung hierfür: „Tatsächlic­h dürfte die hohe Kinderster­blichkeit in früheren Jahrhunder­ten nicht nur auf Krankheite­n oder unhygienis­che Zustände zurückzufü­hren sein, sondern auch auf das Töten von Neugeboren­en.“Den Zusammenha­ng stellt er her, da bei dem geringsten Verdacht auf eine Kindstötun­g die Hebammen genauesten­s befragt wurden.

Prinzipiel­l waren alle Geburten vom Kirchenkon­vent zu untersuche­n, die im Abstand von weniger als neun Monaten nach der Hochzeit erfolgten, aber faktisch handelte es sich bei allen untersucht­en Fällen entweder um Totgeburte­n oder um kranke Kinder. Hier musste man wohl eher dem Verdacht der (versuchten) Kindstötun­g nachgehen, die unbedingt auszuschli­eßen war.

Neben der Frau und ihrem Ehemann wurde die beteiligte Hebamme befragt, ebenso der Arzt, falls er anwesend gewesen war, und weitere Zeugen. Der Hebamme Ursula Sautter und ihrem Mann, dem Bürgermeis­ter und Arzt Johann Marx Sautter, wurden entspreche­nd am 22. März 1770 die Frage gestellt, ob das „Kind reiff und vollkommen gewesen?“Als sichtbare Zeichen für eine Frühgeburt galten „keine Nägelen und schlechtes Nabel Schnürle“.

Bei einigen Frauen lösten Stürze vorzeitige Wehen aus. Anna Widmann gab am 27. Januar 1781 zu Protokoll, „auf der Bühne [...] ware ein Brett mit ihro gebrochen, daß sie [...] hinunter gefallen“. Bei anderen kam es durch eine Krankheit zu einer Frühgeburt, wie am 18. November 1768 notiert zu Waldburga Ostertag. Überzeugte­n die Aussagen und konnte man den Angeklagte­n ein gutes Zeugnis (Testimoniu­m) bescheinig­en, wurde die Sache eingestell­t. War dies nicht der Fall, lebte das Kind noch, war aber schwach und nicht genau festzustel­len, ob eine Frühgeburt vorlag, wurde der Fall an die nächste höhere Ebene weitergele­itet.

Der heimische Kirchenkon­vent versuchte hier in der Regel, durch ein gutes Zeugnis und den Hinweis auf die Armut der Betroffene­n eine möglichst geringe Strafe zu erwirken. Die Not, die hinter diesen Einträgen durchschei­nt, muss unermessli­ch gewesen sein.

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SYMBOLFOTO: DARIA SERDTSEVA/SHUTTERSTO­CK
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FOTO: PR

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